Aufgrund aktueller Erkenntnismittel ist beim ungarischen Asylsystem von systemischen Mängeln auszugehen. Dublin-Rückkehrer werden nach ihrer Ankunft in Ungarn grundsätzlich, ohne Angabe von Gründen und ohne Prüfung der individuellen Umstände inhaftiert. Zudem bestehen keine wirksamen Rechtsschutzmöglichkeiten die Anordnung der Haft bzw. die Haftfortdauer mit Aussicht auf Erfolg überprüfen lassen zu können.
[...]
2.6.2. Vor diesem Hintergrund ist aufgrund der aktuellen Erkenntnislage beim ungarischen Asylsystem derzeit von systemischen Mängeln i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO auszugehen, bzw. die Beklagte im Hinblick auf Art. 4 GRCh verpflichtet, den Kläger nicht an Ungarn als ursprünglich zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Systemische Mängel i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO liegen vor, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweist, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen. Der rechtliche Ansatz und Maßstab ist bei der Anwendung der Dublin-II-VO und der Dublin-III-VO identisch.
2.6.2.1. Zwar hat gerade für Ungarn die Große Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) bereits in einem Zeitpunkt nach dem Inkrafttreten der ungarischen Asylrechtsänderungen zum 1. Juli 2013 systemische Mängel verneint (EuGH (Große Kammer) U.v. 10.12.2013 - C-394/12 - Rn. 60 und 61, NVwZ 2014, 208).
2.6.2.2. Allerdings sind zwischenzeitlich neue Erkenntnismittel verfasst und veröffentlicht worden, die dem EuGH bei seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2013 noch nicht bekannt sein konnten, weil sie damals noch nicht existierten. Eine tragfähige Grundlage für die Annahme eines möglicherweise als systemisch zu bewertenden Mangels durch eine ungerechtfertigte Freiheitsentziehung kann dabei gegeben sein, wenn kompetente Stellen wie etwa der UNHCR und das EASO (Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen, errichtet durch die Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 132 v. 29.5.2010, S. 11) einen solchen Mangel feststellen (vgl. VG Hamburg B.v. 10.2.2014 - 19 AE 5415/13 - juris Rn. 24 - 32 und ihm folgend VG München B.v. 22.4.2014 - M 24 S 13.31311 - juris). An entsprechenden Stellungnahmen fehlte es zwar noch zur Zeit der soeben genannten Judikate; zwischenzeitlich sind aber weitere aktuelle Erkenntnismittel veröffentlicht worden, nämlich:
- Schreiben des UNHCR vom 9. Mai 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A (abrufbar in der öffentlich zugänglichen Datenbank MILO des BAMF);
- Bericht des HHC (Hungarian Helsinki Committee) zur Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn (Stand: Mai 2014; ebenfalls abrufbar in MILO);
- Ungarn-Länder-Bericht des AIDA (Asylum Information Database), der ebenfalls vom HHC geschrieben und vom European Council an Refugees and Exiles (ECRE) veröffentlicht worden ist (Stand: 30.4.2014; abrufbar unter: www.asylumineurope.org/reports/country/hungary).
Diesen Veröffentlichungen lassen sich insbesondere zur Inhaftierungspraxis Ungarns im Zusammenhang mit Asylfällen diverse Kritikpunkte entnehmen. Das Gericht schließt sich insoweit folgenden Ausführungen im Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 28. Mai 2014, Az. 13 L 172/14.A (juris Rn. 62 bis 100), an:
"Seit der (Wieder-)Einführung der Asylhaft zum 1. Juli 2013, die erneut eine Inhaftierung von Erstantragstellern - wie dem Antragsteller des vorliegenden Verfahrens - ermöglicht, wurden im Zeitraum von Juli bis Dezember 2013 rund 25 % aller Asylantragsteller auf dieser Grundlage inhaftiert (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, Frage 1, Seite 1).
Die Gesamtzahl der in diesem Zeitraum gestellten neuen Asylanträge belief sich auf 7.156, während die Anzahl der Inhaftierungen im gleichem Zeitraum 1.762 betrug; die Hafteinrichtungen waren in diesem Zeitraum regelmäßig voll besetzt (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 1 und Fußnote 1; aida, National Country Report Hungary, S. 48).
Nach der Dublin-Verordnung nach Ungarn zurücküberstellte Asylbewerber wurden in diesem Zeitraum flächendeckend inhaftiert (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014 zu Frage 3, S. 2).
Zwar stellt der Umstand, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 - wieder - Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn diese neuen Inhaftierungsvorschriften auch tatsächlich anwendet, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems dar. Denn auch das unionsrechtliche Regelungssystem geht seinerseits davon aus, dass eine Inhaftierung von Asylbewerbern - wenn auch unter engen Voraussetzungen - im Einzelfall möglich ist. Artikel 8 und 9 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragten (Neufassung) - im Folgenden: AufnahmeRL, geben den Mitgliedstaaten hierfür ausdrücklich einen rechtlichen Rahmen vor. Auch macht Ungarn ersichtlich nicht mehr in einem so umfassenden Umfang von den neuen Haftregelungen Gebrauch wie noch im Zeitraum bis zum 1. Januar 2013 nach der früheren Rechtslage.
Aus den aktuellen Erkenntnismitteln ergeben sich aber ungeachtet dessen sowohl hinsichtlich des Verfahrens der Haftanordnung durch die zuständige Verwaltungsbehörde (sog. Office of Immigration and Nationality - OIN) als auch mit Blick auf die gegen die Haftanordnung bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Anhaltspunkte für eine grundrechtsverletzende, insbesondere willkürliche und nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügende Inhaftierungspraxis, der die Asylbewerber rechtsschutzlos ausgeliefert zu sein scheinen.
Den Verwaltungsentscheidungen, mit denen die Asylhaft gegenüber Erstantragstellern angeordnet wird, fehlt es regelmäßig an einer einzelfallbezogenen Begründung. Denn die haftanordnenden Entscheidungen des OIN nennen weder den konkreten Haftgrund, noch enthalten sie Angaben dazu, warum die Inhaftierung aus Sicht der zuständigen Behörde im konkreten Einzelfall erforderlich und angemessen ist und insbesondere keine anderen milderen Mittel in Betracht kommen, um eine Verfügbarkeit des Antragstellers im Asylverfahren sicherzustellen, wie etwa die Stellung einer Kaution, die Anordnung einer Residenzpflicht oder regelmäßige Meldepflichten - Alternativen zur Haft, die im neuen ungarischen Asylrecht rechtlich durchaus vorgesehen sind (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 3, Seite 2; aida, National Country Report Hungary, a.a.O., S. 51).
Vielmehr werden Asylbewerber nur mündlich über die Gründe ihrer Inhaftierung informiert und erhalten die - nicht mit einer Begründung versehene - Haftanordnung noch dazu ausschließlich in ungarischer Sprache (vgl. aida, National Country Report Hungary, a.a.O., S. 56), was jedenfalls die Überprüfbarkeit der Anordnung und die Inanspruchnahme von Rechtsschutz für den Asylbewerber deutlich erschweren dürfte.
Dass vor der Anordnung der Haft eine - lediglich nicht schriftlich dokumentierte - Einzelfallprüfung erfolgt, ergibt sich ebenfalls nicht. Nach den Angaben im aida Länderbericht soll die Asylhaft nach der ungarischen Rechtslage zwar auf der Grundlage einer Prüfung der individuellen Umstände des Einzelfalls und nur dann erfolgen, wenn - s.o. - keine weniger einschneidenden Alternativen in Betracht kommen. Die Erfahrung zeige aber, dass Haftanordnungen gerade ohne eine solche Einzelfallprüfung ergingen und Haftalternativen nicht geprüft würden. Auch würden zur Verfügung stehende Instrumente zur Überprüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Haftanordnung in der Praxis nicht angewendet (vgl. aida, National Country Report Hungary, a.a.O., S. 51).
Vielmehr sei vollkommen intransparent und daher nicht vorhersehbar, welche Asylbewerber in Ungarn verhaftet würden und welche nicht und warum (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 3, S. 2).
Damit sehen sich aber grundsätzlich alle Asylbewerber bei der Erstantragstellung dem nicht einschätzbaren Risiko einer willkürlichen Inhaftierung ausgesetzt.
Soweit Dublin-Rückkehrer anders als die übrigen Asylbewerber nach ihrer Rückkehr nach Ungarn grundsätzlich inhaftiert werden (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 3, Seite 2), führt dies nicht zu einer anderen Bewertung, da es nach der Auskunftslage auch hinsichtlich dieser Personengruppe jedenfalls an jeder individuellen Prüfung der Haftvoraussetzungen und Haftgründe zu fehlen scheint.
Soweit ausweislich des aida Länderberichts nach neuem Recht unbegleitete Minderjährige nicht inhaftiert werden dürfen und alleinstehende Frauen und Familien mit Kindern - obwohl rechtlich möglich - tatsächlich nicht in Asylhaft genommen werden (vgl. aida, National Country Report Hungary, a.a.O., S. 48; andererseits [sind] andere besonders verletzliche Personen, z.B. ältere Menschen oder Menschen mit körperliche oder geistigen Erkrankungen/Behinderungen nicht von der Asylhaft ausgenommen sind und es bestehen auch keine ausreichenden Mechanismen, um diese Personen im Asylverfahren rechtzeitig zu identifizieren, S. 56), bleibt schon offen, ob dies auch auf die Personengruppe der Dublin-Rückkehrer zutrifft, der der Antragsteller zugehört. Jedenfalls gehört der Antragsteller aber ersichtlich nicht zu diesen besonders geschützten Personengruppen, die nach der aktuellen Erkenntnislage von einer Asylhaft tatsächlich verschont bleiben.
Es ist andererseits nicht ersichtlich, dass die vorhandenen Rechtsschutzmöglichkeiten wenigstens nachträglich eine ausreichende und wirksame rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierungsentscheidung bzw. ihrer Fortdauer gewährleisten könnten. Im Gegenteil bewerten die aktuellen Erkenntnismittel die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten als vollkommen ineffektiv und im Ergebnis wirkungslos. Selbständige Rechtsbehelfe stehen gegen die behördliche Anordnung der Asylhaft nicht zur Verfügung (vgl. aida National Country Report Hungary, a.a.O., S. 56 unten; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, a.a.O., zu Frage 7, Seite 6).
Die Überprüfung der Haftanordnungen erfolgt vielmehr im Rahmen einer automatischen gerichtlichen Haftüberprüfung erstmals nach 72 Stunden, anschließend dann - weil die Behörden regelmäßig die Verlängerung der Haft um jeweils weitere 60 Tage beantragen - in einem 60-Tage-Rhythmus. Die zuständigen Gerichte setzen dabei die Überprüfungstermine im Halbstundentakt und regelmäßig für Gruppen von 5 bis 15 Inhaftierte gleichzeitig an, so dass für jeden Fall nur wenige Minuten zur Verfügung stehen (vgl. auch aida-report, a.a.O., S. 57; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014 zu Frage 7, S. 7).
Eine einzelfallbezogene Überprüfung, ob die Haftanordnung rechtmäßig war und der Haftgrund fortbesteht, dürfte - zumal die Haftgründe und sonstigen behördlichen Erwägungen wie ausgeführt in der behördlichen Anordnung nicht schriftlich fixiert sind - den Gerichten unter diesen Umständen kaum möglich sein (so auch Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 7, Seite 7).
Erschwerend kommt hinzu, dass inhaftierte Asylbewerber zwar Anspruch auf einen kostenlosen Rechtsbeistand haben, diese Rechtsbeistände aber in den Haftprüfungsterminen normalerweise keine Einwände gegen die Verlängerung der Haftdauer erheben und regelmäßig auch nur in der ersten Überprüfung (nach 72 Stunden Haft) von Amts wegen zur Verfügung gestellt werden. Bei den späteren, wegen der regelmäßig erfolgenden Haftverlängerungen um 60 Tage grundrechtlich noch bedeutsameren Folgeüberprüfungen steht Asylantragstellern diese rechtliche Unterstützung in der Praxis dagegen regelmäßig nicht mehr zur Verfügung (vgl. aida, National Country Report Hungary, a.a.O., S. 57).
Hierzu fügt sich, dass nach einer Untersuchung, die das höchste Gericht Ungarns (Kuria) in den Jahren 2011 und 2012 durchgeführt hat, lediglich in drei von 5.000 bzw. 8.000 Fällen, die automatische Haftüberprüfung (durch dieselben Gerichte, die auch nach neuem Recht für die Überprüfung zuständig sind), tatsächlich zu einer Aufhebung der Haftanordnung geführt hat (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 7, Seite 7; aida National Country Report Hungary, a.a.O., Seite 57).
Damit spricht nach den aktuellen Erkenntnissen viel dafür, dass das vorhandene Rechtsschutzsystem ungeeignet ist, um Asylbewerbern wirksamen Schutz vor einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung von regelmäßig erheblicher Dauer zu bieten.
Soweit das ungarische Asylrecht neben der automatischen Haftprüfung vorsieht, dass der Asylbewerber gegen die Anordnung der Asylhaft eine sog. "objection", also wohl einen Einspruch, erheben kann, führt auch dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Dem UNHCR ist seit der Wiedereinführung der Asylhaft zum 1. Juli 2013 kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein solcher Einspruch tatsächlich erhoben worden ist. Nach Einschätzung des UNHCR werden Asylbewerber in der Praxis überhaupt nicht über diesen Rechtsbehelf informiert bzw. seitens der zuständigen Behörden mit dem Hinweis darauf, dass dieser Rechtsbehelf ungeeignet sei, die Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung anzugreifen, von einer Einlegung abgehalten (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 7, Seite 6).
Zu alledem fügt sich schließlich, dass Asylbewerber, die inhaftiert werden, nach den vorliegenden Erkenntnismitteln mit großer Wahrscheinlichkeit die gesamte Dauer ihres Asylverfahrens inhaftiert bleiben. Die maximale Haftdauer der seit dem 1. Juli 2013 neu geregelten Asylhaft beträgt sechs Monate und auch die durchschnittliche Haftdauer wird derzeit mit 4 bis 5 Monaten angegeben, reicht also deutlich an die rechtlich zulässige Höchsthaftdauer heran (vgl. aida National Country Report Hungary, a.a.O., S. 51 und 49)."
Angesichts insbesondere des hohen Gewichts, das Stellungnahmen des UNHCR beizumessen ist (EuGH U.v. 30.5.2013 - C-528/11 - Rn. 44, NVwZ-RR 2013, 660), führen die genannten neuesten Erkenntnismittel (Schreiben des UNHCR vom 9.5.2014; Bericht des HHC [Hungarian Helsinki Committee] vom Mai 2014; Ungarn-Länder-Bericht des AIDA [Asylum Information Database] - Stand: 30.4.2014) dazu, vom Vorliegen systemischer Schwächen im ungarischen Asylsystem i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO auszugehen. Denn im Hinblick auf diese seit nunmehr rund drei Monaten unveränderte und von der Beklagten nicht substantiiert in Zweifel gezogene Erkenntnismittellage ist davon auszugehen, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Ungarn grundsätzlich, ohne Angabe von Gründen und ohne eine Prüfung ihrer individuellen Umstände inhaftiert werden, sonstige Asylbewerber grundsätzlich jedenfalls dem Risiko einer willkürlichen Inhaftierung ausgesetzt sind und beide Gruppen mangels wirksamer Rechtsschutzmöglichkeiten die Anordnung der Haft bzw. die Haftfortdauer nicht mit Aussicht auf Erfolg überprüfen lassen können (vgl. VG Düsseldorf B.v. 28.5.2014 - 13 L 172/14.A - juris Rn. 101). Infolge dessen kommt es auch nicht mehr auf die Frage an, ob die konkreten Haftbedingungen der in Ungarn inhaftierten Asylbewerber das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß übersteigen.
Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass sich in der Zeit seit der Veröffentlichung der genannten Erkenntnismittel bis zur vorliegenden Entscheidung Veränderungen im ungarischen Asylsystem ergeben hätten. Die genannten fachkundigen Institutionen haben ihre kritischen Aussagen nicht relativiert, insbesondere hat der UNHCR keinen allgemeinen Bericht veröffentlicht, aus dem hervorginge, dass er seine kritische Haltung gegenüber dem ungarischen Asylsystem, die er in seiner Stellungnahme an das VG Düsseldorf zum Ausdruck gebracht hat, nicht mehr aufrecht erhalten würde. Der streitgegenständliche Bescheid setzt sich zwar mit der aktuellen Rechtslage in Ungarn, nicht aber mit der Frage der tatsächlichen Verhältnisse, wie sie in den genannten aktuellen Erkenntnismitteln dargestellt werden, auseinander. Auch hat die Beklagtenseite im gerichtlichen Verfahren nicht ansatzweise vorgetragen, dass sich insoweit Verbesserungen ergeben hätten. Das Gericht sieht deshalb im Hinblick auf die seit nunmehr rund drei Monaten unveränderte neuere Erkenntnismittellage gegenüber dem ungarischen Asylsystem und die dort vorgebrachten Kritikpunkte (s.o.) sowie im Hinblick darauf, dass die Beklagtenseite hiergegen auch auf das gerichtliche Anhörungsschreiben vom 14. Juli 2014 hin nicht substantiiert zur Frage zwischenzeitlicher Veränderungen im ungarischen Asylsystem vorgetragen hat, keinen Anlass für ergänzende Anfragen bei den genannten Stellen dahin, ob von deren kritischer Haltung abgerückt wird.
2.7. Dieses Ergebnis erscheint auch in Anbetracht des primärrechtlichen Gebots der effektiven Umsetzung der Dublin-II-VO (vgl. Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union - EUV) sachgerecht, weil im Fall des Klägers - eines Asylrückkehrers - angesichts der genannten neuesten Erkenntnismittel die Gefahr einer Verletzung unionsrechtlicher Grundrechte (Art. 4 GRCh), die ebenfalls Teil des unionsrechtlichen Primärrechts sind (vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV), hinreichend wahrscheinlich ist.
Dabei ist zwar zu sehen, dass den Regelungen der Dublin-II-Verordnung zunächst der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zugrunde liegt, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erschüttert sein muss, um zum Erfolg eines Rechtsbehelfs gegen eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG führen zu können. Dieser Grundsatz kann nicht mittels jedweder Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat außer Kraft gesetzt werden (vgl. EuGH (Große Kammer) U. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a. - Rn. 82, NVwZ 2012, 417); denn andernfalls würden die betreffenden Verpflichtungen zur Beachtung der Bestimmungen der Dublin-II-VO in ihrem Kern ausgehöhlt werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 85). Auch ist zu sehen, dass das Arbeitsprogramm 2014 der EASO (abrufbar unter: easo.europa.eu/wp-content/uploads/BZAC13001DEN.pdf) nach wie vor Ungarn nicht auflistet.
Das ändert aber nichts daran, dass Stellungnahmen des UNHCR - angesichts der Rolle, die diesem durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist - bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin-II-VO zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zukommt (EuGH U.v. 30.5.2013 - C-528/11 - Rn. 44, NVwZ-RR 2013, 660). Hinzu kommt, dass die im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung veröffentlichten aktuellen Stellungnahmen der Non-Government-Organisationen keine andere Einschätzung nahelegen als diejenige, die der UNHCR in seinem Schreiben vom 9. Mai 2014 dem Verwaltungsgericht Düsseldorf mitgeteilt hat (s.o.).
Dies rechtfertigt es, auch in Anbetracht des primärrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes und des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, im Hinblick auf Art. 4 GRCh, von systemischen Schwächen im ungarischen Asylsystem auszugehen, so dass Ungarn - obwohl an sich nach der Dublin-II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens des Klägers berufen - gleichwohl nicht zuständig ist.
2.8. In Art. 5 Dublin-II-VO ist - im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO - für den Mitgliedstaat, dem die Prüfung der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates gemäß Art. 4 Abs. 4 Dublin-II-VO obliegt, keine Weiterprüfungspflicht in Art. 5 Dublin-II-VO explizit normiert. Bereits deshalb bestehen Zweifel, ob unter der Geltung der Dublin-II-VO eine entsprechende verwaltungsgerichtliche Weiterprüfungspflicht besteht, ungeachtet dessen, dass eine solche nach dem Geltungsbereich der Dublin-III-VO aber auch nicht gleichsam "ins Blaue hinein" vorzunehmen ist, sondern nur insoweit, also sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben (OVG NRW U.v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris Rn. 31).
Vorliegend wäre eine Zuständigkeit anderer Mitgliedstaaten nach der Dublin-II-VO aber nicht ersichtlich. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger über einen Aufenthaltstitel oder ein Visum im Sinne von Art. 9 Dublin-II-VO verfügt hätte. Auch hat der Reiseweg des Klägers keine Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach Art. 10 Abs. 2 Dublin-II-VO begründet. Der Kläger hat seinen Reiseweg von Ungarn nach Deutschland zwar nicht im Detail geschildert; unabhängig von der Frage, durch welche Mitgliedstaaten die Reise des Klägers geführt hat, und abgesehen vom Fehlen aktenkundiger Beweismittel oder Indizien gemäß den in Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 3 Dublin-II-VO genannten Verzeichnissen wäre auch das Erfordernis eines mindestens 5-monatigen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat (Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin-II-VO) - nach dem klägerischen Vortrag ca. 6-monatiger Aufenthalt in Griechenland, aber auf nach Art. 10 Abs. 2 Dublin-II-VO ungesicherter Beweisgrundlage, wobei Griechenland zudem wegen systemischer Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen keine vorrangige Zuständigkeit zukommt - nicht gesichert gegeben. Ein Fall visafreier Einreise (Art. 11 Dublin-II-VO) ist beim Kläger, der afghanischer Staatsangehöriger ist, nicht gegeben. Art. 12 Dublin-II-VO ist nicht einschlägig, weil der Kläger nicht im Transitbereich eines Flughafens einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Danach ist die Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig.
Das führt im Ergebnis dazu, dass weder die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers nach § 27a AsylVfG noch für eine Abschiebungsandrohung nach § 34a AsylVfG vorgelegen haben und die insoweit zulässige Anfechtungsklage in vollem Umfang Erfolg hat (§ 113 Abs. 1 VwGO). [...]