VG Osnabrück

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Zitieren als:
VG Osnabrück, Urteil vom 27.10.2014 - 5 A 409/13 - asyl.net: M22567
https://www.asyl.net/rsdb/M22567
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für eine Person, die früher den Einheiten Jamadaevs angehörte und sich der Zusammenarbeit mit dem Regime Kadyrow weigert.

Schlagwörter: Russische Föderation, Tschetschenen, Jamadaev, Jamadajew, Tschetschenien, Kadyrow,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3, AsylVfG § 3 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

Der Kläger zu 1) macht als Fluchtgrund geltend, dass er wegen seiner früheren Zugehörigkeit zu den Einheiten Jamadejews sowie seiner Weigerungshaltung gegenüber dem Kadyrow-Regime befürchten muss, Opfer von Repressalien der Kadyrow-Regierung zu werden, Zudem trägt er vor, dass er Opfer einer Blutrache durch die Verwandten des 2013 verstorbenen Mittäters aus 2008 werden könnte.

Das Vorbringen des Klägers zu 1) ist nach Überzeugung des Gerichts glaubhaft. Er hat in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig, insbesondere detailreich, und grundsätzlich auch in Übereinstimmung mit der Schilderung bei der Beklagten die Umstände angegeben, die zu seiner Flucht geführt haben. Dass er den Vorfall aus 2013 nicht schon im Rahmen der Anhörung vor der Beklagten genannt hat, hat er plausibel damit erklärt, dass er davon ausgegangen sei, dass die bis 2013 von ihm geschilderten und auch aus dem Internet recherchierbaren Vorfälle ausreichen würden. Zudem hat der Kläger zu 1) glaubhaft vorgetragen, dass er sich für die Tat schämte und nicht viele überhaupt von der Tat wüssten. Aus diesem Grund hätten auch seine beiden Töchter der mündlichen Verhandlung nicht beigewohnt. Die Aussagen hinsichtlich der Lossagung durch den Vater des Klägers zu 1) runden das Bild der insgesamt zu bejahenden Verfolgungsgefahr ab.

Seine persönliche Betroffenheit war dem Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung anzumerken. Insbesondere aber bei seiner Frau, der Klägerin zu 2), war die Angst um ihren Mann zu spüren.

Im Übrigen decken sich die Schilderungen der Klägers zu 1) und seine ernst zu nehmende Befürchtung, Opfer von Repressalien des Regimes des Oberhauptes Kadyrow zu werden, mit den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen über die Lage in Tschetschenien. Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013 (Stand: März 2013) hat Oberhaupt Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NROs zeichnen danach ein insgesamt düsteres Lagebild. Weiter heißt es, dass Gewalt und Menschenrechtsverletzungen dort an der Tagesordnung blieben, es herrsche ein Klima der Angst und Einschüchterung.

Das Gericht ist deshalb davon überzeugt, dass sich das von dem Kläger zu 1) geschilderte Geschehen tatsächlich im Wesentlichen so abgespielt hat und er mit seiner Familie vorverfolgt ausgereist ist. Die o.g. Beweiserleichterung begründet die in diesem Fall nicht widerlegte tatsächliche Vermutung dafür, dass er im Fall einer Rückkehr in das Heimatland erneut von einer Verfolgung bedroht ist. Stichhaltige Gründe, die diese Vermutung entkräften, liegen nicht vor. Zwar ist der Umstand, dass er seit 2008 nicht mehr Opfer von körperlichen Auseinandersetzungen mit Kadyrows Leuten geworden ist, zu berücksichtigen. Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung jedoch glaubhaft angegeben hat, dass er nach dem Vorfall im Februar 2013 aus Angst vor Rache oder Repressalien nicht mehr alleine auf die Straße gegangen sei, geht das Gericht davon aus, dass eine tatsächliche Gefahr, erneut Opfer von Kadyrows Männern oder auch von den Verwandten des 2013 Verstorbenen zu werden, gegeben ist.

Für den Kläger zu 1) besteht auch keine inländische Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylVfG. Ein ausreichender Schutz des Klägers zu 1) vor den Männern Kadyrows ist bei einer Rückkehr nicht gewährleistet. Denn es ist aufgrund der Unterstützung Kadyrows durch den russischen Präsidenten Putin davon auszugehen, dass Kadyrow landesweit Beziehungen haben wird, den Kläger zu 1) ausfindig zu machen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger zu 1) für den Jamadajew-Clan gearbeitet hat, Kadyrow auch in den Medien noch immer im Zusammenhang mit der Ermordung von Sulim Jamadajew genannt wird und sich der Kläger zu 1) mehrfach geweigert hat, für Kadyrow tätig zu werden.

Aufgrund des Umstandes, dass die Kläger zu 2) bis 5) nach dem glaubhaften Vortrag des Klägers zu 1) ebenfalls bereits zumindest bei der Reise zu ihren Ehemann/Vater an- und festgehalten und auch andere Verwandte des Klägers zu 1) in Gudermes ebenfalls festgehalten worden sind, um Druck auf den Kläger zu 1) auszuüben, ist auch in dem Fall der Kläger zu 2) bis 5) von dem Vorliegen einer Vorverfolgung aus o.g. Gründen auszugehen. Aus Gründen der Sippenhaft nimmt das Gericht daher auch in dem Falle der Ehefrau und Kinder die Flüchtlingseigenschaft gem. § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 AsylVfG an (vgl. zu der Sippenhaft in Tschetschenien: OVG des Saarlandes, Urt. v. 12.03.2012, 3 A 264/10, juris, m.w.N.). [...]