VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 09.12.2013 - 5 K 769/13.TR - asyl.net: M21790
https://www.asyl.net/rsdb/M21790
Leitsatz:

Einzelne ethnische Minderheiten leben in Somalia unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen und werden, wenn sie nicht in Clan-Strukturen eingebunden sind, in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt.

Der somalische Staat ist gegenüber Übergriffen der Organisation Al-Shabaab machtlos.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Somalia, Südsomalia, Beweiserleichterung, Al-Shabaab, Ashraf, Mischehe, Clan,
Normen: AsylVfG § 3a, AsylVfG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Vorliegend ist das Gericht aufgrund der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylVfG für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt. Zwar ist sein Vorbringen zu verschiedenen Punkten seines dargestellten Lebenslaufs widersprüchlich und von daher insoweit wenig glaubhaft. Allerdings erachtet das Gericht das diesbezügliche Vorbringen nicht als entscheidungserheblich, denn das Gericht ist unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger ersichtlich Somalia bereits im Kindesalter verlassen hat, jedenfalls vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen des Klägers überzeugt, dass sein Vater dem Clan der Hawiye, seine Mutter aber dem Clan der Ashraf angehören. Der Kläger hat nämlich, wie die mündliche Verhandlung vor Gericht gezeigt hat und aufgrund der jahrelangen Bearbeitung von Asylverfahren somalischer Staatsangehöriger gerichtsbekannt ist, eine wesentlich hellere Hausfarbe als die meisten somalischen Staatsangehörigen, was ein gewichtiges Indiz dafür darstellt, dass jedenfalls ein Elternteil einem Minderheitenclan wie zum Beispiel dem Clan der Ashraf angehört, für die insbesondere in der Küstenregion Südsomalias, aus der der Kläger seinen auch insoweit glaubhaften Angaben zufolge stammt, die hellere Hautfarbe typisch ist und deren Angehörige aus Sicht der Somali-Mehrheit als Fremde, als Araber, angesehen werden, die innerhalb des somalischen Gesellschaftssystems keinen Schutz genießen (vgl. Bundesasylamt der Republik Österreich, Analyse der Staatendokumentation, Somalia, Die Ashraf 2011, vom 5. September 2011; Musa Muhammad Omar, Ethnien und Nationalstaaten am Horn von Afrika, 5. 94 ff., insbesondere S. 101-104). Des Weiteren sind "Mischehen" zwischen Angehörigen verschiedener Clans - wie vom Kläger in Bezug auf seine Eltern vorgetragen - in Somalia selten, aber auch nicht völlig ausgeschlossen. Sie führen allerdings regelmäßig dazu, dass ein Mann, der eine Frau aus einem "niedrigeren" Clan - wie vom Kläger in Bezug auf seine Eltern vorgetragen - ehelicht, von seinem Clan ausgegrenzt wird (vgl. Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia vom 14. Dezember 2011, www.ecoi.net/file_upload/response_en _207466.html), so dass auch das weitere Vorbringen des Klägers, dass sein Vater vom Chef seines Clans ausgebeutet worden sei, glaubhaft ist. Des Weiteren ist es - wie vom Kläger vorgetragen - zutreffend, dass in der Heimatregion des Klägers zwischenzeitlich Al-Shabaab die politisch dominierende Kraft darstellt und jede Person, die außerhalb von Al-Shabaab steht und nicht dem Schutzschild eines mächtigen Clans untersteht, einem permanenten Risiko ausgesetzt ist, willkürlich zum Ziel der Islamisten zu werden, wobei die Niederlagen des vergangenen Jahres und der andauernde militärische Druck auf Al-Shabaab dazu geführt haben, dass die Islamisten ihrerseits den Druck auf die Zivilbevölkerung in ihren Gebieten verstärkt haben, Die Zahlen von willkürlichen Verhaftungen, Spionagevorwürfen und Exekutionen sind seither immer weiter angestiegen (vgl. zu alledem Bundesasylamt der Republik Österreich, Analyse der Staatendokumentation, Somalia, Sicherheitslage, 25. Juli 2013). Da ferner Al-Shabaab den religiösen Status der Ashraf nicht anerkennt und Ashraf häufig zum Ziel von Übergriffen durch Al-Shabaab werden (vgl. Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia vom 20. Juli 2012), ist das Gericht der Überzeugung, dass der bewaffnete Angriff auf den Kläger, der zur Überzeugung des Gerichts stattgefunden hat, seine Ursache in einer für einen Dritten durch seine hellere Hautfarbe zum Ausdruck kommende Minderheiten-Gruppenzugehörigkeit hatte und deshalb als Verfolgungshandlung im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 3 Abs. 1 Nr.1, Abs. 2 Nr. 2, 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG zu qualifizieren ist, zumal das Auswärtige Amt in seinem neuesten Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 12. Juni 2013 - 508-516.80/3 SOM - erneut bestätigt hat, dass einzelne ethnische Minderheiten unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen leben und sich, da sie nicht in die Clan-Strukturen eingebunden sind, in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt sehen. Ferner hat das Auswärtige Amt in diesem Lagebericht ausgeführt, dass auch die seit Ende 2012 amtierende neue Bundesregierung Somalias keine wirksame Kontrolle über weite Teile Süd- und Zentralsomalias hat, sondern dort weiterhin radikalislamistische Gruppen wie Al-Shabaab u.a. vorherrschen, die zum Teil Bezüge zum internationalen djihadistischen Terrorismus aufweisen und sich 2012 al-Qaida angeschlossen haben, und Zustände herrschen, die im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte und die humanitäre Lage desaströs sind. Ferner bestätigt auch amnesty international unter dem 26. September 2013 (vgl. www,amnesty.org/en/library/asset/AFR52/012/2013/en177726de8-a461-430f -bdd5-3962e6342ccf/afr520122013en.pdf), dass der somalische Staat gegenüber Übergriffen der Organisation Al-Shabaab machtlos ist.

Ausgehend von alledem ist das Gericht der Überzeugung, dass der Kläger Somalia aufgrund bereits erlittener Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylVfG verlassen hat, zu seinen Gunsten die bereits dargestellte Beweiserleichterung eingreift und bei ihm die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylVfG für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt sind). [...]