VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.05.2002 - A 14 S 831/00 - asyl.net: M2202
https://www.asyl.net/rsdb/M2202
Leitsatz:

1. Albanische Volkszugehörige aus Südserbien unterliegen in der Bundesrepublik Jugoslawien keiner ethnisch motivierten politischen Verfolgung.

2. Albanischen Volkszugehörigen aus Südserbien steht allein wegen der dort herrschenden Lebensbedingungen ein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht zu.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Jugoslawien, Südserbien, Albaner, Verhöre, Gruppenverfolgung, Beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Politische Entwicklung, Machtwechsel, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Versorgungslage, Medizinische Versorgung, Extreme Gefahrenlage, D (A), Verfahrensrecht, Berufungsverfahren, Berufungsbegründung, Zulassungsbeschluss, Bezugnahme
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1; VwGO § 124a Abs. 3
Auszüge:

 

Die Berufung des Bundesbeauftragten ist zulässig, insbesondere fristgerecht und inhaltlich ausreichend begründet (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30. 06. 1998 - 9 C 6. 98 -, BVerwGE 107, 117). Mit dem Verweis auf die Ausführungen im Zulassungsantrag und im Zulassungsbeschluss ist den Anforderungen der auch in Streitigkeiten nach dem AsylVfG anwendbaren Vorschrift des § 124 a Abs. 3 VwGO (hier in der bis zum 31. 12. 2001 geltenden Fassung) Genüge getan. Der Berufungsführer ist nicht gehalten, sich mit Fragen auseinander zu setzen, die das Verwaltungsgericht noch nicht aufgearbeitet hat, weil sie aus seiner Sicht nicht entscheidungserheblich waren (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 23. 04. 2001 - 1 C 33. 00 -, BVerwGE 114, 155 159>).

Den Klägern steht der geltend gemachte Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht zu. Politische Verfolgung droht den Klägern weder aus individuellen Gründen noch wegen ihrer Volkszugehörigkeit. Der Verfolgungsprognose ist dabei der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen, denn die Kläger haben ihre Heimat unverfolgt verlassen. Für eine gegen die Volksgruppe der Albaner in Süd-Serbien gerichtete Verfolgung zum damaligen Zeitpunkt fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt. Ohne Bedeutung für den Prognosemaßstab sind demgegenüber die weiteren Ereignisse im Heimatland der Klägerin nach deren Ausreise (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. 12. 1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166 m.w.N.). Zwar wird als Grund für die Privilegierung des Vorverfolgten - neben dem von diesem erlebten Trauma - im Hinblick auf eine (gruppengerichtete) Verfolgung auf die geschichtliche Erfahrung verwiesen, wonach sich Verfolgungen nicht selten, Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder doch ähnlicher Form wiederholten (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. 03. 1985 - 9 C 107.84 -, BVerwGE 71, 178 f.>). Allein dieser Hintergrund rechtfertigt die Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs aber nicht. Denn selbst derjenige, der sein Heimatland nach dort erlebter (Gruppen-)Verfolgung erst geraume Zeit nach deren Beendigung verläßt, so dass sich die Ausreise nicht als direkte Folge der erlittenen Verfolgung darstellt, gilt nicht mehr als Vorverfolgter, sondern ist auf die Geltendmachung von Nachfluchtgründen verwiesen, die ihrerseits mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. 11. 1990 - 9 C 72.90 -, BVerwGE 87, 141 147>; Urteil vom 25. 07. 2000 - 9 C 28.99 -, BVerwGE 111, 334 337>). Eine Verfolgung aller albanischen Volkszugehörigen auf dem gesamten serbischen Staatsgebiet, also auch in Süd-Serbien, kann in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt festgestellt werden. Dies gilt - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts - auch für die Zeit während der Kosovo-Krise vom Frühjahr 1999 bis zum Einmarsch der KFOR-Truppen Anfang Juni 1999. Es spricht zwar viel dafür, dass albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo damals einer Gruppenverfolgung durch serbische Sicherheitskräfte ausgesetzt waren. Für die Annahme einer landesweiten - auch mittelbar staatlichen - Gruppenverfolgung fehlt es jedoch einerseits an einer hinreichenden Zahl von Referenzfällen, auf Grund derer auf eine landesweite Gefährdung aller albanischen Volkszugehörigen in Jugoslawien geschlossen werden könnte; andererseits bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass in ganz Jugoslawien gegen ethnische Albaner ein Verfolgungsprogramm eingeleitet oder vorbereitet worden sei (vgl. hierzu im Einzelnen Urteil des erkennenden Senats vom 29. 03. 2001 - A 14 S 2078/01 -).

Vor diesem Hintergrund ist angesichts der zwischenzeitlich eingetretenen tiefgreifenden politischen Veränderungen in Jugoslawien die Möglichkeit einer Verfolgung der Kläger nicht mehr als derart " real" zu erachten, dass ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr nicht mehr auf sich nähme. Vielmehr ist der Senat sogar bereits kurz nach dem Machtwechsel in Belgrad davon ausgegangen, dass ein Wiederaufleben der gegen die Kosovo-Albaner gerichteten Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann (vgl. Urteil vom 29. 03. 2001 - A 14 S 2078/01 -). Die durch Besonnenheit, den Willen zur Verständigung mit den im Lande lebenden Bevölkerungsgruppen und die Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft gekennzeichnete Politik hat im Konflikt um Süd-Serbien, der im ersten Halbjahr 2001 27 Todesopfer forderte (AA, Lagebericht vom 06. 02. 2002, III. 3.), ihre Bewährungsprobe bestanden. Angesichts der positiven Entwicklung beurteilte der UNHCR die Lage in einer Stellungnahme vom 14. 11. 2002 - im Gegensatz zu seinen Äußerungen vom 01. 03. 2001 und vom 20. 04. 2001 an VG Berlin - positiv und stellt fest, dass eine Rückkehr von Personen aus diesem Gebiet derzeit ohne schwerwiegende Sicherheitsbedenken stattfinden kann. In gleicher Weise kommt das Menschenrechtskomitee in Bujanovac (zitiert durch Monitor-Dienst vom 15. 01. 2002) nunmehr zum Schluss, dass die Unterdrückung der albanischen Bevölkerungsgruppe durch die Polizei aufgehört habe, Diskriminierungen allerdings immer noch zu beklagen seien. All dies rechtfertigt die Annahme, dass eine reale Möglichkeit der Gruppenverfolgung der albanischen Bevölkerung in Süd-Serbien derzeit und auf absehbare Zeit zu verneinen ist. Das AA gibt in seinem jüngsten Lagebericht zwar seine Einschätzung wieder, dass die Region weiterhin potenziell ein Konfliktherd bleibe (Lagebericht, I. 2. 3.); vereinzelte Gewalttaten seitens albanischer Extremisten, so zuletzt am 19. 04. 2002 bestätigen dies; in dieser allgemeinen Bewertung unterscheidet sich diese Region indessen nicht vom übrigen Ex-Jugoslawien.

Schließlich liegt auch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht vor. Von einer extremen allgemeinen Gefahrenlage sind die Kläger bei einer Rückkehr in ihr Heimatland ungeachtet der nach den jahrelangen Auseinandersetzungen auf dem Balkan schwierigen Wirtschaftslage in Serbien auch als Angehörige der albanischen Volksgruppe in Süd-Serbien nicht bedroht. Der UNHCR fordert zwar in seiner Stellungnahme vom 14.11.2001 Unterstützung für die Bewohner Süd-Serbiens im Hinblick auf die "außerordentlich schwierigen Lebensbedingungen in den Herkunftsorten". Die Grundversorgung mit Lebensmitteln ist dort aber ebenso gewährleistet wie die medizinische Versorgung (vgl. AA, Lagebericht vom 06. 02. 2002, IV. 3.). Hinweise, dass es in Süd-Serbien insoweit zu besonderen - lebensbedrohlichen - Mangel- und Notsituationen kommt, sind nirgends dokumentiert.