VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 08.09.2014 - 8 A 618/13 - asyl.net: M22245
https://www.asyl.net/rsdb/M22245
Leitsatz:

Ein zulässiger Grund für die Untätigkeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge kann nicht in einem Rückstau in der Sachbearbeitung oder in andauernder Arbeitsüberlastung gesehen werden.

Schlagwörter: Arbeitsüberlastung, Rückstau, Untätigkeitsklage, sachlicher Grund, Asylverfahren, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Durchentscheiden, Spruchreife,
Normen: VwGO § 75 Abs. 2, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

1. Die Klage ist als Untätigkeitsklage zulässig. Insbesondere ist auch die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 75 Satz 2 VwGO gegeben. Der Kläger hat am 25.06.2012, mithin vor 26 Monaten, einen Wiederaufgreifensantrag, gerichtet auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt, über den es bis heute nicht entschieden ist. Das Bundesamt hat einen Rückstau in der Sachbearbeitung zur Begründung der Untätigkeit vorgetragen. Andauernde Arbeitsüberlastung ist kein sachlicher Grund im Sinne des § 75 Satz 1 VwGO (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage 2012, Rn. 13 zu § 75 VwGO).

2. Die Klage ist nur hinsichtlich des Hilfsantrages, das Bundesamt zur Fortführung des Verfahrens über den Wiederaufgreifensantrag gerichtet Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG innerhalb von 3 Monaten zu verpflichten, begründet.

Das Verwaltungsgericht ist wegen der Besonderheiten des Asylverfahrens nicht gehalten, Spruchreife nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO herzustellen. Für einen gerichtlichen Verpflichtungsausspruch ist unter Berücksichtigung der asylrechtlichen Besonderheiten kein Raum. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde - gerichtete Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz steht der Annahme entgegen, dass das Verwaltungsgericht die Sache durch Ermittlung des gesamten für eine Sachentscheidung über den Wiederaufgreifensantrag erforderlichen Sachverhalts spruchreif zu machen hätte. Die Besonderheiten des Asylverfahrens führen dazu, dass bei Untätigkeit des Bundesamtes keine Spruchreife herbeizuführen ist. Denn ein Durchentscheiden würde die dem Bundesamt vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen.

§ 75 VwGO stellt bei Untätigkeit der Behörde dem Kläger ein starkes prozessuales Mittel zur Seite. Wie oben bereits dargelegt, kann dies im Asylverfahren wegen der Besonderheiten, die dem Bundesamt zur Verfahrensbeschleunigung vom Gesetzgeber zugewiesen sind, aber nicht dazu führen, dass das Verwaltungsgericht an Stelle und ohne dass das Bundesamt sich inhaltlich mit dem Begehren auseinandergesetzt hat, in der Sache entscheidet. Hier ist das Gericht ohne eine vorhergehende Entscheidung des Bundesamts über das Begehren an einer abschließenden (sachlichen) Entscheidung gehindert. Es ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, anstelle des mit besonderer Sachkunde versehenen Bundesamts, das sich im dafür vom Gesetz vorgesehenen, mit besonderen Verfahrensgarantien ausgestatteten Verfahren mit der Sache selbst noch gar nicht befasst und demgemäß auch noch keine Entscheidung über das sachliche Begehren getroffen hat, über den Wiederaufgreifensanspruch zu befinden. Dies ist vielmehr zuvor der Beurteilung durch das Bundesamt vorbehalten. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG begegnete eine gerichtliche Entscheidung in diesem Verfahrensstadium rechtlichen Bedenken.

Erst die Entscheidung des Bundesamtes, die über den Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gerichtet Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergangen ist, unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Daher muss eine Klage, die diese Feststellungen zum Ziel hat, erfolglos bleiben.

Demnach war der Klage nur im Hilfsantrag stattzugeben. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt in angemessener Frist, spätestens innerhalb von drei Monaten, über ihren Antrag entscheidet (§§ 75 Satz 1 und 2 sowie 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Der Maßstab für die Frist, innerhalb der die Entscheidung zu treffen ist, ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 75 Satz 1 und 2 VwGO. Danach ist die Entscheidung grundsätzlich innerhalb von drei Monaten ab Stellung eines Asylantrags zu treffen. An dieser Entscheidung des Gesetzgebers hat sich das Gericht auch im vorliegenden Fall orientiert. Das Gericht hat der Beklagten auch aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falls deshalb keine längere Frist gesetzt, weil hier zu berücksichtigen ist, dass der Kläger seinen Antrag bereits vor mehr als zwei Jahren gestellt hat und der inzwischen verstrichene Zeitraum bei der Bestimmung einer angemessenen Frist zu berücksichtigen ist. [...]