Zu den Grundsätzen der Taliban gehört es, sowohl die von ihnen im politischen Kampf um die Macht in Afghanistan umkämpften Personen selbst als auch deren Angehörige zum Ziel von Angriffen zu machen. In einer Vielzahl von Fällen wurden Familienangehörige der von den Taliban bekämpften Personengruppen im Rahmen von Racheaktionen entführt und/oder ermordet.
[...]
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist den Klägern der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen. Denn für die Klägerin zu 1) und ihre Angehörigen besteht im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nach wie vor die bereits zuvor realisierte Verfolgungsgefahr, die zur Ausreise geführt hat. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
Als Angehörige ihres getöteten Ehemannes wurde auch die Klägerin zu 1) nach ihren eigenen Angaben, an denen zu zweifeln Anlässe nicht ersichtlich sind, telefonisch von den Taliban bedroht. Sie wurde aufgefordert, ihren Ehemann zur Aufgabe seiner beruflichen Tätigkeit zu bewegen, da dieser für ausländische Unternehmen arbeitete. Dies hat das Bundesamt im angefochtenen Bescheid festgestellt. Allerdings verneinte das Bundesamt eine weitere Verfolgungsgefahr im Hinblick auf den Tod des Ehemanns der Klägerin zu 1) und des Vaters der Kläger zu 2) - 5). Damit sei die Gefahr, Opfer von Verfolgungsmaßnahmen zu werden, entfallen. Zu Recht haben die Kläger darauf hingewiesen, dass dies nicht der Fall ist.
Zum einen sehen die Taliban in allen Personen, die in irgendeiner Weise internationale Organisationen oder Unternehmen unterstützen, Kollaborateure der "Invasoren", denen Vergeltung angedroht wird. Dies entspricht der Erkenntnislage des Gerichts. Insbesondere ist davon auszugehen, dass in Afghanistan Personen, die verdächtigt werden, die afghanische Regierung oder internationale Streitkräfte zu unterstützen, in Gefahr stehen, verfolgt und getötet zu werden. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat der Ehemann der Klägerin zu 1) sein Leben verloren.
Damit ist damit indes die Verfolgungsgefahr, der die Kläger ausgesetzt sein könnten, entgegen der Auffassung des Bundesamts im angefochtenen Bescheid nicht weggefallen. Nach Auffassung des VG Augsburg, der sich der Vorsitzende anschließt, gehört es vielmehr zu einem Grundsatz der Taliban, sowohl die von ihnen im politischen Kampf um die Macht in Afghanistan umkämpften Personen selbst als auch deren Angehörige zum Ziel von Angriffen zu machen. Bei diesem Kampf werden in der Regel nur ältere Personen und Kinder ausgenommen. Dies gilt bei männlichen Personen jedoch nur bis zum Eintritt der Geschlechtsreife. In einer Vielzahl von Fällen wurden Familienangehörige der von den Taliban bekämpften Personengruppen im Rahmen von Racheaktionen entführt und/oder ermordet (VG Augsburg, Urteil vom 06. Oktober 2011 -AU 6 K 11.30209). Diese Gefahr gilt auch für die Kläger. Die Klägerin zu 1) hat in ihrer Anhörung ausdrücklich angegeben, dass auch sie sechs Monate vor ihrer Ausreise telefonische Drohungen der Taliban erhielt und aufgefordert worden sei, ihren Mann dazu zu bringen, mit seiner Tätigkeit aufzuhören, sonst würde man sie und ihre Kinder entführen und töten. Diese Drohungen seien mit der Zeit immer heftiger geworden; die Klägerin zu 1) hat dies im Einzelnen in der Anhörung geschildert. Dieses Vorbringen hat die Beklagte im Bescheid vom 17. Oktober 2014 zwar im Sachverhaltsteil berücksichtigt, nicht jedoch im Rahmen der rechtlichen Würdigung, da sie dort ausschließlich und ohne Begründung die Auffassung vertreten hat, dass im Hinblick auf den Tod des Ehemanns die Gefährdung der Klägerin zu 1) und ihrer Kinder durch die Taliban nicht mehr festgestellt werden könne. Im Hinblick auf die dargelegte Erkenntnislage kann nicht davon ausgegangen werden.
Folglich ist bei der Frage, ob den Klägern im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan eine weitere Verfolgung droht, der herabgestufte Prognosemaßstab anzulegen, worauf die Kläger zu Recht hingewiesen haben. Stichhaltige Gründe, aufgrund derer davon ausgegangen werden könnte, dass die Kläger einer solchen Verfolgungsgefahr im Fall ihrer Rückkehr nicht mehr unterliegen, sind hier nicht ersichtlich. Ebenfalls zu Recht weisen die Kläger darauf hin, dass sie infolge des Fehlens eines schützenden Familienverbands im Falle ihrer Rückkehr nicht nur schutzlos Übergriffen der Taliban ausgesetzt wären, sondern ihre Situation auch sonst sich in Bezug auf ihre Sicherheit von der Situation der übrigen afghanischen Bevölkerung unterscheiden würde.
Nach der Auskunftslage kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin zu 1) und ihre Kinder in einem anderen Landesteil Afghanistans außerhalb Kabuls ohne Furcht vor Verfolgung leben könnten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es der Klägerin zu 1) als alleinstehender Frau mit vier Kindern ohne den Schutz eines Familienverbandes nicht möglich ist, in einem anderen Teil Afghanistans zu leben und zu überleben. [...]