VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Urteil vom 12.03.2015 - 2 A 52/13 MD - asyl.net: M23003
https://www.asyl.net/rsdb/M23003
Leitsatz:

Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG aufgrund einer schweren depressiven Erkrankung und unzureichender psychologischer Behandlungsmöglichkeiten im Iran.

Schlagwörter: Iran, psychische Erkrankung, Psychotherapie, erhebliche individuelle Gefahr, Verschlimmerung, Depression, Suizidgefahr, Behandlungskosten,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn aufgrund der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten psychologischen Atteste, der Zeugenaussage der den Kläger seit 05.12.2013 durchgängig behandelnden Diplom-Psychologin ..., gegen deren Sachkunde Bedenken nicht bestehen, sowie des in der mündlichen Verhandlung von dem Kläger gewonnenen Eindrucks ist das Gericht davon überzeugt, dass bei diesem eine schwere depressive Erkrankung vorliegt. Bei einer Rückkehr in den Iran ist aufgrund des labilen psychischen Zustands des Klägers ("besorgniserregend"), der bei ihm festgestellten, sich vertiefenden suizidalen Neigung (Nachsterbewunsch) sowie der subjektiv empfundenen erheblichen Ängste im Zusammenhang mit einer Rückführung eine erhebliche und alsbaldige Verschlechterung seines Gesundheitszustandes konkret zu befürchten. Vor dem Hintergrund der Bekundungen der Frau Diplom-Psychologin ... in der mündlichen Verhandlung, auf die hier Bezug genommen wird, hat das Gericht ferner keinen Zweifel daran, dass der Kläger derzeit akut behandlungsbedürftig ist und es hierzu insbesondere (auch) psychotherapeutischer und sozialtherapeutischer Maßnahmen dringend bedarf.

Eine solche ausreichende Behandlung ist im Iran für den Kläger gegenwärtig indes nicht hinreichend gewährleistet. Denn eine (ambulante oder stationäre) Psychotherapie ist im Iran "kein Thema", weil sie als "westliche Unkultur" angesehen wird (vgl. VG Arnsberg, U. v. 09.02.2007 - 13 K 1978/05.A -, juris, m.w.N.). Die dennoch angebotenen psychotherapeutischen und sozialtherapeutischen Maßnahmen sind zudem sehr kostspielig und müssen von den Patienten oder ihren Familien bezahlt werden mit der Folge, dass bei mittellosen Patienten eine entsprechende Behandlung aussichtslos ist (vgl. Deutsche Botschaft Teheran, Auskunft vom 05.12.2010 an OVG Bautzen). Gemessen daran ist in Bezug auf den Kläger zu berücksichtigen, dass dessen im Iran lebenden Eltern mittlerweile pensioniert sind und der Kläger nach Angaben der Frau Diplom-Psychologin ... aufgrund seines Krankheitsbildes gegenwärtig nicht fähig ist, seinen Tagesablauf zu strukturieren und für sich selbst zu sorgen, d.h. durch eigene Erwerbstätigkeit die Kosten für seinen Lebensunterhalt und seine medizinische Behandlung aufzubringen.

Im Rahmen einer Gesamtschau dieser Aspekte (Gesundheitszustand, Behandlungsbedürftigkeit und fehlende Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen) würde der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran nach der Überzeugung des Gerichts in eine ausweglose Lage geraten, die es abzuwenden gilt.

Da nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG eine Abschiebungsandrohung unzulässig ist, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, war neben der teilweisen Änderung der Nr. 3 die Abschiebungsandrohung in Nr. 4 des Bescheids des Bundesamts vom 31.01.2013 aufzuheben. Anhaltspunkte für eine atypische Fallgestaltung, bei der trotzdem eine Abschiebung in Betracht kommen könnte, sind nicht ersichtlich. [...]