VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 02.07.2014 - A 12 K 2799/14 - asyl.net: M22117
https://www.asyl.net/rsdb/M22117
Leitsatz:

Bezüglich junger und gesunder Männer bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für systemische Mängel im Asylverfahren und hinsichtlich der Aufnahmebedingungen in Bulgarien.

Schlagwörter: systemische Mängel, Bulgarien, Dublinverfahren, Aufnahmebedingungen, junge und gesunde Männer, Asylverfahren, Dublin III-Verordnung,
Normen: GR-Charta Art. 4, AsylVfG § 34a Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Dafür gibt es nach Überzeugung des Gerichts hinsichtlich Bulgariens im Falle des Antragstellers derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte. Durch Tatsachen bestätigte Gründe dafür, dass er im bulgarischen Asylverfahren voraussichtlich im Sinne von Art. 4 GRCh "der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen wird", lassen sich derzeit nicht erkennen. Der Dublin III-VO liegt die Annahme zugrunde, dass alle Mitgliedstaaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden, und die hieraus folgende Berechtigung der Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen zu dürfen (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10, RdNr. 81 ff.). Einzelne festgestellte Verstöße rechtfertigen noch nicht eine Widerlegung dieser Vermutung. Im Beschluss vom 02.04.2013 (Nr. 27725/10, Mohammed Hussein gegen Niederlande und Italien) sowie im Beschluss vom 18.06.2013 (Nr. 53852, Halimi gegen Österreich und Italien) hat der EGMR klargestellt, dass an eine Konventionsverletzung strenge Maßstäbe anzulegen sind. Art. 3 EMRK (bzw. Art. 4 GRCh) steht danach einer Dublin-Überstellung nicht allein deswegen entgegen, weil es dem Asylbewerber im Zielstaat wirtschaftlich schlechter gehen wird. Auch haben Asylbewerber keinen Anspruch auf Verbleib im Aufenthaltsstaat, um dort von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung zu profitieren, denn Art. 3 EMRK verpflichtet nicht generell dazu, Asylbewerbern ein Obdach bereitzustellen oder Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren. Allein "außergewöhnlich zwingende humanitäre Gründe" im Sinne eines "systemischen Versagens" stehen einer Dublin-Überstellung entgegen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - juris).

Für die Feststellung von Mängeln im Asylsystem eines Mitgliedstaates kommt den Dokumenten des UNHCR (vgl. EuGH, Urt. v. 30.05.2013 - C-528/11 -, RdNr. 253 - juris) Bedeutung zu. Noch in seinem Bericht vom 02.01.2014 (Bulgaria as a Country of Asylum - UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria, S. 16) hat der UNHCR ausgeführt, dass Asylsuchende, die nach Bulgarienn zurückgeschoben werden, dort aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt seien. Insbesondere die Aufnahmebedingungen seien beklagenswert und würden sich zu einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung verdichten; sie stünden im Widerspruch zur Menschenwürde und dem Recht auf Privatsphäre. Asylbewerbern fehle es in Bulgarien am Zugang zu grundlegenden Diensten wie der Nahrungsmittel- und Gesundheitsversorgung. Auch liefen sie dort Gefahr, willkürlicher Inhaftierungen ausgesetzt sein. Oftmals dauere die Haft für unbestimmte und lange Zeit an. Des Weiteren bestünden schwerwiegende Probleme beim Zugang zu einem fairen und effektiven Asylverfahren.

Der EASO Oparating Plan - European Asylum Support Office - (vgl. Art. 33 Dublin III-VO) vom 25.02.2014, basierend auf Feststellungen einer Expertenkommission aufgrund eines Besuches vom 17.02. bis 21.02.2014 in Bulgarien, stellt Verbesserungen der Situation fest. So würden Registrierungskarten innerhalb eines Tages ausgegeben, auch sei die Produktivität des SAR bei der Bewältigung der Asylverfahren durch den erheblichen Ausbau des Personals in sichtbarer Weise gesteigert worden, so würden Asylverfahren syrischer Antragsteller - der Mehrzahl der Asylbewerber - binnen zwei bis drei Monaten beschieden. Das Aufnahmesystem bleibe allerdings überlastet; Schwierigkeiten bestünden insbesondere für besonders schutzbedürftige Personen. In allen Einrichtungen sei eine medizinische Versorgung sichergestellt, jedenfalls durch "Ärzte ohne Grenzen".

Der aktuelle Bericht des UNHCR vom April 2014, mit dem die im Januar angekündigte erneute Beurteilung für Anfang April vorgenommen wurde, kommt nunmehr zusammengefasst zu der Bewertung, dass die Defizite nicht mehr von solchem Gewicht seien, dass eine generelle Suspendierung von Rückführungen nach Bulgarien gerechtfertigt sei. Seit Januar 2014 seien signifikante Verbesserungen hinsichtlich Registrierung, der Aufnahmebedingungen und des Verfahrens festzustellen. Die Bedingungen in den SAR-Zentren hätten sich signifikant verbessert im Vergleich zur Situation im Dezember 2013. In zwei Zentren allerdings seien die sanitären Bedingungen nicht adäquat; die Arbeiten seien aber noch nicht abgeschlossen. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und die ärztliche Versorgung seien zufriedenstellend. Hinsichtlich Rückkehrern aus anderen Mitgliedstaaten führt der UNHCR aus, dass deren Asylverfahren wiedereröffnet würden, wobei an den Verfahrensstand bei Ausreise angeknüpft würde, sofern der Asylbewerber dies wünsche. Die Asylbewerber würden dann zu einem SAR-Center überstellt mit den gleichen Bedingungen wie andere Asylbewerber auch. Eventuell noch nicht durchgeführte Anhörungen würden nachgeholt. Lediglich Asylbewerber, deren Antrag unanfechtbar abgelehnt worden sei, und die keinen Folgeantrag gestellt hätten, würden zum Zwecke der Abschiebung in ihre Herkunftsländer festgehalten. Festzustellen sei jedoch, dass die Kapazitäten zur Bearbeitung der Asylverfahren ausgeweitet werden müssten oder jedenfalls mit einem Minimum an Sachbearbeitern ausgestattet sein müssten, um Dublin-Rückführungen oder auch Neuankömmlingen gerecht zu werden.

Bei Würdigung der nunmehrigen Feststellungen können insbesondere keine nicht hinnehmbaren Zuständen im Asylverfahren oder bei der Unterbringungssituation mehr festgestellt werden. Einzelne Missstände und Unzulänglichkeiten in noch vereinzelten Aufnahmezentren können vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht mehr als systemische Mängel gewertet werden, mit der Folge, dass für eine Bejahung der Zuständigkeit der Beklagten keine hinreichenden Anhaltspunkte vorliegen. Selbst amnesty international räumt in seinem Bericht vom April 2014 ein, dass in Harmanli alle Flüchtlinge aus Zelten in zum Teil sanierte Gebäude mit Toiletten und Duschen verlegt worden seien und in Voenna Rampa derzeit Bauarbeiten durchgeführt würden. In diesem Licht ist die weitere Formulierung zu sehen, wonach "in einigen Aufnahmezentren" Lebensbedingungen herrschten, "die trotz einiger Fortschritte weiterhin unzureichend" seien. Soweit amnesty international weiter beklagt, dass "viele Menschen monatelang auf eine Entscheidung ihres Asylverfahrens warten" müssten, so räumt die Organisation aber andererseits wiederum ein, dass eine positive Entwicklung in der Bearbeitung zu erkennen sei und die Kapazitäten ausgebaut worden seien. Dies deckt sich mit den Angaben des UNHCR im neuesten Bericht.

Insgesamt gibt es mithin - jedenfalls bezüglich junger und gesunder Männern, wie der Kläger - keine hinreichenden Anhaltspunkte für systemische Mängeln im Asylverfahren und hinsichtlich der Aufnahmebedingungen in Bulgarien, weshalb Bulgarien für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig ist (vgl. ebenso VG Schwerin, Beschl. v. 24.04.2014 - 5 B 391/14 As - juris; VG Berlin, Beschl. v. 01.04.2014 - 23 L 122.14 A - juris; a.A. noch VG Bremen, GB v. 10.04.2014 - 1 K 61/14 - und GB v. 10.04.2014 - 1 K 59/14). [...]