LG Passau

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Zitieren als:
LG Passau, Urteil vom 03.12.2014 - 1 Ns 36 Js 3630/14 - asyl.net: M22544
https://www.asyl.net/rsdb/M22544
Leitsatz:

Erklärt ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Ausländer, dass er ein Urteil bzw. einen Strafbefehl hinsichtlich des Strafmaßes anfechte, so kann nicht ohne weiteres von einer wirksamen Beschränkung ausgegangen werden. Es kann im Regelfall nicht ausgeschlossen werden, dass diese Formulierung nur den Beweggrund für die unbeschränkte Berufungsdurchführung angeben soll.

Schlagwörter: Urkundenfälschung, Sprache, Muttersprache, Einspruch, Rechtsmittel, Beschränkung des Einspruchs, Beschränkung des Rechtsmittels, Einspruchsbeschränkung, Strafbefehl, Dolmetscher, Strafverfahren, Rechtsfolgenausspruch, Fremdsprache,
Normen: StGB § 267, StPO § 328 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Mit Strafbefehl des Amtsgerichtes Passau vom 04.04.2014 wurde die Angeklagte wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt. Gegen diesen Strafbefehl erhob die Angeklagte form- und fristgericht Einspruch. In der Folge beraumte der Amtsrichter Hauptverhandlung für den 16.06.2014 an. Am 10.06.2014 zeigte sich für die Angeklagte Rechtsanwalt Fahlbusch als Verteidiger an und wies darauf hin, dass die Muttersprache der Angeklagten nicht Arabisch, sondern Tigrinya sei. Er beantragte zudem, den Hauptverhandlungstermin aufzuheben und neuen Termin anzuberaumen, da er beabsichtige, an der Hauptverhandlung teilzunehmen.

Der Amtsrichter gab dem Terminsverlegungsgesuch nicht statt. In der Hauptverhandlung am 16.06.2014 war eine Dolmetscherin für die arabische Sprache anwesend. Der Verteidiger war nicht anwesend.

Das Amtsgericht verurteilte die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,00 Euro. Es ging dabei davon aus, dass der Einspruch der Angeklagten wirksam auf die Höhe des einzelnen Tagessatzes beschränkt sei und daher Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Tagessatzanzahl in Rechtskraft erwachsen seien.

Gegen dieses Urteil legte der Verteidiger form- und fristgemäß Rechtsmittel ein. Das Rechtsmittel wurde nicht näher begründet, so dass es als Berufung zu werten ist.

II.

Auf die Berufung der Angeklagten war das Urteil des Amtsgerichtes Passau aufzuheben und die Sache zu einer erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Passau zurückzuverweisen.

1. Das Amtsgericht ist zu Unrecht von einem auf die Höhe des einzelnen Tagessatzes beschränkten Einspruch ausgegangen. Das Einspruchsschreiben der Angeklagten vom 22.05.2014 stellt keine wirksame Beschränkung des Einspruches dar. Der Verteidiger hat in der Berufungshauptverhandlung für die Angeklagte erklärt, dass eine Beschränkung des Einspruches zu keinem Zeitpunkt gewollt gewesen sei.

Zwar mag das von der Angeklagten unterzeichnete Schreiben vom 22.05.2014 dem ersten Anschein nach eine Einspruchsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch und hier auf die Tagessatzhöhe enthalten. In dem Einspruchsschreiben wird vorgebracht, dass die Angeklagte keine 10 Euro/Tag aufbringen könne und sie 3 Euro/Tag angemessen finde. Bei der Auslegung dieses Schreibens ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Das Einspruchsschreiben vom 22.05.2014 kann daher nicht aus ihrer Hand stammen. Wer letztlich dieses Schreiben verfasst hat (der Verteidiger war es nicht) ist ungeklärt. Wie weit es dem Vorstellungen der Angeklagten über den Umfang des Einspruchs entsprach, ist unklar. Erklärt ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Ausländer, dass er ein Urteil bzw. einen Strafbefehl hinsichtlich des Strafmaßes anfechte, so kann nicht ohne weiteres von einer wirksamen Beschränkung ausgegangen werden. Es kann im Regelfall nicht ausgeschlossen werden, dass diese Formulierung nur den Beweggrund für die unbeschränkte Berufungsdurchführung angeben soll (vgl. Kammergericht Berlin, 1 Ss 84/99).

Aus der Tatsache, dass sich die Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht am 16.06.2014 nicht gegen eine Behandlung ihres Einspruches als auf die Tagessatzhöhe beschränkt verwahrte, kann nichts Entscheidendes geschlossen werden. Der Angeklagten stand in der Hauptverhandlung vom 16.06.2014 kein Dolmetscher für ihre Muttersprache zur Verfügung. Es war lediglich eine Übersetzerin für die arabische Sprache anwesend. Die Angeklagte ist aber der arabischen Sprache nur eingeschränkt mächtig.

In der Berufungshauptverhandlung hat die Dolmetscherin ... als Zeugin ausgesagt, dass die Angeklagte allenfalls mittelmäßig arabisch gesprochen habe. Ob die Angeklagte in der Lage sei, die arabische Schrift zu lesen, wusste die Dolmetscherin nicht.

Neben der Tatsache, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Angeklagte aufgrund ihrer nur mittelmäßigen Arabischkenntnisse den Gang der Hauptverhandlung nicht in vollem Umfang registrierte, ist zu berücksichtigen, dass sie anwaltlich nicht vertreten war, obwohl ihr Verteidiger sich angezeigt und einen Terminsverlegungsantrag gestellt hatte.

Bei dieser Sachlage ist daher davon auszugehen, dass die vom Amtsgericht angenommene Beschränkung des Einspruches gegen den Strafbefehl auf die Rechtsfolgen bzw. die Tagessatzhöhe nicht wirksam erklärt wurde.

2. Grundsätzlich hat das Berufungsgericht gem. § 328 1 StPO unter Aufhebung des amtsrichterlichen Urteiles in der Sache selbst zu entscheiden. Eine Aufhebung des amtsrichterlichen Urteils und Zurückverweisung an das Amtsgericht ist nur in Ausnahmefällen möglich. Neben dem in § 328 II StPO normierten Fall der sachlichen Unzuständigkeit des Amtsgerichtes sind in der Rechtsprechung jedoch weitere Fälle anerkannt, in denen sich das Erstgericht fehlerhaft an einer Verhandlung zur Sache gehindert sah (vgl. OLG Stuttgart, NStZ 1995, S. 301).

Im vorliegenden Fall Ist das Amtsgericht zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung des Einspruches der Angeklagten gegen den Strafbefehl auf die Höhe des einzelnen Tagessatzes. Es sah sich deswegen daran gehindert, eine Entscheidung über den Schuldspruch zu treffen. Es fehlt daher an einer erstinstanziellen Entscheidung über den Schuldumfang, so dass eine Zurückverweisung geboten war. Würde das Berufungsgericht in der Sache selbst entscheiden, ginge der Angeklagten eine Tatsacheninstanz verloren.

Das Urteil des Amtsgerichtes Passau war daher aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Passau zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. [...]