Die Auskünfte und Stellungnahmen von Amnesty International, proasyl und ECRE begründen hinreichend deutlich die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Bulgarien systemische Mängel aufweisen, mit der Folge, dass Asylbewerbern im Falle der Überstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
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Der Kläger hat im Hinblick auf Bulgarien systemische Mängel geltend gemacht. Auch nach der Auskunftslage erfüllt Bulgarien die eingegangenen Verpflichtungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht.
Der UNHCR hat in einem Bericht vom 02.01.2014 ("Bulgaria as a Country of Asylum") ausgeführt, Asylsuchende, die gemäß den Vorgaben der Dublin II-VO nach Bulgarien abgeschoben würden, seien dort aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt. Die unmenschlichen Aufnahmebedingungen bedeuteten eine Verletzung der Menschenwürde und des Rechts auf Privatsphäre. Außerdem liefen Asylsuchende Gefahr, willkürlich inhaftiert zu werden, da eine klare Rechtslage in Bulgarien fehle. Überstellungen nach Bulgarien müssten deswegen ausgesetzt werden.
Im Jahr 2013 hätten mehr als 9100 Personen in Bulgarien einen Asylantrag gestellt. Dabei gehe der UNHCR davon aus, dass die tatsächliche Anzahl von Asylsuchenden höher sei als die, die in der Statistik erfasst werde. Bei Rücküberstellungen nach dem Dublin-Verfahren sei ein wesentliches Problem, dass eine Wiederaufnahme des Asylverfahrens nach der Rückkehr aus einem anderen EU-Staat nicht gewährleistet sei. Denn das bulgarische Recht sehe vor, dass ein dreimonatiges Nichtbetreiben des Asylverfahrens zur Folge haben könne, dass der Asylantrag in Abwesenheit abgelehnt werde. Dieses Ergebnis könne in der Regel nicht abgewendet werden, da Asylsuchende nicht darlegen könnten, warum sie das Asylverfahren vor der Behörde nicht betrieben hätten. Würden Asylsuchende in einer solchen Situation aus einem anderen EU-Staat abgeschoben, so würden sie regelmäßig in Abschiebungshaft genommen. Dann bleibe nur noch die Möglichkeit, einen Asylfolgeantrag zu stellen. Damit dieser erfolgreich sein könne, müssten allerdings neue Gründe für den Asylantrag vorgetragen werden können, was regelmäßig nicht der Fall sein werde. im Ergebnis führe dies zu einer Ablehnung als "offensichtlich unbegründet", Für diese abgelehnten Asylsuchenden gebe es keinerlei staatliche Unterstützung.
Es gebe einen massiven Mangel an Plätzen in Aufnahmeeinrichtungen. Deswegen finde vielfach eine Zuweisung in eine solche Aufnahmeeinrichtung nicht statt. Wegen der mangelnden Registrierungskapazitäten würden zahlreiche Asylanträge nicht entgegengenommen. Insgesamt werde sowohl die EU-Aufnahme- als auch die Asylverfahrensrichtlinie verletzt. Solange eine Registrierung eines Asylantrags nicht erfolgt sei, würden die betreffenden Personen wie regulär Aufhältige behandelt, denen die Abschiebung drohe.
Eigentlich sei in Bulgarien eine längere Inhaftierung als 24 Stunden nur dann zulässig, wenn die Einreise oder der Aufenthalt irregulär seien oder keine Identitätsnachweise vorhanden seien. Dann könne bis zu 18 Monate inhaftiert werden. Da zahlreiche Asylanträge nicht registriert würden, werde diese ausufernde Inhaftierungspraxis auch auf Asylsuchende angewandt. Auch wegen der fehlenden Aufnahmeplätze in Aufnahmeeinrichtungen blieben viele Asylsuchende zahlreiche Monate in Haft.
Ein großes Problem in der Haft bestehe darin, dass es an qualifizierten Dolmetschern fehle. Eine Entlassung sei nur dann möglich, wenn Asylsuchende nachweisen könnten, dass sie eine externe Adresse in Bulgarien hätten. Teilweise habe dies zu einer Praxis geführt, dass fingierte Adressen, die Asylsuchende gegen Zahlung bestimmter Geldsummen beschaffen könnten, angegeben würden. Da die Unterkunft real aber nicht existiere, führe die Entlassung zur Obdachlosigkeit der Asylsuchenden.
Nach offiziellen Angaben habe Bulgarien 4060 Aufnahmeplätze für Asylsuchende. Die meisten Aufnahmelager seien überbelegt. Zur Zeit gebe es sieben Aufnahmeeinrichtungen in Bulgarien. Die Hälfte aller Asylsuchenden in Bulgarien sei dort untergebracht. Bei einer der Aufnahmeeinrichtungen handele es sich um eine geschlossene Einrichtung, obwohl nach bulgarischem Recht eine Inhaftierung von Asylsuchenden nicht zulässig sei. Bei 5000 Asylsuchenden sei eine externe Adresse vorhanden. Lebe jemand außerhalb der Lager, leiste der Staat keinerlei Unterstützung mit Ausnahme einer Gesundheitsversicherungskarte, die einen Zugang zur medizinischen Basisversorgung ermögliche.
Die Bedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen seien kläglich. Essen werde vom Staat nicht angeboten und grundsätzlich bestehe auch kein Zugang zu Kochvorrichtungen. Es fehle auch an adäquater Heizung einschließlich heißen Wassers und notwendiger Gesundheitsversorgung. Die Wasserversorgung und die sanitären Einrichtungen seien nicht auf einem akzeptablen Niveau. In Aufnahmeeinrichtungen erhielten Asylsuchende umgerechnet 33 € pro Monat. Direkt nach ihrer Ankunft erhielten sie ein Essenspaket, das fünf Tage reichen solle. Die Bedingungen im Aufnahmelager Harmanli seien am schlimmsten. Hierbei handele es sich um eine geschlossene Einrichtung. Obwohl kein Essen zur Verfügung gestellt werde, dürften die Insassen das Lager nicht verlassen, um Nahrungsmittel einzukaufen. Die Aufnahmekapazität von 1450 Plätzen werde deutlich überschritten. In Harmanli gebe es entweder Fertighütten oder unrenovierte Gebäude, die keine angemessenen Standards böten.
In den Aufnahmelagern gebe es keinerlei medizinische Versorgung. Da die Asylsuchenden verschriebene Medikamente selbst bezahlen müssten, dafür das Geld jedoch fehle, blieben Krankheiten unbehandelt.
Die bulgarischen Behörden seien nicht in der Lage, Asylanträge zeitnah zu registrieren. Teilweise dauere es länger als sechs Monate, bis ein Asylantrag registriert sei. Während dieser Zeit würden die betroffenen Personen als Ausreisepflichtige behandelt. Die Verpflichtung zur Gewährleistung eines schnellen und fairen Zugangs zum Asylverfahren werde missachtet; dies stelle einen Verstoß gegen die Asylverfahrensrichtlinie dar.
Standards eines fairen Verfahrens würden nicht eingehalten. So würden häufig Ablehnungen damit begründet, dass der Asylsuchende sich widersprüchlich oder inkonsistent geäußert habe. In einer rechtsstaatlichen Anhörung müssten Asylsuchende jedoch schon während der Anhörung auf die Widersprüche aufmerksam gemacht werden; dies sei in Bulgarien nicht der Fall.
Asylsuchende hätten keinen garantierten Zugang zu Rechtsberatung und Rechtsvertretung während des Asylverfahrens.
Für anerkannte Flüchtlinge gebe es nur sehr wenige staatliche Unterstützung. Die finanzielle Unterstützung sei sehr niedrig und werde davon abhängig gemacht, dass Sprachkurse besucht würden. Viele Flüchtlinge bekämen keine dauerhafte Beschäftigung wegen der wirtschaftlichen Situation in Bulgarien. Viele anerkannte Flüchtlinge seien von Obdachlosigkeit betroffen.
Amnesty International führt in einer Pressemitteilung vom 31. März 2014 aus, bei einem Besuch in Bulgarien sei festgestellt worden, dass trotz einiger Fortschritte die Lebensbedingungen in einigen der Aufnahmezentren weiterhin unzureichend seien. Die Inhaftierung von Asylsuchenden, die Überbelegung der Aufnahmeeinrichtungen, die schlechte Hygiene und die unzureichende Versorgung mit Nahrungsmitteln stellten nach wie vor schwerwiegende Mängel des Asylverfahrens in Bulgarien dar. Die Überfüllung des Aufnahmelagers Harmanli bestehe weiterhin.
Pro Asyl teilt in einer Presseerklärung vom 23.05.2014 mit, in Bulgarien würden alle irregulär einreisenden Schutzsuchenden systematisch inhaftiert. Familien und Einzelpersonen müssten in überfüllten Hallen leben, die keinerlei Privatsphäre böten, teilweise mit mangelndem Heizsystem und kaum elektrischer Versorgung. Ausreichende sanitäre Einrichtungen fehlten.
ECRE (European Council an Refugees and Exiles) teilt in einer Stellungnahme vom 7. April 2014 mit, trotz der jüngsten lobenswerten Bemühungen der bulgarischen Behörden blieben die Mängel im Asylverfahren weiterhin bestehen. Die Nachhaltigkeit der Verbesserungen sei ungewiss. Obwohl warme Mahlzeiten seit Februar 2014 sowie die medizinische Betreuung in allen Aufnahmezentren nunmehr zur Verfügung stünden, seien die Lebensbedingungen in den Aufnahmezentren aufgrund der Überbelegung nach wie vor schwierig. Asylsuchende mit Wohnsitz außerhalb der Aufnahmezentren hätten keinen Zugang zu irgendeiner materiellen Unterstützung. Jede Überstellung von Asylbewerbern nach Bulgarien wäre verfrüht und würde die laufenden Bemühungen der verschiedenen Akteure in Bulgarien untergraben.
Diese vorgenannten Auskünfte und Stellungnahmen begründen hinreichend deutlich die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Bulgarien systemische Mängel aufweisen mit der daraus resultierenden Gefahr für den Kläger, dort im Falle der Überstellung einer unmenschlichen oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein. [...] [...]