VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 20.11.2014 - 9 K 946/14.A - asyl.net: M22526
https://www.asyl.net/rsdb/M22526
Leitsatz:

Nach Ablauf der Überstellungsfrist geht die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylbegehrens kraft Gesetzes auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Dem kann nicht mit dem Einwand entgegengetreten werden, ein Asylbewerber könne sich nicht auf Zuständigkeitsmängel, sondern nur auf systemische Mängel berufen wenn ein anderer Mitgliedsstaat seine Übernahmebereitschaft erklärt hat.

Schlagwörter: Dublinverfahren, Dublin III-Verordnung, Überstellungsfrist, Fristablauf, Ablauf der Überstellungsfrist, subjektives Recht, systemische Mängel, Zuständigkeit, Umdeutung, Durchführbarkeit, Durchführbarkeit der Zurückschiebung,
Normen: VO 604/2013 Art. 29 Abs. 2 S. 1, AsylVfG § 71a Abs. 4, AsylVfG § 71a, AsylVfG § 71a Abs. 1 Hs. 2, AsylVfG § 71a Abs. 2 S. 2, AsylVfG § 34a, AsylVfG § 34a Abs. 1, AsylVfG § 27a,
Auszüge:

[...]

In Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides hat die Beklagte die Unzulässigkeit des Asylantrages nach § 27a AsylVfG wegen eigener Unzuständigkeit festgestellt. Mit Ablauf der Überstellungsfrist ist aber die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylbegehrens auf den ersuchenden Mitgliedsstaat, also die Beklagte, übergegangen (vgl. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO).

Weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12) noch des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 - und vom 14. Juli 2014 -1 B 9.14) stehen dem entgegen.

Nach dieser Rechtsprechung kann nach einem erfolgreichen Aufnahmeersuchen der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung (bzw. Art. 27 Dublin-III-VO) vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO (bzw. Art. 13 Dublin-III-VO) niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten.

Soweit in diesem Zusammenhang ausgeführt wird, der Asylbewerber könne sich auf bestimmte Zuständigkeitsregelungen der Dublin-Verordnungen (bzw. deren Fehlanwendung) nicht berufen, so kann dies angesichts der Verpflichtung der Gerichte zur Anwendung des objektiven Rechts nur bedeuten, dass bestimmte rechtliche Mängel bei der Anwendung der Zuständigkeitskriterien keine Rechte des Asylbewerbers verletzen und er aus diesem Grunde keine Aufhebung der Überstellungsentscheidung beanspruchen kann.

In diesem Sinne hat der EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394112 - Rz. 49) geprüft, ob die in Kapitel III der Dublin-II-VO geregelten Kriterien Rechte der Asylbewerber begründen und diese Frage abschließend verneint.

Damit ist entschieden, dass sich ein Asylbewerber nicht auf Zuständigkeitsmängel, sondern nur ggf. auf "systemische Mängel" berufen kann, wenn ein anderer Mitgliedsstaat seine Übernahmebereitschaft erklärt und damit seine Zuständigkeit begründet hat.

Eine derartige Konstellation ist aber in Fällen der verstrichenen Überstellungsfrist nicht (mehr) gegeben, weil die (zumindest) durch die Übernahmebereitschaftserklärung begründete Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedsstaates kraft Gesetzes (wieder) entfallen ist und die Beklagte für den bei ihr gestellten Asylantrag zuständig geworden ist. Mit dieser Rechtsfolge endet die Maßgeblichkeit des Rechtsregimes der Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags, die sich nunmehr allein nach bundesdeutschem Asylrecht richtet. Das Asylverfahrensgesetz gibt dem Asylbewerber aber einen Anspruch auf Behandlung seines Asylantrags nach den dort geregelten Vorschriften.

Die von der Beklagten vertretene Auffassung der Umdeutung der Ziffer 1 des Bescheides in eine Entscheidung nach § 71a Abs. 4 AsylVfG führt zu keinem anderen Ergebnis.

Ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen für eine solche Umdeutung vorliegen, wäre auch eine derartige Entscheidung bereits infolge des Umstands rechtswidrig, dass die Beklagte die ihr nach § 71a Abs. 1 Halbsatz 2 AsylVfG obliegende Prüfung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bislang nicht durchgeführt hat. Die nach § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in Verbindung mit § 25 AsylVfG grundsätzlich durchzuführende persönliche Anhörung ist jedenfalls mit Blick auf die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bislang unterblieben. Dass die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 71a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG vorliegen, ist nicht ersichtlich.

Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung ist rechtswidrig, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Voraussetzungen dieser Norm nicht erfüllt sind.

§ 34a Abs. 1 AsylVfG ermöglicht Abschiebungsanordnungen in den Fällen des § 26a und § 27a AsylVfG. § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gilt vorliegend jedoch wegen § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG nicht, weil die Bundesrepublik für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig (geworden) ist. Dies führt ebenso zum Ausschluss der Anwendbarkeit des § 27a AsylVfG.

Weiterhin erfüllt die Abschiebungsanordnung nicht (mehr) die Voraussetzung des § 34a Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz AsylVfG, nachdem die Zuständigkeit Spaniens für den Asylantrag des Klägers und damit seine Verpflichtung zur Übernahme des Klägers entfallen ist. Hinreichende Gründe anzunehmen, es stehe fest, dass die Abschiebung dennoch nach Spanien durchgeführt werden könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. [...]