LG Verden

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Zitieren als:
LG Verden, Beschluss vom 25.11.2014 - 3 T 142/14 - asyl.net: M22782
https://www.asyl.net/rsdb/M22782
Leitsatz:

Allein die Weigerung des Betroffenen, freiwillig einen Pass bzw. Passsersatzpapiere bei dem zuständigen Konsulat zu besorgen, reicht für die Annahme, dass er sich der Abschiebung entziehen will, nicht aus.

Schlagwörter: Haftbeschwerde, Beschwerde, Abschiebungshaft, Einvernehmen der Staatsanwaltschaft zur Abschiebung, Staatsanwaltschaft, strafrechtliches Ermittlungsverfahren, Strafverfahren, Ermittlungsverfahren, Vollstreckung des Strafrests, Reststrafe, Strafrest, Vernehmung, Durchführbarkeit der Abschiebung, Haftdauer, Erforderlichkeit, Beschleunigungsgebot, Haftanordnung, Haftbeschluss, Haftgrund, Entziehungsabsicht, Sicherungshaft, Passbeschaffung, Mitwirkungspflicht, Passpflicht, Ausweisung, einstweiliger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Freiheitsentziehung, Konsultierung der konsularischen Vertretung,
Normen: FamFG § 417, AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1, AufenthG § 62 Abs. 1, AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5,
Auszüge:

[...]

b) Keinen Mangel vermag die Kammer darin zu erkennen, dass der Haftantrag vorliegend keine Ausführungen darüber enthält, dass ein Einvernehmen der Staatsanwaltschaft in die Abschiebung gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 Aufenthaltsgesetz vorliegt. Denn vorliegend ist nicht ersichtlich, dass gegen den Betroffenen öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist. Das Verfahren, wegen dessen die Verurteilung vom 12. September 2012 erfolgt ist, ist rechtskräftig abgeschlossen. Dass noch die Vollstreckung eines Strafrestes aussteht, erfordert nach Auffassung der Kammer kein Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Aufenthaltsgesetz. Das gegen den Betroffenen ursprünglich eingeleitete Strafverfahren wegen des Vorwurfs des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vom 6. Mai 2014 ist zwischenzeitlich durch die zuständige Staatsanwaltschaft gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt, so dass auch insofern ein Einvernehmen im Sinne der genannten Vorschrift des Aufenthaltsgesetzes nicht erforderlich ist. Im übrigen sind Strafverfahren gegen den Angeklagten nicht ersichtlich. Da allerdings fehlender Vortrag zu einem erforderlichen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft bereits zur Unzulässigkeit des Haftantrages führt, wird der Landkreis stets umsichtig zu prüfen haben, ob gegen einen Betroffenen Strafverfahren anhängig sind. Hierzu reicht es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits aus, wenn die Polizei den Betroffenen selbst als Beschuldigten führt und einen Ermittlungsvorgang anlegt, selbst wenn der Betroffene nicht als Beschuldigter vernommen wird (BGH, Beschluss vom 15. November 2012, Geschäftsnummer V ZB 119/12, Rn. 10).

c). Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Haftantrages bestehen allerdings insoweit, als Darlegungen zur Erforderlichkeit der Haft, Durchführbarkeit der Abschiebung und der notwendigen Haftdauer erfolgt sind. Die Begründung des Haftantrages muss dabei auf den konkreten Fall zugeschnitten sein. Sie dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen. Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese im konkreten Fall vorliegen.

Hierzu hat der Landkreis nur recht allgemeine Angaben zu Angaben des Landeskriminalamts bezüglich der üblichen Dauer der Besorgung von Passersatzpapieren für türkische Staatsbürger (ca. 2 Wochen) gemacht. Weshalb insgesamt ein Zeitraum von drei Wochen zur Inhaftierung des Betroffenen zur Durchführung der Abschiebung erforderlich sein soll, erschließt sich jedoch nicht ohne weiteres. Offenbar sollte die "günstige Gelegenheit" genutzt werden, die Abschiebung des Betroffenen an dem Tag durchzuführen, an dem das Landeskriminalamt ohnehin schon eine begleitete Abschiebung in die Türkei durchführt, nämlich am 27. November 2014. Dieser Vortrag indiziert indes, dass bei der Abschiebung des Betroffenen von vornherein ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Kauf genommen wird. Wie die Vertreterin des Landkreises in dem Anhörungstermin vor der Kammer selbst angab, wäre eine Abschiebung des Betroffenen offenbar auch unmittelbar nach Vorliegen der Passersatzpapiere, also möglicherweise noch am 20. November 2014 möglich gewesen. Dann ist es aber untunlich, mit der Abschiebung noch eine weitere Woche zu warten und den Betroffenen über diesen Zeitraum zusätzlich seiner Freiheit zu entziehen.

Es bestehen daher nicht unerhebliche Bedenken, ob der Vortrag des Landkreises in dem genannten Punkt den strengen Anforderungen des Bundesgerichtshofs entspricht (vgl. Beschluss vom 15. November 2012, Geschäftsnummer V ZB 119/12, Rn. 7), was bereits zur Unzulässigkeit des Haftantrages führen würde.

2. a) Die Haftanordnung das Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck war aber jedenfalls - und darauf kommt es der Kammer entscheidend an - aufzuheben, weil ein ausreichender Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegt. Die Abschiebungshaft ist, wie sich schon aus § 62 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz ergibt, ultima ratio. Dass der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig ist, er aber erklärt, Deutschland nicht verlassen zu wollen, reicht für die Anordnung von Sicherungshaft zum Zwecke der Abschiebung nicht aus. Da die Anordnung von Sicherungshaft grundsätzlich bereits eine Entzugsabsicht des Betroffenen voraussetzt, sind - wenn allein auf den Haftgrund des § 82 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Aufenthaltsgesetz (wie hier) abgestellt werden kann - besonders strenge Voraussetzungen an den Haftgrund abzulegen.

Die Voraussetzungen des Haftgrundes vermag die Kammer insgesamt nicht zu erkennen. Der Umstand, dass der Betroffene sich nach Bremen umgemeldet hat und sich dabei möglicherweise - anders als von ihm behauptet - ganz überwiegend doch noch bei Familienangehörigen im Gebiet des Landkreises Osterholz aufhält, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen will. Die Wohnung in Bremen befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Gebiet des Landkreises Osterholz. Wie insbesondere der Umstand zeigt, dass der Betroffene nur wenige Stunden nach Erlass der einstweiligen Verfügung des Amtsgerichts Osterholz Scharmbeck vom 31. Oktober 2014 in Ritterhude, in einem Geschäft seines Bruders, festgenommen werden konnte, zeigt auch, dass der Betroffene für die Ausländerbehörde und die Polizei unproblematisch greifbar war. Dies ist nach Auffassung der Kammer dahingehend zu würdigen, dass nur geringe Umstände dafür sprechen, dass der Angeklagte sich der Abschiebung entziehen will. Denn dem Betroffenen war am 31. Oktober 2014 bekannt, dass der Landkreis unbedingt durchsetzen wollte, dass er türkische Passpapiere beantragt und erhält und anschließend seine Abschiebung durchgeführt wird. Zuvor war eine Aufforderung vom 13. August 2014, dann auch eine solche mit Anordnung des Erscheinens bei der Polizei vom 8. Oktober 2014 ergangen, gegen die der Betroffene sich - vergeblich - ersichtlich zur Wehr gesetzt hatte. Es war für ihn ohne weiteres absehbar, dass der Landkreis weitere Maßnahmen durchsetzen wird, um die Ausweisungsverfügung vom 11. Juni 2014 vollziehen zu können. Gleichwohl ist der Betroffene im Großraum Bremen-Nord/Osterholz-Scharmbeck geblieben und konnte von der Polizei wenige Stunden nach Erlass der ersten Haftanordnung festgenommen werden.

Allein die Weigerung des Betroffenen, freiwillig einen Pass bzw. Passersatzpapiere bei dem zuständigen Konsulat zu besorgen, reicht für die Annahme eines begründeten Verdachts, dass er sich der Abschiebung entziehen will, nicht aus. Einen misslungenen Abschiebungsversuch hat es bislang nicht gegeben. Die bisherige Weigerung des Betroffenen ist auch vor dem Hintergrund erklärbar, dass insbesondere über seine Eilanträge gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung vom 11. Juni 2014 noch nicht entschieden war und - endgültig durch das Beschwerdegericht - auch bislang noch nicht entschieden ist. Insoweit kann dem Betroffenen auch nicht vorgehalten werden, dass er Eilanträge beim Verwaltungsgericht früher hätte stellen müssen. Insoweit war er nämlich erst rechtsschutzbedürftig, nachdem Passersatzpapiere beantragt waren (also am 4. November 2014). Vorher war eine Abschiebung mangels fehlender Personalpapiere ohnehin nicht möglich, so dass ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig gewesen wäre. Den Eilantrag beim Verwaltungsgericht hat der Betroffene dann aber zeitnah am 9. November 2014 eingereicht.

b) Hinzu kommt, dass - wie bereits oben ausgeführt - der Landkreis das Abschiebungsverfahren aber auch nicht mit größtmöglicher Beschleunigung (wie in einer Freiheitsentziehungssache nun einmal erforderlich) durchgeführt hat. Der Landkreis hätte dafür Sorge tragen müssen, dass der Betroffene schnellstmöglich abgeschoben werden kann, damit er nicht unnötig lange seiner Freiheit entzogen ist.

Der Landkreis hat aber nach Eintreffen der Personalersatzpapiere nichts dahingehend unternommen, die Abschiebung dann umgehend vorzunehmen, sondern hat den vorher anvisierten Termin vom 27. November 2014 schlicht abgewartet.

c) Die Kammer neigt zu der Ansicht, dass die Abschiebungshaft schon deswegen rechtswidrig gewesen wäre, weil der der Betroffene bei seiner Festnahme am 31. Oktober 2014 nicht nach Artikel 36 Nr. 1 b WOK belehrt worden ist. Zwar hat das Landgericht Landau in einem Beschluss vom 16.05.2012 (Geschäftsnr. 3 T 90/12) ausgeführt, dass die Belehrung auch noch in der Anhörung vor dem Beschwerdegericht geheilt werden kann. Der BGH hat in seinem auf die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss ergangene Entscheidung vom 11.10.2012 dies nicht beanstandet (Gescläftsnr. V ZB 104/12). Allerdings legen die Entscheidungen vom 12.05.2011 und vom 06.05.2010 (Geschäftsnr. V ZB 23/11 und V ZB 223/09) nahe, dass spätestens durch den die Abschiebungshaft anordnenden Richter am Amtsgericht die Belehrung über die Möglichkeit der Konsultierung der konsularischen Vertretung erfolgen muss, und zwar selbst dann, wenn aufgrund bestimmter Äußerungen des Betroffenen die Vermutung nahe liegt, dass dieser mit der konsularischen Vertretung seines Heimatlandes nicht in Kontakt treten möchte. [...]