Aufgrund der Kapazitätsengpässe bei den Unterbringungsmöglichkeiten von Asylsuchenden besteht ohne eine individuelle Zusicherung Italiens die Gefahr der Obdachlosigkeit. Dies gilt auch für Personen, die nicht besonders schutzbedürftig sind.
[...]
7. Die somit an sich anzunehmende Zuständigkeit Italiens scheitert allerdings gleichwohl an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO, weil das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien an systematischen Mängeln leiden und ernsthafte, durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme bestehen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) ausgesetzt zu werden. Dabei kann sich der Antragsteller auch persönlich auf den Ausschlussgrund des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO berufen, weil dieser seinerseits auf die grundrechtliche Wertung des Art. 4 GRCh als eines subjektiven Schutzrechts des Antragstellers gegen die (die unionsrechtliche Dublin-III-VO vollziehende) Bundesrepublik Deutschland zurückgeht (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh; vgl. EuGH (Große Kammer) U.v. 14.11.2013 - C-4/11 - Rn. 36 f., NVwZ 2014, 129).
7.1. Ausgangspunkt des Gerichts sind die - unter Rückgriff auf Stellungnahmen des UNHCR auch nach Anhörung der italienischen Regierung selbst getroffenen - empirischen Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR (Große Kammer) U.v. 4.11.2014 - 29217/12 - Rn. 106-115, nur teilweise abgedruckt in NVwZ 2015, 127), zur Lage von Flüchtlingen in Italien, insbesondere zur Langsamkeit des Identifikationsverfahrens, zur Kapazität der Aufnahmeeinrichtungen und zu den Unterbringungsbedingungen in den verfügbaren Aufnahmeeinrichtungen, denen sich das Gericht anschließt. Der EGMR (a.a.O., Rn. 110) resümiert in dem von ihm entschiedenen Fall unter anderem, dass es ein flagrantes Missverhältnis gibt zwischen der Zahl der gestellten Asylanträge einerseits und der Zahl der zur Aufnahme zur Verfügung stehenden Plätze andererseits. Er kommt zu dem Ergebnis, dass zwar einerseits (a.a.O. Rn. 114) die jetzige Lage in Italien keinesfalls mit der in Griechenland zur Zeit des EGMR-Urteils vom 21. Januar 2011 (Nr. 30696/09, NVwZ 2011, 413) vergleichbar sei und dass (a.a.O. Rn. 115) Struktur und allgemeine Lage der Aufnahme in Italien nicht jegliches Überstellen von Asylbewerbern in dieses Land verhindern, dass jedoch andererseits (a.a.O. Rn. 115) ernstliche Zweifel an der jetzigen Kapazität des Systems bestehen, so dass die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine erhebliche Zahl von Asylbewerbern keine Unterkunft findet oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder sogar in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht wird. Der EGMR betont im weiteren Verlauf seiner Prüfung (Rn. 118), dass für einen (vom EGMR allein geprüften) Verstoß gegen Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zwar einerseits ein Mindestmaß an Schwere erreicht sein müsse, dass aber andererseits Asylbewerber als besonders benachteiligte und verwundbare Bevölkerungsgruppe besonderen Schutz nach der Vorschrift des Art. 3 EMRK benötigen.
7.2. Das Gericht geht weiter davon aus, dass die im Falle einer Abschiebung von Asylbewerbern nach Italien derzeit indizierten Gefahren ohne eine individuelle Zusicherung Italiens hinsichtlich der Unterbringungsmodalitäten nicht ausgeräumt werden können.
Hinsichtlich der weiteren in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO für einen Zuständigkeitsausschluss genannten Voraussetzung, nämlich der Gefahr einer Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh, ist zwar auch die Situation und Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Asylbewerbers zu berücksichtigen. Aus Sicht des Gerichts spricht aber insbesondere der Hinweis des EGMR auf die besondere Schutzbedürftigkeit der Asylbewerber als Bevölkerungsgruppe (EGMR U.v. 4.11.2014 - 29217/12 - Rn. 118, NVwZ 2015, 127) dafür, im Ausgangspunkt nicht nur besonders schutzwürdige Teilgruppen innerhalb der Gruppe der Asylbewerber, sondern die Gruppe der Asylbewerber insgesamt als derzeit von den beschriebenen Gefahren - und damit einer Gefahrenlage i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO - betroffen anzusehen, wenn keine individuelle Zusicherung vorliegt.
Weil aber die Situation für Asylbewerber in Italien eindeutig besser ist als die in Griechenland (EGMR, a.a.O., Rn. 115; vgl. auch EGMR E.v. 5.2.2015 - 51428/10 - Rn. 35), ist eine Überstellung nach Italien trotz systemischer Mängel nicht pauschal ausgeschlossen; vielmehr kann die indizierte Annahme einer Gefahr ausgeräumt werden, wenn für den jeweiligen Asylbewerber eine individuelle Zusicherung Italiens gegenüber dem BAMF hinsichtlich der konkreten Aufnahmemodalitäten erklärt wird.
Ohne individuelle Zusicherung der italienischen Behörden dagegen birgt derzeit die Abschiebung eines Asylbewerbers nach Italien bereits wegen der Zugehörigkeit zur Gruppe der Asylbewerber die erhebliche Gefahr, dass der Asylbewerber in Italien keine Unterkunft findet oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder sogar in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht wird. Ohne individuelle Zusicherung muss in solchen Fällen von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK und damit auch gegen den (mit Art. 3 EMRK inhaltsgleichen) Art. 4 GRCh (i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO) ausgegangen werden. Für Letzteres spricht nicht zuletzt, dass es in der genannten EGMR-Entscheidung - wie auch in der bereits zuvor ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. September 2014, Az. 2 BvR 732/14 (juris Rn. 9 ff.) - nicht nur um den Schutz des familiären Zusammenlebens (vgl. Art. 6 Grundgesetz - GG; Art. 7, 9 GRCh) ging, sondern auch um den Schutz der körperlichen Unversehrtheit (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 3 Abs. 1 GRCh), was bei der Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK (und damit auch i.S.v. Art. 4 GRCh) vorliegt, zu berücksichtigen ist. Dass Art. 4 GRCh wie Art. 3 EMRK auszulegen ist, ergibt sich dabei nicht nur aus dem vergleichbaren Wortlaut, sondern auch explizit aus Art. 52 Abs. 3 GRCh.
7.3 Die in Teilen der Verwaltungsgerichtsbarkeit vertretene gegenteilige Auffassung (vgl. etwa VG Düsseldorf B.v. 9.1.2015 - 13 L 2878/14.A - juris Rn. 25 ff.; VG Augsburg B.v. 30.1.2015 - Au 2 S 15.50020 -juris; VG Dresden B.v. 4.2.2015 - A 2 L 49715 - juris) vertritt das Gericht nicht, sondern schließt sich insbesondere folgenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Hannover im Beschluss vom 4. Februar 2015, Az. 3 B 388/15, juris Rn. 24-26 (zuvor bereits im Ergebnis ebenso VG Gelsenkirchen B.v. 13.11.2014 - 7a L 1718/14.A - juris; VG Hannover B.v. 29.1.2015 - 3 B 13203/14 - juris) an:
24 (...) Die Feststellungen des EGMR in der TarakhelEntscheidung zu den tatsächlichen Verhältnissen in Italien (Rn. 37 ff, 106 fo und seine Schlussfolgerung daraus (a.a.O., Rn. 115) sind seinen weiteren Ausführungen zu der Situation der Beschwerdeführer in dem von ihm konkret entschiedenen Fall einer Familie mit mehreren Kindern (Rn. 120 ff) vorgelagert. Sie beziehen sich - erkennbar - auf die Situation des dortigen Asylsystems insgesamt und betreffen damit alle Asylbewerber in Italien. Auch das BVerfG hat seine Aussage zu den Kapazitätsengpässen im asylrechtlichen Unterbringungssystem in Italien in tatsächlicher Hinsicht gerade nicht auf die Situation von Familien mit kleinen Kindern beschränkt (BVerfG, Beschl. vom 17.09.2014, 2 BvR 732/14, juris Rn. 15).
25 Daraus folgt zugleich, dass der vorliegende systemische Mangel hinsichtlich der Aufnahmebedingungen in Italien in Form unzureichender angemessener Unterbringungsmöglichkeiten auch für den Antragsteller als alleinstehenden jungen Mann derzeit die Gefahr begründet, im Falle einer Rücküberstellung einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, was seiner Abschiebung im gegenwärtigen Verfahrensstand entgegensteht.
26 Dagegen lässt sich auch nicht anführen, der EGMR selbst habe in der Tarakhel-Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verhältnisse in Italien nicht mit jenen in Griechenland zu vergleichen seien, die den Gerichtshof dazu veranlasst hätten, Abschiebungen dorthin als mit der EMRK unvereinbar anzusehen (Rn. 114). Nach dem Verständnis der Kammer hat der EGMR vielmehr in der Tarakhel-Entscheidung seine Rechtsprechung zu einem möglichen Verbot von Abschiebungen innerhalb des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auf der Rechtsfolgenseite fortentwickelt und ihr darin eine neue Kategorie im Sinne eines "auflösend bedingten" Abschiebungsverbotes bei drohenden Menschenrechtsverletzungen hinzugefügt. Nach dem bisherigen Rechtsverständnis waren Abschiebungen auf der Grundlage der Dublin 111-VO nur entweder zulässig, oder - ausnahmsweise - wegen zu befürchtender Menschenrechtsverletzungen in Folge eines systemischen Versagens des Asylsystems im Zielland unzulässig. Nunmehr sieht der EGMR zusätzlich die Möglichkeit als gegeben an, in den Fällen, in denen zwar systemische Schwachstellen im Asylsystem eines Mitgliedstaates bestehen, dieses System aber jedenfalls noch als so hinreichend leistungsfähig angesehen werden kann, dass im Einzelfall die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung bei einer Überstellung abwendbar erscheint, Abschiebungen weiterhin durchzuführen. Erforderlich ist dafür aber nach Auffassung des EGMR, dass der aufnehmende Staat, dessen Asylsystem systemische Schwachstellen aufweist, vor der Rücküberstellung eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene, hinreichend konkrete "Garantieerklärung" zu einer menschenrechtskonformen Behandlung der zu überstellenden Person abgibt. In einem solchen Fall ist dann eine Überstellung in den ersuchten Mitgliedstaat trotz dort vorhandener systemischer Schwachstellen nicht (mehr) "unmöglich" im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO, sondern wird zulässig."
7.4 Zwar werden die inhaltlichen Anforderungen an die in diesem Sinne erforderliche "Garantieerklärung" bei einem alleinstehenden jungen Mann geringer sein als bei besonders schutzbedürftigen Teilgruppen, beispielsweise Familien mit Säuglingen und Kleinkindern, unbegleiteten Minderjährigen (vgl. EGMR E.v. 5.2.2015 - 51428/10 - Rn. 34). Das ändert aber nichts daran, dass nach Einschätzung des Gerichts aufgrund der EGMR-Entscheidung vom 4. November 2014 von systemischen Schwachstellen des italienischen Asylsystems im Hinblick auf die Unterbringung von Asylbewerbern insgesamt i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO auszugehen ist. Unterschiedliche Anforderungen bestehen allein hinsichtlich der Anforderungen an die Ausräumung der im Ausgangspunkt anzunehmenden Gefahr i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO im jeweiligen Einzelfall. Auch soweit konkrete Asylbewerber nicht besonders schutzwürdig sind, erscheint dabei angesichts der genannten systemischen Schwachstellen eine individuelle Rückäußerung Italiens an den um (Wieder-)Aufnahme ersuchenden Dublin-Staat erforderlich (vgl. EGMR E.v. 5.2.2015 - 51428/10 - Rn. 19, 28, 30, 34, wo eine erst im Zuge des EGMR-Verfahrens erfolgte explizite italienische Stellungnahme (Rn. 19) vom EGMR zu berücksichtigen war (Rn. 30) und sich auf den Ausgang des Verfahrens auswirkte (Rn. 34, 36)).
Keine Aussage ist mit diesem Ansatz zu Fällen getroffen, in denen es (anders als beim Antragsteller) um Personen geht, denen in Italien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist (vgl. hierzu VG Düsseldorf B.v. 7.1.2015 - 13 L 3131/14.A - juris).
7.5. Im vorliegenden Fall fehlt es an einer somit derzeit für Rücküberstellungen nach Italien erforderlichen individuellen Garantieerklärung der zuständigen italienischen Behörden für eine konkrete angemessene Unterbringung des Antragstellers nach dessen Rücküberstellung. Damit ist die Gefahr, im Falle einer Rückführung nach Italien mangels einer den Mindesterfordernissen entsprechenden Unterbringung einer gegen Art. 4 GRCh (i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO) verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu werden, für den Antragsteller nicht hinreichend ausgeräumt.
8. Das führt im Ergebnis dazu, dass weder die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeit des Asylantrags des Antragstellers nach § 27a AsylVfG noch für eine Abschiebungsandrohung nach § 34a AsylVfG vorgelegen haben, die insoweit zulässige Anfechtungsklage deshalb voraussichtlich in vollem Umfang Erfolg hat (§ 113 Abs. 1 VwGO) und deshalb auch dem vorliegenden Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vollumfänglich stattzugeben ist.
9. Der Umstand, dass die zusätzlich zur Anfechtungsklage erhobene Verpflichtungsklage auf Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sich mangels Rechtsschutzbedürfnisses voraussichtlich als unzulässig erweisen wird, ändert nichts an den Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage und deshalb auch nichts am Erfolg des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO. [...]