VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Beschluss vom 26.02.2014 - 3 L 125/14 - asyl.net: M21701
https://www.asyl.net/rsdb/M21701
Leitsatz:

Eine mittels Ankreuzformular verfügte Abschiebungsanordnung (Aberkennung des Reiserechts), die keine Begründung für die angeordnete Massnahme enthält, ist formell und materiell rechtswidrig und kann keinen Bestand haben. Der Verdacht einer Straftat stellt keinen Ausweisungsgrund im Sinne von § 53ff AufenthG dar.

Schlagwörter: Serbien, Visumfreiheit, Visumsfreiheit, Ausreisepflicht, Formular, Ankreuzformular, Kurzaufenthalt, Abschiebungsanordnung, Reisepass, Pass, Schleusung, Begründungserfordernis, Ausweisungsgrund, Verdacht,
Normen: AufenthG § 4, AufenthG § 50 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung vorliegend zugunsten des Antragsteilers aus. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist davon auszugehen, dass der angegriffene Bescheid der Antragsgegnerin Im Widerspruchs- bzw. Klageverfahren aufzuheben sein wird.

Die Abschiebungsanordnung wird seitens der Antragsgegnerin letztlich damit begründet, dass der Antragsteller sich ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel (vgl. § 4 AufenthG) in der Bundesrepublik aufhält und daher gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig ist. Die Antragsgegnerin geht weiter davon aus, dass diese Ausreisepflicht auch gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ist, weil der Antragsteller bereits unerlaubt nach Deutschland eingereist ist.

Sie verkennt dabei nicht. dass Staatsangehörige von Serbien, die über einen hinreichend gültigen, biometrischen Reisepass verfügen, bei der Einreise In die Schengener Staaten zu einem Aufenthalt von bis zu 90 Tagen pro Halbjahr nach Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Anlage 2 der VO (EG) Nr. 539/2001 kein Visum benötigen, wenn sie sich zu Zwecken des Tourismus, anlässlich einer Geschäfts- oder Besuchsreise oder einer sonstigen Reise, die nicht in Verbindung mit einer zu genehmigenden Erwerbstätigkeit steht (z.B.: Sprachkurs, Schüleraustausch, Gastwissenschaftler, andere Fortbildungen etc.), in diesem Bereich aufhalten wollen (vgl. Merkblatt der Deutschen Botschaft Belgrad zur Visumfreiheit serbischer Staatsbürger bei Kurzaufenthalten in Deutschland unter www.belgrad.diplo.de/contentblob/3852338/Daten/3128147/VisumsfreiheitbeiKurzaufenthalten.pdf). Die Antragsgegnerin geht allerdings davon aus, dass der Antragsteller über die erlaubten Reiserechte hinaus einen Daueraufenthalt in der Bundesrepublik anstrebe, wofür er in der Tat ein Visum benötigt hätte. Zudem sei er "wegen des Einschleusens von Ausländern beanzeigt" worden und ihm sei "in Folge dessen" sein "eigenes Reiserecht aberkannt" worden.

Dem folgt die Kammer nicht. Aus den vorliegenden Unterlagen der Antragsgegnerin geht hervor, dass sämtliche Insassen des vom Antragsteller gefahrenen Wagens über gültige serbische Reisepässe verfügten, also alle visumfrei für Kurzaufenthalte nach Deutschland einreisen konnten. Der dem Antragsteller gemachte Vorwurf einer Schleusung ist auch nach den Erklärungen der Antragsgegnerin In ihrem Schriftsatz vom 26. Februar 2014 sowie den dazu vorgelegten Unterlagen gegenwärtig nicht aber das "Verdachtsstadium" hinausgekommen. Allein der Verdacht einer Straftat stellt allerdings schon keinen Ausweisungsgrund im Sinne der §§ 53 ff. des Aufenthaltsgesetzes dar (vgl. Urteil der Kammer vom 10. Februar 2012, Az. 3 K 168/11, Juris, Rdnr. 21). Soweit damit zunächst von einer legalen Einreise des Antragstellers ausgegangen werden muss, muss auch von seinem (nach wie vor) erlaubten Aufenthalt in Deutschland ausgegangen werden. Dieser würde erst dann erlöschen, wenn die 90-Tagesfrist für den visumfreien Kurzaufenthalt abgelaufen wäre oder der Antragsteller etwa aus der Bundesrepublik ausgewiesen würde. Eine solche - den legalen Aufenthalt beendende - Entscheidung hat gegenüber dem Antragsteller jedoch ausweislich der vorliegenden Unterlagen weder die Antragsgegnerin noch eine andere (Ausländer-)Behörde getroffen.

Damit lässt sich feststellen, dass hinsichtlich des Antragstellers derzeit keine vollziehbare Ausreisepflicht vorliegt. Die mittels Ankreuzformular verfügte Abschiebungsanordnung, die im Grunde genommen schon keine Begründung für die angeordnete Maßnahme enthält und deshalb bereits formell rechtswidrig sein dürfte, ist jedenfalls materiell offensichtlich rechtswidrig und kann keinen Bestand haben.

Da kein öffentliches Interesse an der Durchsetzung einer offensichtlich rechtswidrigen Maßnahme besteht, ist dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung ihrer Vollziehung der Vorzug einzuräumen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller in Abänderung seines bisherigen Verhaltens die Bundesrepublik nicht freiwillig Innerhalb der im eingeräumten Aufenthaltsfrist verlassen wird. Auch vor diesem Hinters;rund erscheint eine Abschiebung unverhältnismäßig und zudem unnötig. [...]