VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 28.07.2014 - A 3 K 545/12 - asyl.net: M22552
https://www.asyl.net/rsdb/M22552
Leitsatz:

Homosexuelle Handlungen sind in Gambia strafbar. Individuelle Freiheitsrechte werden eingeschränkt. In Gambia sind keine Orte bekannt, an denen von Toleranz gegenüber Homosexuellen ausgegangen werden kann.

Schlagwörter: Gambia, homosexuell, sexuelle Orientierung, Strafbarkeit, politische Verfolgung, Homosexualität, Meinungsfreiheit,
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 1, AsylVfG § 3, AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Legt man diese Grundsätze zugrunde, so hat der Kläger glaubhaft gemacht, dass er in Gambia wegen seiner sexuellen Orientierung Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG ausgesetzt ist. Aufgrund der Angaben des Klägers bei seiner Anhörung vor dem erkennenden Gericht und des Eindrucks, den die Einzelrichterin in der mündlichen Verhandlung von ihm gewonnen hat, sowie seinen Einlassungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger nach Maßgabe dieser Grundsätze vorverfolgt aus Gambia ausgereist ist und die Vermutung für ihn spricht, dass sich im Falle seiner Rückkehr die frühere Verfolgung wiederholen wird. Stichhaltige Gründe, die dagegen sprechen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger homosexuell veranlagt ist. Er hat der Einzelrichterin einen absolut glaubwürdigen Eindruck vermittelt. Er antwortete bereitwillig, direkt und ohne Umschweife. Seine Angaben stimmten auch mit seinen Einlassungen bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt überein. Die Einzelrichterin ist davon überzeugt, dass er in Gambia eine langjährige homosexuelle Beziehung zu einem anderen jungen Mann hatte und deshalb in seiner Verwandtschaft und in seiner ihm bzw. seiner sexuellen Ausrichtung gegenüber feindlich eingestellten Umgebung asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt war. Die Einzelrichterin glaubt ihm auch, dass er derzeit eine homosexuelle Beziehung mit einem Mann aufrechterhält. Glaubhaft sind auch seine Bekundungen, dass er die Beziehung zu seinem langjährigen Partner in Gambia über die Jahre durch telefonische Kontakte aufrechterhalten hat und diese erst nach dem Eingehen der neuen Partnerschaft beendet hat.

Die Vermutung, dem Kläger drohten bei einer Rückkehr nach Gambia erneut Maßnahmen i.S.d. § 3a AsylVfG, ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt. Zwar ist Gambia auf dem Papier ein nach demokratischen Gesichtspunkten aufgebauter Staat. Indessen geben zahlreiche Erkenntnisquellen ein anderes Bild wieder. Der letzte Lagebericht des Auswärtigen Amtes datiert von 1999 und kann nicht mehr zur Bewertung der Lage herangezogen werden, denn in den Folgejahren hat sich die Menschenrechtslage in Gambia nach mehreren gescheiterten Putschversuchen wesentlich verschlechtert. So führt das Auswärtige Amt in neueren Länderinformationen aus, dass sich die Menschenrechtslage seit dem letzten Putschversuch im Jahre 2006 verschlechtert hat und das die Gewaltenteilung durch die Machtfülle des Präsidenten untergraben wird, worunter vor allem die Unabhängigkeit der Justiz leide. Auch würden individuelle Freiheitsrechte eingeschränkt. Politische Gegner und kritische Journalisten sowie Menschenrechtsverteidiger würden durch Polizei und den Nationalen Sicherheitsdienst NIA eingeschüchtert. Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit von Gerichtsverfahren worden von Internationalen Beobachtern geäußert (www.auswaertiges-amt.de/...). Noch deutlicher wird amnesty international. In neueren Jahresberichten (vgl. AMNESTY REPORT 2013, 2012 und 2011) wird gleichfalls von willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen, von Unterdrückung Andersdenkender, von Menschenrechtsverletzungen und Beschränkungen der Meinungsfreiheit berichtet. Die Regierung beschränke weiterhin die politische Freiheit, unterdrücke das Recht auf freie Meinungsäußerung und verübe Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Angehörige des gambischen Geheimdienstes NIA nähmen vermeintliche Regimegegner ohne rechtliche Grundlage fest und hielten sie in Haft. Es herrsche nach wie vor ein Klima der Angst (vgl. AMNESTY REPORT 2011). Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe bewertet die Menschenrechtslage in Gambia in ihrer SFH-Länderanalyse vom 13. Juli 2009 als sehr kritisch. Willkürliche Verhaftungen hätten zugenommen. Sicherheitskräfte misshandelten straflos Oppositionelle, Journalisten und Zivilisten. Häftlinge seien verlängerter Untersuchungshaft, Einzelhaft und unfairen Prozessen ausgesetzt (SFH-Länderanalyse vom 13. Juli 2009, Seite 1), würden ohne Anklage incommunicado festgehalten, hätten keinen Zugang zu Anwälten und Familienangehörigen, würden gefoltert und erhielten kein faires Verfahren (ebd. Seite 2 mit Nachweisen zahlreicher internationaler Quellen). Von einem Rechtsstaat, der sich an alle einschlägigen, der Wahrung der Menschenrechte dienenden nationalen und internationalen Rechtsbestimmungen hält, kann ganz offensichtlich keine Rede sein.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Situation der Homosexuellen in Gambia zu bewerten. Homosexualität ist in Gambia strafbar. Nach Art. 144 des gambischen Strafgesetzbuchs sind - auch einvernehmliche - "widernatürliche" körperliche Kontakte sowie der Versuch, solche Kontakte einzugehen, mit einer Gefängnisstrafe von 4 bis14 Jahren bewehrt. Homosexualität fällt nach allgemeiner gambischer (Rechts-) Auffassung unter widernatürliche Akte. Sie sind auch dann strafbar, wenn sie nicht in der Öffentlichkeit begangen werden. Auch gibt es in Gambia auch keine Orte, an denen von Toleranz gegenüber Homosexuellen ausgegangen werden kann (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23.06.2009 an das Bundesamt, juris). Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 07.11.2013 stellt der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solche keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 2 c der Richtlinie 2004/83 dar. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar (EuGH, Urteil vom 07.11.2013 – C-199/12 bis C-201/12 -, juris). Wie bereits ausgeführt, sind in Gambia homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt. Die Einzelrichterin ist auch angesichts der in Gambia herrschenden Willkürherrschaft davon überzeugt, dass in Fällen mit sicherer Beweislage auch tatsächlich Freiheitsstrafen verhängt werden. Nach dem Amnesty Report 2013 wurden im April 2012 bei einer Razzia in einem Nachtklub 18 Männer und zwei Frauen festgenommen, die Lesben, Schwule, Bisexuelle oder Transgender waren bzw. dafür gehalten wurden. Gegen sie wurde Anklage wegen "versuchter Unzucht" und "Verabredung zur Begehung schwerer Straftaten" erhoben. Wegen Mangels an Beweisen wurden die Vorwürfe im August fallen gelassen. Angesichts der vom Präsidenten Gambias Yahya Jammeh im Sommer 2008 in den gambischen Medien verbreiteten Aussage, wonach Homosexuelle geköpft werden müssten, ist mit einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung bei einer sicheren Beweislage konkret zu rechnen, auch wenn der Präsident diese Aussagen später geleugnet hat, nachdem die Pressemeldungen vor allem im Ausland enorme Wellen geschlagen hatten (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes und 23.06.2009 an das Bundesamt, juris; vgl. auch VG Sigmaringen, Urteil vom 27.09.2012 - A 8 K 196/11 -, juris).

Entgegen der Auffassung des Bundesamts in dem angefochtenen Bescheid kann vom Kläger auch nicht erwartet werden, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden (EuGH, Urteil vom 07 .11.2013, juris RN 76). [...]