VG Osnabrück

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Zitieren als:
VG Osnabrück, Urteil vom 25.02.2015 - 5 A 183/14 - asyl.net: M22711
https://www.asyl.net/rsdb/M22711
Leitsatz:

1. Zwar kann sich ein Asylsuchender auf die Einhaltung der Zuständigkeitskriterien der Dublin-III-VO im Rahmen eines Rechtsbehelfs nur mit der Begründung berufen, dass er in seinen Grundrechten verletzt wird. Dies gilt aber nicht (mehr), wenn die Beklagte selbst davon ausgeht, dass wegen Ablaufs der Überstellungsfrist die Zuständigkeit feststeht, da der Asylsuchende dann nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 Dublin-II-VO, Art. 3 Abs. 1 S. 1 Dublin-III-VO bzw. Art. 16a Abs. 1 GG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens in Deutschland hat.

2. Die Umdeutung der Feststellung der Unzulässigkeit eines Asylantrages wegen Unzuständigkeit in die Ablehnung eines Zweitantrags gemäß § 71a AsylVfG ist rechtswidrig, da sie nicht den Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 VwVfG (Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes) genügt.

Schlagwörter: Dublin III-Verordnung, Zuständigkeit, EuGH, Abdullahi, Überstellungsfrist, Fristablauf, subjektives Recht, Zweitantrag, Umdeutung, unzulässig, Unzulässigkeit, Dublinverfahren,
Normen: VO 343/2003 Art. 3 Abs. 1 S. 1, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 1 S. 1, GG Art. 16a Abs. 1, AsylVfG § 71a, VwVfG § 47 Abs. 1, VwVfG § 51, GG Art. 19 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

2. Hinsichtlich Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags) ist die zulässige Klage begründet.

Dazu hat die Kammer ausgeführt (Urteil vom 16.02.2015 - 5 A 248/14 - juris -):

"Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ist gem. § 77 Abs. 1 AsylVfG derjenige der mündlichen Verhandlung.

a) Es besteht ein Rechtsschutzinteresse der Kläger an der Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Zwar kann sich der Asylbewerber auf die Einhaltung der Kriterien, die nach der Dublin III-VO die Zuständigkeit des jeweiligen Mitgliedsstaates begründen, nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 10.12.2013 - Abdullahi gegen Bundesasylamt, C-394/12 - und vom 14.11.2013 - Bundesrepublik Deutschland gegen Puid - C-4/11 -) im Rahmen seines Rechtsbehelfs nur mit der Begründung berufen, dass er in seinen Grundrechten verletzt wird (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6/14 -; juris Rn. 5 - 7, Berlit, jurPR-BVerwG 12/14 Anmerkung 3 vom 16.06.2014 zu BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 - juris, OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.11.2014 -13 LA 66/14 - ).

Dies gilt aber nicht - mehr -, wenn das beklagte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - wie hier - selbst davon ausgeht, dass wegen des Ablaufes der Überstellungsfristen die Zuständigkeit der deutschen nationalen Behörden zur Prüfung des Asylverfahrens gegeben ist.

Denn der Asylbewerber hat gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO bzw. Art. 16a Abs. 1 GG ein subjektiv-öffentliches Recht auf die Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens.

Allein durch den Fristablauf im Rahmen des Überstellungsverfahrens wird zwar zur Überzeugung der Kammer auch weiterhin kein subjektives Recht auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland begründet. Aber durch den Fristablauf wird das Verfahren gleichsam in den Zustand zurückversetzt, in dem es sich bei Antragstellung in Deutschland befunden hat, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens übernimmt. Damit lebt die Pflicht des Bundesamtes zur Behandlung des Asylantrages wieder auf.

Dies schließt die Pflicht zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens einschließlich einer Anhörung gem. § 71a Abs. 2 i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG in Deutschland ein. Ob von der Anhörung - wovon das Bundesamt offenbar regelmäßig ausgeht - gem. § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG abgesehen werden konnte, kann nicht überprüft werden, weil den Asylbewerbern nicht bekannt war, dass ihr Begehren jetzt als Zweitantrag gewertet werden soll.

Erst im Anschluss an eine ordnungsgemäße Anhörung kann das Bundesamt prüfen, ob es sich um einen Erst- oder um einen Zweitantrag handelt (vgl. VG Würzburg, Urteil vom 27.11.2014 - W 3 K 13.30553 -, juris -).

b) Auch materiell - rechtlich unterliegt Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge der Aufhebung.

aa) Allerdings verkennt die Kammer nicht, dass der angefochtene Bescheid in seiner ursprünglichen Form rechtmäßig war. Wie bereits dargelegt, können die Kläger grundsätzlich den Ablauf der Überstellungsfrist gegen die Rechtmäßigkeit der Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrages durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlingen nicht einwenden.

Durch die zwischenzeitlich mit Schriftsatz des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21.1.2015 vorgenommene Umdeutung der Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrages in eine Ablehnung eines so genannten Zweitantrages gemäß § 71a AsylVfG erhält aber Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides jedenfalls aus der hier zunächst allein zu bewertenden Sicht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge eine neue Qualität, weil es jetzt von einer Ablehnung eines Zweitantrages gem. § 71a AsylVfG ausgeht

bb) Diese Umdeutung ist allerdings rechtswidrig. Ein fehlerhafter - rechtswidriger oder nichtiger - Verwaltungsakt kann gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind unter diesen Voraussetzungen sogar die Verwaltungsgerichte im Gerichtsverfahren ermächtigt, fehlerhafte Verwaltungsakte umzudeuten (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.11.1999 - 9 C 16.99 -, BVerwGE 110, 111; lnfAuslR 2000, 125 zur Umdeutung eines asylrechtlichen Widerrufs in eine Rücknahme ; Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 9 C 53.97 - BVerwGE 108, 30 35> unter Hinweis auf BVerwGE 80,96; ferner BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 1993 - BVerwG 7 B 107.92 - Buchholz 316 § 45 VwVfG Nr. 23 = NVwZ 1993, 976; Beschluss vom 30. Januar 1992 - BVerwG 2 CB 15.90 - Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 56; Beschluss vom 1. Juli 1983 - BVerwG 2 B 176.81 - Buchholz 316 § 47 VwVfG Nr. 4 = NVwZ 1984, 645 und Urteil vom 10. Juni 1981 - BVerwG 8 C 15.81 - BVerwGE 62, 300, 306).

Außerdem dürfen die Rechtsfolgen für den Betroffenen nicht ungünstiger sein (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG).

Das ist hier nicht der Fall.

Sobald auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst von der Zuständigkeit der deutschen nationalen Behörden zur Prüfung des Asylbegehrens des Asylbewerbers ausgeht, verändert dieser Umstand in maßgeblicher Hinsicht die materiell-rechtliche Tragweite der vom Bundesamt getroffenen Entscheidung.

Denn die Entscheidung im Dublin-Verfahren betrifft allein die Frage, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dagegen muss im Rahmen der Prüfung eines Zweitantrages gem. § 71a Abs. 1 AsylVfG festgestellt werden, ob seit der Beendigung des Asylverfahrens In einem anderen Mitgliedstaat Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eingetreten sind, es muss damit eine Beurteilung des inhaltlichen Vortrags des Asylbewerbers erfolgen. Darüber hinaus müssen gem. §§ 71a Abs. 2, 24 Abs. 2 AsylVfG auch die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG geprüft werden. Eine inhaltliche Ablehnung des Asylbegehrens ist zudem für den Antragsteller ungünstiger als der bloße Verweis auf das Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat.

Damit würde aber der Bescheid ganz andere Rechtswirkungen erhalten, die in dem ursprünglichen Ausgangsbescheid keine Rolle gespielt haben und somit auch darin nicht enthalten waren.

Deshalb scheitert die vom Bundesamt vorgenommene Umdeutung der Ziffer 1 des Bescheides bereits an der Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses.

cc) Allerdings verkennt die Kammer nicht, dass grundsätzlich eine nicht zulässige Umdeutung des Verwaltungsaktes lediglich dazu führt, dass der - inzwischen durch Fristablauf objektiv rechtswidrige - Verwaltungsakt in seinem ursprünglichen Regelungsgehalt bestehen bleibt und damit auch mit seinem ursprünglichen Regelungsgehalt Prüfungsgegenstand im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bliebe. Dies hätte zur Folge, dass die Kläger gegen den Bescheid nicht geltend machen könnten, wegen des Fristablaufs in ihren subjektiven Rechten verletzt zu sein (s.o.).

Diese fehlende Verletzung von subjektiven Rechten der Kläger hat der EuGH in seinen oben genannten Entscheidungen allerdings damit begründet, dass die entsprechenden Vorschriften der Dublin II- bzw. Dublin III-VO allein die Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten regeln sollen. Dadurch, dass jetzt - nach Ablauf der Überstellungsfrist - aber die Zuständigkeit der deutschen Behörden unstreitig und auch nach Auffassung der Beklagten gegeben ist, entfällt der Sinn und Zweck dieser (Zuständigkeits-) Regelung.

Dementsprechend versucht das beklagte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - im Ergebnis erfolglos - Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides in die Ablehnung eines Zweitantrages gemäß § 71a AsylVfG umzudeuten mit der Folge, dass dann nur noch über die Durchführung eines dritten (?) Asylverfahrens bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG bzw. allein über das Vorliegen von nationalen Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu entscheiden wäre und fordert die Asylbewerber schriftlich auf, Wiederaufgreifensgründe im Sinne des § 51 VwVfG vorzutragen. Der Kammer erschließt sich in diesem Zusammenhang bereits nicht, ab welchem Zeitpunkt die Beklagte davon ausgehen will, dass die dreimonatige Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG zum Vorbringen neuer Tatsachen durch die Asylbewerber beginnen soll und in welchem Rahmen das Verschuldenserfordernis des § 51 Abs. 2 VwVfG geprüft werden soll. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Kläger jedenfalls bis zum Erhalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 21.01.2015 davon ausgehen mussten, dass Streitgegenstand im vorliegenden Fall auch aus der Sicht der Beklagten allein ihre Überstellung nach Schweden war.

Deshalb gebietet es auch der in Art. 19 Abs. 4 GG normierte Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides aus Klarstellungsgründen aufzuheben, um den durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch die von ihm vorgenommene Umdeutung des angefochtenen Bescheides gesetzten Rechtsschein zu beseitigen."

An dieser Auffassung hält die Kammer weiter fest. [...]