VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 26.02.2014 - 10 K 7373/12 - asyl.net: M21866
https://www.asyl.net/rsdb/M21866
Leitsatz:

Wie sich Willensmängel bei der Abgabe des Antrags auf Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit auf den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit auswirken, ist noch nicht abschließend geklärt.

Schlagwörter: Staatsangehörigkeitsausweis, deutsche Staatsangehörigkeit, ausländische Staatsangehörigkeit, Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, Willensmangel, Verlust der Staatsangehörigkeit, Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit, fremde Staatsangehörigkeit, Eheschließung,
Normen: StAG § 30 Abs. 3 S. 1, StAG § 30 Abs. 2 S. 1, RuStAG § 25 Abs. 1, StAG § 3 Abs. 2 S. 1,
Auszüge:

[...]

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Ausstellung von Staatsangehörigkeitsausweisen aus § 30 Abs. 3 Satz 1 StAG, weil nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 1 StAG nachgewiesen ist, dass sie deutsche Staatsangehörige sind.

Die Klägerin zu 1.) ist zwar am 25. April 1996 unter Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit in den deutschen Staatsverband eingebürgert worden.

Sie hat die deutsche Staatsangehörigkeit aber am 2. August 1997 gemäß § 25 Abs. 1 RuStAG in der damals geltenden Fassung verloren.

Danach verlor ein Deutscher, der im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen dauernden Aufenthalt hatte, seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgte, der Vertretene jedoch nur, wenn die Voraussetzungen vorlagen, unter denen nach § 19 die Entlassung hätte beantragt werden können.

Die Klägerin zu 1.) hat am Tag ihrer Eheschließung die türkische Staatsangehörigkeit erworben. Dies geht bereits aus dem Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister hervor, den sie im Verwaltungsverfahren eingereicht hatte. Sie geht selbst ebenfalls davon aus, dass sie die türkische Staatsangehörigkeit am Tag ihrer Eheschließung (wieder-)erworben hat. Für einen zwischenzeitlichen Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit spricht schließlich, dass sie sich im Jahre 1999 wieder aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen ließ. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit jedenfalls auf formalen Antrag der Klägerin zu 1.) erfolgte. Das türkische Staatsangehörigkeitsrecht in der zum Zeitpunkt der Eheschließung der Klägerin zu 1.) geltenden Fassung sah einen Staatsangehörigkeitserwerb durch Eheschließung nur im Falle von Staatenlosigkeit der ausländischen Ehefrau eines türkischen Staatsangehörigen oder im Falle des Verlustes der bisherigen Staatsangehörigkeit durch die Eheschließung aufseiten der ausländischen Ehefrau eines türkischen Staatsangehörigen vor. Im Übrigen war für den Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit eine Erklärung erforderlich, die gegenüber der türkischen Behörde, vor der die Ehe geschlossen wurde, abgegeben werden konnte (vgl. Art. 5, 42 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes in der damals geltenden Fassung). Die Klägerin zu 1.) war zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung weder staatenlos noch hätte sie die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Eheschließung verloren. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sie eine auf den Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gerichtete Erklärung abgegeben hat. Anhaltspunkte dafür, dass die zuständige türkische Behörde sich über diese Erwerbsvoraussetzung hinweggesetzt hat, bestehen nicht. Für die Abgabe einer Erwerbserklärung durch die Klägerin zu 1.) spricht auch, dass sie zunächst selbst davon gesprochen hatte, eine Erklärung zur Staatsangehörigkeit unterzeichnet zu haben. Soweit sie nunmehr mit Nichtwissen bestreitet, die Wiedereinbürgerung in den türkischen Staatsverband beantragt zu haben, ist dieses Bestreiten angesichts der türkischen Rechtslage und ihres Vorverhaltens nicht geeignet, die Überzeugungsgewissheit des Gerichts von einer zumindest formalen Beantragung der türkischen Staatsangehörigkeit in Frage zu stellen.

Soweit die Klägerin zu 1.) geltend macht, sie habe den auf den Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gerichteten Antrag allenfalls unfreiwillig und nicht mit dem Willen gestellt, die türkische Staatsangehörigkeit zu erwerben, hat sie einen – gegebenenfalls – zum Wegfall oder zur Anfechtbarkeit des Antrags führenden Willensmangel weder nachgewiesen noch substantiiert dargetan.

Wie sich Willensmängel bei der Abgabe des Antrags auf Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit auf den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit auswirken, ist noch nicht abschließend geklärt, vgl. insoweit etwa BVerwG, Urt. vom 1. Juni 1965 – I C 112.62 – juris Rdnr. 15; Urt. vom 21. Mai 1985 – 1 C 12/84 – juris Rdnr. 35; OVG NRW, Urt. vom 19. Dezember 2008 – 12 A 4705/05 – juris Rdnr. 91.

Dies gilt zunächst insoweit, als sie geltend macht, sie sei bei der Abgabe der auf den Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gerichteten Erklärung über deren Inhalt im Irrtum gewesen bzw. habe eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollen. Gegen das Vorliegen eines solchen Irrtums spricht, dass die Klägerin zu 1.) im Rahmen ihrer dienstlichen Erklärung vom 2. Oktober 2009 gegenüber der deutschen Botschaft in Ankara angegeben hat, sie habe am Tag der Eheschließung eine Erklärung unterschrieben, wonach sie mit wirksam erfolgter Eheschließung die Staatsangehörigkeit ihres (türkischen) Ehemannes akzeptiere. Diese Angabe legt nahe, dass ihr bewusst gewesen ist, einen Antrag auf Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit zu stellen. Ihre Behauptung, sie habe den Inhalt des von ihr unterzeichneten Formulars nicht (richtig) verstanden, weil ihre Kenntnisse der türkischen Sprache damals noch fragmentarisch und auf die Beherrschung des gesprochenen "Vulgärtürkisch" beschränkt gewesen seien, ist unglaubhaft. Es leuchtet bereits nicht ein, weshalb der als türkischen Staatsangehörigen geborenen, aus einem türkischen Elternhaus stammenden Klägerin zu 1.) der Inhalt des auf Hochtürkisch verfassten Schriftstücks nicht verständlich gewesen sein soll. Unplausibel ist außerdem, weshalb sie das Schriftstück unterschrieben haben will, ohne es durchgelesen zu haben oder es zu verstehen. Angesichts ihrer Vorbildung (erfolgreicher Schulbesuch, Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau) sowie ihrer Beschäftigung bei der deutschen Botschaft hätte es sich aufgedrängt, das Dokument erst dann zu unterzeichnen, nachdem sie dessen wesentlichen Inhalt erfasst hatte. Bei einem Nichtverstehen einzelner Wörter oder Absätze hätte sie Hilfe bei ihrem in der Türkei geborenen und aufgewachsenen Ehemann suchen können.

Nicht nachgewiesen bzw. unsubstantiiert ist auch die Behauptung der Klägerin zu 1.), der türkische Standesbeamte habe zu ihr gesagt, sie müsse im Falle der Eheschließung die türkische Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes akzeptieren und eine Eheschließung sei im Falle einer Unterschriftsverweigerung nicht möglich. Nach türkischem Recht hing die Eheschließung nicht davon ab, dass die Klägerin zu 1.) türkische Staatsangehörige war oder mit der Eheschließung wurde. Dies war eindeutig, und die Annahme, die Klägerin zu 1.) könne gleichwohl falsch beraten worden sein, ist nicht naheliegend. Noch weniger naheliegend ist die Annahme, die Klägerin zu 1.) sei der Falschberatung mehr oder weniger "blind" gefolgt und habe ohne Rückversicherung über die Rechtslage eine Erklärung hinsichtlich des Erwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit abgegeben. Auf die obigen Ausführungen wird insoweit verwiesen.

Die spätere Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit durch die Klägerin zu 1.) kann nicht als Nachweis dafür angesehen werden, dass sie diese Staatsangehörigkeit im Rahmen ihrer Eheschließung nicht hat annehmen wollen. Für die Aufgabe kann z. B. auch die – unrichtige – Überlegung ursächlich gewesen sein, die Verlustfolge des § 25 Abs. 1 RuStAG könne durch Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit beseitigt werden.

Die Substantiierungslast und die materielle Beweislast hinsichtlich des Bestehens eines Willensmangels liegen bei der Klägerin zu 1.). Die von ihr geltend gemachten Willensmängel liegen in ihrer Sphäre und sind für sie günstig. Das von ihr zitierte Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. März 1999 (Az.: 11 B 96.2183 – juris) führt zu keiner anderen Bewertung. In dem dortigen Fall ließ sich nicht mehr zuverlässig aufklären, ob der maßgebliche Vorfahre der (dortigen) Klägerin kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Polen freiwillig einen Antrag auf Erwerb der polnischen Staatsangehörigkeit gestellt (und mit dem Erwerb seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren) hatte oder ob er mit dem Antrag nur Verfolgungs- und Zwangsmaßnahmen hatte abwenden wollen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ging angesichts des deutschfeindlichen Klimas im Nachkriegspolen der Jahre 1946/47 und der seinerzeitigen, so wörtlich in dem Urteil, "grenzenlosen staatlichen Willkür" gegenüber deutschen Staatsangehörigen davon aus, dass die Beklagte für die Freiwilligkeit der Antragstellung materiell beweisbelastet sei. Dieser Sonderfall, in dem nach den damaligen politischen Verhältnissen viel für eine Unfreiwilligkeit der Antragstellung sprach, ist mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar.

Sollte die Klägerin zu 1.) über die Rechtsfolge des Erwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit – Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit – geirrt haben, was das Gericht zu ihren Gunsten unterstellt, wäre dieser Irrtum unbeachtlich (vgl. BVerwG, Urt. vom 21. Mai 1985 – 1 C 12/84 – juris Rdnr. 36; Beschl. vom 13. Oktober 2000 – 1 B 53/00 – juris Rdnr. 12).

Die Klägerin zu 1.) hatte im Zeitpunkt des Erwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit weder ihren Wohnsitz noch ihren dauerhaften Aufenthalt in Deutschland. Sie lebte seinerzeit vielmehr bereits seit längerem in der Türkei. Die Beklagte hat dies in ihrem Bescheid vom 20. März 2012 im Einzelnen zutreffend ausgeführt. Das Gericht folgt dieser Begründung und sieht insoweit gemäß § 117 Abs. 5 VwGO von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Die Klägerin zu 1.) hat die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Ersitzung gemäß § 3 Abs. 2 StAG (wieder-) erworben.

Danach erwirbt die Staatsangehörigkeit auch, wer seit zwölf Jahren von deutschen Stellen als deutscher Staatsangehöriger behandelt worden ist und dies nicht zu vertreten hat (Satz 1). Als deutscher Staatsangehöriger wird insbesondere behandelt, wem ein Staatsangehörigkeitsausweis, Reisepass oder Personalausweis ausgestellt wurde (Satz 2). Der Erwerb der Staatsangehörigkeit wirkt auf den Zeitpunkt zurück, zu dem bei Behandlung als Staatsangehöriger der Erwerb der Staatsangehörigkeit angenommen wurde (Satz 3). Er erstreckt sich auf Abkömmlinge, die seither ihre Staatsangehörigkeit von dem nach Satz 1 Begünstigten ableiten (Satz 4).

Die Klägerin zu 1.) ist nicht über einen Zeitraum von zwölf Jahren von deutschen Stellen als deutsche Staatsangehörige behandelt worden.

Die Behandlung als deutsche Staatsangehörige durch die deutsche Botschaft in Ankara erfolgte allenfalls über einen Zeitraum von neun Jahren. Sie begann frühestens im Jahre 2000 mit der Ausstellung eines Kinderausweises an die Klägerin zu 2.) und endete jedenfalls im Jahre 2009 mit der Ablehnung der Ausstellung eines Kinderausweises an den Kläger zu 3.) und der Aufforderung an die Klägerin zu 1.), ein Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren durchzuführen.

Die Zeit, in der die Klägerin zu 1.) tatsächlich deutsche Staatsangehörige war (vom 25. April 1996 bis zum 2. August 1997), kann nicht in die Zwölfjahresfrist einbezogen werden. Die Beklagte hat den Grund hierfür zutreffend genannt: § 3 Abs. 2 StAG stuft die jahrelange Behandlung als deutscher Staatsangehöriger als Erwerbsgrund für die deutsche Staatsangehörigkeit ein (vgl. in diesem Zusammenhang BT-Drs. 16/5065, Seite 227).

Ein Erwerb ist aber nur möglich, wenn die Staatsangehörigkeit nicht bereits vorliegt oder ihr Vorliegen zumindest nicht beweisbar ist (so im Ergebnis auch Berlit, in: GK-AufenthG, § 38 Rdnr. 74 (Stand: Juni 2007) für die Vorschrift des § 38 Abs. 5 AufenthG; andere Auffassung wohl – ohne Begründung – Marx, in: GK-StAR, § 3 Rdnr. 20 (Stand: August 2009) in Widerspruch zu Rdnr. 19 seiner Kommentierung).

Soweit der Klägerin zu 1.) nach dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ein zuvor ausgestelltes Ausweispapier belassen und sie bei der deutschen Botschaft in Ankara weiterbeschäftigt worden ist, liegt hierin keine Behandlung als deutsche Staatsangehörige im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 StAG. Eine solche Behandlung setzt eine zumindest summarische Überprüfung der deutschen Staatsangehörigkeit durch eine dazu berufene Stelle voraus (vgl. Marx, in: GK-StAR, § 3 Rdnr. 33 f. m. w. N.).

Eine solche Überprüfung hat hier jedenfalls bis zum Jahr 2000 nicht stattgefunden. Es bestehen insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass die deutsche Botschaft in Ankara die deutsche Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 1.) nach ihrer Eheschließung am 2. August 1997 ohne für sie erkennbaren Anlass (nochmals) überprüft hat.

Die Klägerin zu 2.) und der Kläger zu 3.) haben die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt gemäß § 4 Abs. 1 StAG nach der Klägerin zu 1.) erworben, weil diese damals nicht mehr deutsche Staatsangehörige war.

Soweit die Kläger rügen, der Widerspruchsbescheid der Beklagten sei nicht ordnungsgemäß unterschrieben worden, können sie hieraus für ihr Verpflichtungsbegehren schon im Ansatz nichts herleiten. Denn der Anspruch auf Ausstellung von Staatsangehörigkeitsausweisen hängt allein davon ab, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, dass sie deutsche Staatsangehörige sind (vgl. § 30 Abs. 2 Satz 1 StAG). Abgesehen davon genügt die Unterschrift durchaus den Anforderungen des § 37 Abs. 3 Satz 1 VwVfG. Sie braucht nicht lesbar zu sein. Grundsätzlich ist sogar eine Paraphe ausreichend (vgl. Kopp/ Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 14. Auflage, 2013, § 37 Rdnr. 33; BVerwG, Beschl. vom 18. Juli 2000 – 2 B 19/00 – juris Rdnr. 6). [...]