VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 05.06.2015 - A 8 K 2296/14 - asyl.net: M22977
https://www.asyl.net/rsdb/M22977
Leitsatz:

Zuerkennung von subsidiärem Schutz wegen der Gefahr, in Kamerun inhaftiert und erniedrigenden Haftbedingungen ausgesetzt zu werden. Eine interne Fluchtmöglichkeit ist alleinstehenden Frauen nicht ohne weiteres zuzumuten, da diese in Kamerun von Gewalt und Stigmatisierung bedroht sind.

Schlagwörter: Kamerun, Frauen, Haftbedingungen, subsidiärer Schutz, ernsthafter Schaden, unmenschliche Behandlung, erniedrigende Behandlung, Inhaftierung, medizinische Versorgung, interne Fluchtalternative, geschlechtsspezifische Verfolgung, Frauen, alleinstehende Frauen, Existenzgrundlage,
Normen: AsylvfG § 4 Abs. 1, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Der Klägerin ist aber gemäß § 4 Abs. 1 AsylVfG subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Subsidiär schutzberechtigt ist nach dieser Vorschrift, wer stichhaltige Gründe. für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die vorgenannten Gefahren müssen dabei gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylVfG in der Regel von dem in Rede stehenden Staat oder den ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen ausgehen. Die Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure kann hingegen nur dann zu subsidiärem Schutz führen, wenn der betreffende Staat selbst nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu gewähren. Bei der Prüfung, ob dem Kläger im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, gilt ebenfalls der oben dargelegte Prüfungsmaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.

Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG ist im Gesetz nicht näher definiert. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt diesen auch in Art. 15b QRL enthaltenen Begriff in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK aus (EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - Elgafaji, C-456/07 - juris, Rn. 28; ebenso BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 - juris, Rn. 22 ff. m.w.N.). Danach ist eine unmenschliche Behandlung die absichtliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden (EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - 30696/09 - ZAR 2011, 395, Rn. 220 m.w.N.; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 4 Rn. 9), die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen (EGMR, Urteil vom 11.07.2006 - Jalloh, 54810/00 - NJW 2006, 3117/3119, Rn. 67; Jarass a.a.O.).

Das beschriebene Geschehen ist glaubhaft. Die Klägerin hat dem Gericht während der mündlichen Verhandlung lebhaft, emotional und detailreich berichtet, wie es zum Tod des Onkels gekommen ist. Der erkennende Einzelrichter ist der Auffassung, dass es - entgegen den Annahmen des Bundesamtes - keinen entscheidenden Widerspruch darstellt, wenn der Onkel der Klägerin zunächst auf ihrem Bett gesessen haben will, dann aber gestolpert sein und sich den Kopf so unglücklich angeschlagen haben soll, dass er an den Verletzungen starb. Die Klägerin hat den hitzigen Wortwechsel und ihr kurzes Gefecht mit dem Onkel wortreich und lebendig beschrieben, so dass sich das Gericht ein Bild davon machen konnte, wie der Onkel zunächst auf dem Bett saß und es dann erst zu einem "Zurückfallen" des Onkels kam, bei dem sich dieser tödlich verletzte. Es sind gerade die Details wie die Darstellung hinsichtlich des Schlüssels, welche dem Vortrag Glaubhaftigkeit verleihen. Dabei ist nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters zu Gunsten der Klägerin in Rechnung zu stellen, dass eine Simultan-Übersetzung mitnichten immer so präzise ist, dass - ohne weitere Nachfrage - das Gesagte und Übersetzte zu Lasten der Klägerin gewertet werden darf. Auch die vom Bundesamt in dessen Bescheidbegründung zu Lasten der Klägerin gewertete zeitliche Linie der Darstellung (Tod des Vaters 2010, Verkauf des Hauses 2013) wurde von der Klägerin während der mündlichen Verhandlung plausibel und wort- und bildreich erläutert, ebenso wie die näheren Umstände der Flucht und das Kennenlernen des Fluchthelfers, Monsieur ... Es wurde offenbar, dass dieser Mann in der Schuld der Klägerin stand, da sie sich lange und ohne Verpflichtung um dessen kranke Schwester gekümmert hatte. Der Fluchthelfer hatte deshalb ein Motiv für seine Unterstützung.

Davon ausgehend droht der Klägerin eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung, da sie in Kamerun mit der Inhaftierung, zumindest in Untersuchungshaft rechnen muss. Die Haftzustände in kamerunischen Haftanstalten sind nach den vorliegenden, übereinstimmenden Erkenntnismitteln beklagenswert. Die Gefängnisse sind in erheblichem Maße überfüllt, die Häftlinge werden nicht ausreichend ernährt, werden von Mithäftlingen und Wärtern psychisch, physisch und auch sexuell misshandelt. Sie erhalten keine hinreichende medizinische Versorgung für die zahlreichen grassierenden, hochansteckenden Krankheiten (vgl. Amnesty International, Cameroon: Make Human Rights A Reality, S. 41 ff.).

Eine interne Fluchtmöglichkeit steht der Klägerin, auch wenn es in Kamerun wohl kein zentrales Fahndungsregister gibt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stuttgart vom 12.04.2013), nicht zur Verfügung. Selbst wenn die Klägerin nicht bei ihrer Rückkehr in Douala sofort verhaftet würde, wäre es ihr nicht ohne weiteres zumutbar, in einem anderen Landesteil Zuflucht zu suchen. Alleinstehende Frauen sind in Kamerun von Gewalt und Stigmatisierung bedroht. Sie werden von potentiellen Arbeitgebern und Wohnungsvermietern für Prostituierte gehalten und zurückgewiesen. Nicht selten sind sie gezwungen, sich dann auch tatsächlich zu prostituieren, um eine Existenzgrundlage zu erwirtschaften (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Länderanalyse, Sozioökonomische Situation einer alleinstehenden Frau in Kamerun, 2011, S. 3 f.). [...]