OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 25.11.2014 - 3 Bf 177/12 (= ASYLMAGAZIN 1-2/2015, S. 38 f.) - asyl.net: M22541
https://www.asyl.net/rsdb/M22541
Leitsatz:

Eine Anhörung Asylsuchender durch die Ausländerbehörde zu den Gründen und Umständen der Einreise ist nach Stellung des Asylantrags im laufenden Asylverfahren grundsätzlich rechtswidrig. Es besteht ein Anspruch auf Löschung eines entsprechenden Protokolls und darauf, dass die Ausländerbehörde diejenigen Stellen, denen das Protokoll übermittelt wurde von der Löschung unterrichtet.

Schlagwörter: Anhörungsprotokoll, Anhörungsniederschrift, Protokoll, Niederschrift, Löschung, Datenlöschung, Datenschutz, Datenspeicherung, personenbezogene Daten, Mitwirkungspflicht, Anhörung, Ausländerbehörde,
Normen: HmbDSG § 19 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, HmbDSG § 19 Abs. 5 S. 1, HmbDSG § 13 Abs. 1, AufenthG § 86, AsylVfG § 15 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

II. Die Klage ist begründet. Die Ablehnung der Datenlöschung und der Mitteilung über die Datenlöschung an das Bundesamt ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 6 Satz 1 VwGO). Er kann aufgrund von § 19 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HmbDSG die Löschung (1.) und gemäß § 19 Abs. 5 Satz 1 HmbDSG die Mitteilung an das Bundesamt verlangen, dass die Daten gelöscht wurden (2.).

1. Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HmbDSG sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Bei den protokollierten Angaben des Klägers handelt es sich sämtlich um personenbezogene Daten gemäß der Begriffsbestimmung in § 4 Abs. 1 HmbDSG, nämlich um Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse der Person des Klägern oder anderer natürlicher Personen. Diese Daten sind jedenfalls in Papierform im Protokoll festgehalten und somit gespeichert im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 HmbDSG. Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten, wozu gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 HmbDSG auch das Speichern gehört, ist nach § 6 Abs. 1 Satz 1 HmbDSG nur zulässig, soweit das Hamburgische Datenschutzgesetz oder eine besondere Rechtsvorschrift über den Datenschutz sie erlaubt oder die Betroffenen eingewilligt haben. Eine Einwilligung des Klägers in die Datenspeicherung liegt nicht vor. Auch eine Rechtsvorschrift, die die Datenspeicherung erlaubt, ist nicht ersichtlich:

a) Die Beklagte kann sich für die Datenspeicherung nicht erfolgreich auf § 88 AufenthG i.V.m. § 13 Abs. 1 HmbDSG berufen. Nach § 88 Satz 1 AufenthG ist die Erhebung personenbezogener Daten durch die mit der Ausführung des Aufenthaltsgesetzes betrauten Behörden zum Zweck der Ausführung dieses Gesetzes oder anderer ausländerrechtlicher Bestimmungen zulässig, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Die Speicherung erhobener Daten ist unter den in § 13 Abs. 1 HmbDSG genannten Voraussetzungen zulässig, wenn die Datenerhebung zulässig war (vgl. BAG, Urt. v. 22.10.1986, 5 AZR 660/85, Juras Rn. 21; Sokol/Schulz, in: Simitis, BDSG, 8. Aufl. 2014, § 13 Rn. 28; Dammann, ebenda, § 14 Rn. 34). Vorliegend war bereits die Datenerhebung nicht erforderlich im Sinne von § 86 Satz 1 AufenthG. Erforderlichkeit zur Aufgabenerfüllung im Sinne des § 86 Satz 1 AufenthG liegt nur vor, wenn die Daten zum Zweck der Vorbereitung einer konkreten ausländerrechtlichen Entscheidung oder Maßnahme erhoben werden. Die jeweilige Maßnahme oder Entscheidung muss konkret zur Erledigung anstehen (Hailbronner, AuslR, Stand Juni 2014, Ordner 2, § 86 Rn. 31; Winkelmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 86 AufenthG Rn. 10, 13; Petri, in: GK-AufenlhG, Stand Juli 2014, § 86 Rn. 39; vgl. zum Bundesdatenschutzgesetz BSG, Urt. v. 28.11.2002, B 7/1 A 2/00 R, juris Rn. 26).

aa) Soweit sich die Beklagte auf ihre Aufgabe zur Vorbereitung der Durchsetzung der Ausreisepflicht beruft, ist nicht ersichtlich, dass die Durchsetzung einer Ausreisepflicht als von ihr zu erledigende Aufgabe bevorstand. Denn der bereits vor der hier in Rede stehenden Anhörung vom Kläger gestellte Asylantrag und die ihm von der Beklagten erteilte Aufenthaltsgestattung standen der Abschiebung entgegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.12.1997, 1 B 219.97, NVwZ-RR 1998, 264 = Juris Rn. 4, 6 f.). Der Aufenthalt des Klägers war gemäß § 55 Abs. 1 AsylVfG gestattet und der Kläger war folglich nicht vollziehbar ausreisepflichtig (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.12.1997, 1 B 219.97, NVwZ-RR 1998, 264 = juris Rn. 6). Zwar kann die Ausländerbehörde einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nach § 60 Abs. 9 AufenthG abweichend von den Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes die Abschiebung androhen und diese durchführen, wenn ein Fall des § 80 Abs. 8 AufenthG vorliegt. Es ist jedoch nicht von der Beklagten dargetan oder sonst ersichtlich, dass sie konkrete Anhaltspunkte dafür hatte, dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorlagen oder sonst die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht des Klägers unmittelbar bevorstand.

bb) Soweit sich die Beklagte auf den Zweck der Feststellung eventueller Abschiebungshindernisse beruft, kommt für inlandsbezogene Hindernisse grundsätzlich eine Zuständigkeit im Rahmen der Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Betracht. Die Beklagte hat indes nicht vorgetragen, in Erwägung gezogen zu haben, dem Kläger eine Duldung zu erteilen. Im übrigen hätte dies vorausgesetzt, dass der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 3.11.1995, NVwZ-RR 1996, 366, Hailbronner. AuslR, Stand: Juni 2014, Ordner 2, § 60a, Rn. 61), was vorliegend nicht der Fall war. Auch auf eine Entscheidung über zielataatsbezogene Abschiebungsverbote kann sich die Beklagte nicht berufen, weil hierfür aufgrund des Asylantrags des Kläger ausschließlich das Bundesamt zuständig war (§§ 13 Abs. 2, 5 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 2 AsylVfG; BVerwG, Beschl. v. 3.3.2006, NVwZ 2006, 830; Beschl. v. 3.12.1997, 1 B 219/97, NVwZ-RR 1998, 284 u Juris Rn. 7; Dienelt, in Renner/Bergmann/Dienelt, § 72 AufenthG Rn. 7).

cc) Ferner diente die Datenerhebung weder der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 10 Abs. 1 AufenthG noch sollte der Kläger aufgrund von § 56 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ausgewiesen werden. Die genannten Vorschriften ermöglichen zwar ein Tätigwerden der Ausländerbehörde noch vor bestandskräftigem Abschluss des Asylverfahrens, die Beklagte hat aber nicht vorgetragen, dass sie erwogen hat, nach einer dieser Vorschriften vorgehen zu wollen. Im Übrigen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen dieser Vorschriften vorlagen.

dd) Die Datenerhebung war auch nicht zur Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit des Klägers erforderlich. Jeder Ausländer ist gemäß § 49 Abs. 2 AufenthG verpflichtet, auf Verlangen die erforderlichen Angaben zu seinem Alter, seiner Identität und Staatsangehörigkeit zu machen. Bestehen Zweifel über die Person, das Lebensalter oder die Staatsangehörigkeit des Ausländers, so sind nach § 49 Abs. 3 AufenthG die zur Feststellung seiner Identität, seines Lebensalters oder seiner Staatsangehörigkeit erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn erstens die Einreise erlaubt, ein Aufenthaltstitel erteilt oder die Abschiebung ausgesetzt werden soll oder es zweitens zur Durchführung anderer Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz erforderlich ist. Vorliegend stand, wie oben dargelegt, keine der benannten oder eine andere Maßnahme nach dem Aufenthaltsgesetz an. Ein Vorgehen nach § 49 Abs. 5 AufenthG, der in bestimmten Fällen Maßnahmen zur Feststellung und Sicherung der Identität auch unabhängig von einer konkret anstehenden aufenthaltsrechtlichen Maßnahme oder Entscheidung erlaubt, war der Beklagten versperrt, weil keiner der dort abschließend genannten Fälle vorlag.

b) Die Erhebung und Speicherung der in Rede stehenden Daten durch die Beklagte findet auch keine Rechtsgrundlage in §§ 7, 15 AsylVfG. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, zur Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalte verpflichtet, wobei er nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG insbesondere verpflichtet ist, den mit der Ausführung des Asylverfahrensgesetzes betrauten Behörden die erforderlichen Angaben mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich zu machen. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG dürfen die mit der Ausführung des Asylverfahrensgesetzes betrauten Behörden zum Zwecke der Ausführung dieses Gesetzes personenbezogene Daten erheben, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Die Beklagte war im Hinblick auf die Anhörung des Klägers jedoch nicht mit der Ausführung des Asylverfahrensgesetzes betraut und hat nicht zum Zwecke der Ausführung des Asylverfahrensgesetzes gehandelt. Die Beklagte hat keine konkrete Aufgabe nach dem Asylverfahrensgesetz benannt, zu deren Zweck sie handelte. Eine solche Aufgabe ist auch nicht ersichtlich. Insbesondere war die Anhörung keine erkennungsdienstliche Behandlung für die die Ausländerbehörde nach § 19 Abs. 2 AsylVfG auch gegenüber Asylantragstellern zuständig sein kann. Ein Tätigwerden im Rahmen von § 19 Abs. 1 AsylVfG, wonach dann, wenn ein Ausländer bei der Ausländerbehörde um Asyl nachsucht, dieser in den Fällen des § 14 Abs. 1 AsylVfG unverzüglich an die zuständige oder nächstgelegene Aufnahmeeinrichtung weiterzuleiten ist, scheidet ebenfalls aus. Zum Zeitpunkt der hier in Rede stehenden Anhörung hatte sich der Kläger, was der Ausländerbehörde bekannt war, bereits bei der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung angemeldet, an die er von der Polizei weitergeleitet worden war. Auch eine in die Zuständigkeit der Ausländerbehörde nach § 19 Abs. 3 AsylVfG fallende Zurückschiebung des Klägers ohne vorherige Weiterleitung an eine Aufnahmeeinrichtung stand nicht an.

2. War somit die Datenerhebung und -speicherung unzulässig, hat der Kläger einen Anspruch darauf, dass die Beklagte gemäß § 19 Abs. 5 Satz 1 HmbDSG des Bundesamt, an das sie das Protokoll übermittelt hat, über die Löschung verständigt. Die Verständigung ist nicht unverhältnismäßig i.S.d. § 19 Abs. b Satz 1 Halbsatz 2 HmbDSG. [...]