VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 17.07.2015 - 22 K 1091/15.A - asyl.net: M23072
https://www.asyl.net/rsdb/M23072
Leitsatz:

Ein Asylbewerber hat beim Übergang der Zuständigkeit nach erfolglosem Ablauf der Überstellungsfrist im Dublin-Verfahren ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs.

Der Annahme, dass sich ein Asylbewerber auf die nach der Dublin III-VO objektiv begründete Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Prüfung seines Schutzgesuches berufen kann, steht auch die Rechtsprechung des EuGH (Abdullahi) nicht entgegen, da diese Entscheidung keine Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von Überstellungsfristen zu entnehmen ist.

Schlagwörter: Zuständigkeit, Überstellungsfrist, Fristablauf, subjektives Recht, Dublin III-Verordnung, Dublinverfahren, effet-utile-Grundsatz, Abschiebungsanordnung, unzulässig, Unzulässigkeit,
Normen: VO 604/2013 Art. 29 Abs. 2, AsylVfG § 24, AsylVfG § 31,
Auszüge:

[...]

Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zur Folge, dass der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Die Zuständigkeit für die Prüfung der Asylanträge der Kläger ist damit auf die Beklagte übergegangen.

Nach Auffassung der Kammer können sich die Kläger auch auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte berufen, so dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts die Voraussetzungen des § 27a AsylVfG nicht vorliegen. Hierzu hat die Kammer in ihrem Urteil vom 5. Februar 2015 (22 K 2262/14. A) ausgeführt:

"Die Kläger können sich im vorliegenden Klageverfahren auch auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte berufen (A.A. VGH BW, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rdn 59 (soweit eine Überstellung in den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist), Nds.OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, juris, Rdn 9 ff. (ohne Einschränkung), HessVGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14 A -, juris, Rdn 15 (obiter dictum), VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, juris, Rdn 43; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand 102. Ergänzungslieferung, November 2014, § 27a, Rdn 234, 196.1 (mit Ausnahmen), Hailbronner, Ausländerrecht, 88. Ergänzungslieferung, Oktober 2014, § 27a AsylVfG, Rdn. 20 ff., Günther, in Beckscher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 5. Edition, Stand 1. September 2014, § 27a AsylVfG Rdn 29 ff , offen gelassen: OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rdn. 24 (das Vorabentscheidungsverfahren bei EuGH, Rs. C-666/11 endete ohne Sachentscheidung nach Rücknahme des Ersuchens wegen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache beim OVG NRW), vgl. ferner zum Ablauf der Frist zur Stellung des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchens VGH BW, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rdn. 25, 27 (bei zeitnaher Überstellung), OVG RhPf, Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rdn 33).

Die Kläger haben gemäß §§ 24, 31 AsylVfG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Diese darf auf der Rechtsgrundlage der §§ 27a, 34a AsylVfG die weitere Prüfung eines Asylantrages nur dann ablehnen und eine Abschiebungsanordnung in einen anderen Mitgliedstaat erlassen, wenn dieser andere Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig. Zugleich verletzt der objektiv rechtswidrige Verwaltungsakt das subjektiv-öffentliche Recht der Kläger aus §§ 24, 31 AsylVfG, und zwar unabhängig vom Schutzzweck der Norm, deren Verletzung zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führt. Der Individualschutzzweck von Normen ist nur für diejenigen von Bedeutung, die keine materielle Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung durch den angefochtenen Verwaltungsakt dartun können (vgl. Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 45 Rdn. 126).

Die Kläger hingegen werden durch Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in ihrer Rechtsstellung aus §§ 24, 31 AsylVfG materiell beeinträchtigt, wenn die Beklagte die Prüfung der Schutzgesuche mit Verweis auf die Zuständigkeit eines anderen Staates ablehnt, obwohl ihre Zuständigkeit nach den Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung objektiv begründet ist.

Dem nach nationalem Recht bestehenden subjektiv-öffentlichen Recht der Kläger auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die nach der Dublin-III-VO objektiv hierfür zuständige Beklagte steht auch der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht entgegen. Denn es liegt schon keine Kollision des nationalen Rechts mit der gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV vorrangig anzuwendenden Dublin-III-VO vor.

Die Zuständigkeitsregelungen in der Dublin-III-VO begründen unmittelbare Rechte der betroffenen Ausländer auf Beachtung dieser Regelungen durch alle Behörden der Mitgliedstaaten. Dies folgt schon aus der Rechtsnatur der Dublin-III-VO. Diese gilt (wie alle EU-Verordnungen) gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Diese unmittelbare Geltung bedeutet, dass die Verordnungen nicht nur für die Mitgliedstaaten (untereinander) gelten, sondern in den Mitgliedstaaten (Ulrich Haltern, Europarecht, Tübingen 2005, S 284 (Hervorhebung im Original)).

Hierin unterscheidet sich das Unionsrecht gerade von Völkervertragsrecht, mit dem sich lediglich die Vertragsstaaten untereinander binden. Das Unionsrecht ist eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Unionsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen (EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs 26/62 (van Gend & Loos), Slg 1963, S. 25).

Die Dublin-III-VO regelt damit schon aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht nur Verpflichtungen der Mitgliedstaaten untereinander, sondern auch unmittelbar die Rechtsstellung jedes einzelnen Normunterworfenen, das heißt auch der Drittstaatsangehörigen, auf die die Dublin-III-VO Anwendung findet.

Der Dublin-III-VO kann auch nicht entnommen werden, dass in Bezug auf die dort geregelten Zuständigkeitsbestimmungen ausnahmsweise etwas anderes gelten sollte, insbesondere ein Asylbewerber, der für die Prüfung seines Asylantrages an einen anderen Mitgliedstaat verwiesen wird, einen hierin liegenden objektiven Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmungen der Verordnung nicht oder nur unter bestimmten Umständen rügen kann (dies unter Verweis auf den Zweck der Dublin-II-VO erwägend und im Ergebnis ein subjektiv-öffentliches Recht des Ausländers aus der Ermessensvorschrift des Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO (Selbsteintrittsrecht) verneinend Schlussanträge des GA Jaaskinen vom 18. April 2013 - C-4/11 -, Rdn 58).

Indem der Unionsgesetzgeber die ursprünglich in einem völkerrechtlichen Vertrag (Dubliner Übereinkommen) vereinbarten Zuständigkeitskriterien für die Prüfung eines Schutzgesuchs ausdifferenziert und in einer EU-Verordnung kodifiziert hat, hat er diese Regelungen zugleich mit den aus Art. 288 Abs. 2 AEUV folgenden Rechtswirkungen ausgestattet. Diese Rechtsqualität der Regelungen steht auch nicht in Widerspruch zu ihrem Sinn und Zweck. Der Unionsgesetzgeber hat die Zuständigkeitsbestimmungen erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrages zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem "forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen (EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, C-394/12 (Abdullah), Rdn. 53, juris, vgl. auch Schlussanträge des GA Jaaskinen vom 18. April 2013 - C-4/11 -. Rdn 57).

Diese Ziele werden am effektivsten durch die zuverlässige und gleichmäßige Befolgung der in der Dublin-III-VO geregelten Zuständigkeitskriterien in allen Mitgliedstaaten erreicht. Das "forum shopping" wird unterbunden, indem einem einzigen Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Prüfung des Schutzgesuches zugeordnet wird; die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Staates wird durch detaillierte Kriterien, die keine Entscheidungsspielräume der Mitgliedstaaten vorsehen, erhöht; die Asylverfahren werden insgesamt beschleunigt, indem das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates verbindlich geltenden kurzen Fristen unterworfen wird.

Die unmittelbare, auch von den Betroffenen durchsetzbare Rechtswirkung der Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin-III-VO - soweit sie einem Mitgliedstaat die Zuständigkeit ohne Ermessensspielraum zuweisen - widerspricht diesen Zielen nicht, sondern fördert ihre Erreichung. Der Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts ("effet utile") findet eine wesentliche Stütze gerade darin, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar geltendes Unionsrecht berufen kann. Mit Hilfe der Doktrin der unmittelbaren Anwendbarkeit werden die an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Betroffenen zu Wächtern des Unionsrechtssystems erhoben, die dessen effektive Anwendung in den Mitgliedstaaten sichern (vgl Schroeder, in Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn 49 m.w.N.).

Zum Zweck der effektiven und gleichen Wirkung des Unionsrechts sollen die Einzelnen, soweit es um den staatlichen Vollzug des Unionsrechts geht, eine dezentrale, die Kommission entlastende Vollzugskontrolle vornehmen können (vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar. Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn 44).

Andernfalls könnte auch Art. 267 AEUV, der zum Zweck der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten das Verfahren zur Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen auf Vorlage nationaler Gerichte vorsieht, seine Wirkung nicht entfalten. Art. 267 AEUV setzt voraus, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar anwendbares Unionsrecht berufen kann und damit die Frage der Auslegung einer unionsrechtlichen Bestimmung vor dem nationalen Gericht streitentscheidende Bedeutung gewinnt. Der alleinigen Entscheidungskompetenz des EuGH bei der Auslegung des Unionsrechts liefe es zuwider, einer unionsrechtlichen Bestimmung in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht (ohne vorherige Klärung der Rechtsfrage durch den EuGH) mit Verweis auf mangelnde individualschützende Wirkung eine streitentscheidende Bedeutung von vornherein abzusprechen.

Aufgrund dieser generellen Bedeutung der unmittelbaren, individualrechtsbegründenden Anwendbarkeit des Unionsrechts für die Sicherstellung seiner Effektivität kommt es für die Frage, ob sich der Einzelne auf Unionsrecht berufen kann, auch nicht darauf an, ob eine Vorschrift des Unionsrechts bezweckt, individuelle Rechte zu schaffen. Entscheidend ist vielmehr, ob die sich aus der Vorschrift ergebende Verpflichtung anderer Rechtssubjekte eindeutig ist, weil sie hinreichend klar und unbedingt formuliert ist (vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 46; Schroeder, in Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn 51 m.w.N).

Dies ist bei Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO der Fall. Die Norm regelt den Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Überstellungsfrist eindeutig, klar und unbedingt, insbesondere sieht sie auch keinen Entscheidungsspielraum einer nationalen Behörde vor.

Der Annahme, dass sich ein Asylbewerber auf die nach der Dublin-III-Verordnung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung objektiv begründete Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Prüfung seines Schutzgesuches berufen kann, steht auch die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi), - C-394/12 -, juris) sowie des Bundesverwaltungsgerichts (Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rdn 7 und vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris, Rdn 6) nicht entgegen.

Diesen Entscheidungen ist keine Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von (Überstellungs-)Fristen zu entnehmen (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, Rdn 41, juris mit Hinweis auf VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 - 13 K 1117/14 A -. Rdn 54 ff., juris).

Insbesondere lässt sich eine dahingehende Aussage nicht aus dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz entnehmen, dass der betreffende Ausländer in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat seiner Aufnahme nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat (Mitgliedstaat der ersten Einreise), der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi) - C-394/12 -, Rdn 62, juris).

Mit diesem Rechtssatz betont der EuGH gerade die Verbindlichkeit der in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriterien, die ihre Grenze erst in der im Einzelfall anzunehmenden tatsächlichen Gefahr der Verletzung eines in der Grundrechtecharta verbürgten Rechts findet. Demgegenüber lässt sich dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz keine Aussage des Inhalts entnehmen, dass sich ein Asylbewerber nicht (oder nur unter bestimmten Bedingungen) auf die Beachtung eines in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums berufen kann.

So liegt der Fall hier. Mit dem von den Klägern geltend gemachten Einwand, dass die Zuständigkeit für die Prüfung ihrer Schutzgesuche wegen Überschreitens der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO auf die Beklagte übergegangen ist, wenden sich die Kläger - anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall - gerade nicht gegen die Heranziehung eines in der Dublin-III-VO niedergelegten Zuständigkeitskriteriums, sondern berufen sich auf dieses.

Auch das BVerwG geht erkennbar nicht davon aus, dass andere Einwände gegen eine Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat als der Einwand systemischer Mängel unbeachtlich wären. Vielmehr benennt es in dem zuletzt ergangenen Beschluss vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 - konkret die als unbeachtlich einzustufenden Einwände:

"Aus der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann und es nicht darauf ankommt, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war." (BVerwG, Beschluss vom 6 Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris, Rdn 6, Hervorhebung nicht im Original).

Dies verdeutlicht, dass die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates der Prüfung vorgelagert ist, ob einer Überstellung dorthin systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegenstehen. Auch wird die Beschränkung berücksichtigungsfähiger Einwände auf den Einwand systemischer Mängel nur insoweit ausgesprochen, als der Asylbewerber der Überstellung mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen in diesem Staat entgegentritt.

Eine Beschränkung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers im Hinblick auf die Geltendmachung objektiver Verstöße gegen die Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-Verordnung lässt sich auch nicht mit der Überlegung belegen oder bekräftigen, dass es dem Asylbewerber unbenommen ist, sich freiwillig bei der ihm genannten Stelle des anderen Mitgliedstaates zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen (zu den Modalitäten einer Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers siehe Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003, zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (DVO Dublin III)).

Zwar kann der Asylbewerber damit zu einer Beschleunigung beitragen. Aus einer fehlenden Inanspruchnahme dieses Rechts kann jedoch nicht auf den Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts des Asylbewerbers auf materielle Prüfung seines Schutzgesuches durch die Beklagte geschlossen werden. Insbesondere steht der vom Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB abgeleitete Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium") der Geltendmachung dieses subjektiv-öffentlichen Rechts nicht entgegen (so aber VG Dusseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14 A -, juris, Rdn. 45 ff.).

Ein widersprüchliches Verhalten der Kläger liegt - ganz abgesehen davon, dass im deutschen Recht die Möglichkeit der Überstellung des betroffenen Asylbewerbers auf eigene Initiative gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist (vgl. hierzu VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 2014 - A 11 S 1230/14 -, juris, Rdn 4) und die Kläger im vorliegenden Fall (soweit ersichtlich) über dieses ihnen zustehende Initiativrecht auch nicht unterrichtet wurden - nicht vor. Die Kläger rügen nicht etwa eine unangemessene Dauer ihrer Verfahren, die sie selbst hätten beschleunigen können. Vielmehr begehren sie die materielle Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Selbst wenn zwischenzeitlich ein anderer Staat für die Durchführung ihrer Asylverfahren zuständig gewesen sein sollte, kann ein widersprüchliches Verhalten der Kläger nicht darin gesehen werden, dass sie an ihrem Begehren der Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte festgehalten haben. Die Kläger haben sich zur Begründung ihres Begehrens nicht auf eine drohende unzumutbare Dauer ihrer Schutzgesuche gestützt, sondern auf gesundheitliche Beeinträchtigungen, die der tatsächlichen Durchführung ihrer Überstellung entgegenstünden."

Hieran hält das Gericht fest (vgl. Urteil des erkennenden Gerichts vom 5. Mai 2015 - 22 K 2179/15. A -, m.w.N., juris; Lübbe, in ZAR 2015, S. 125 (129 f.); im Ergebnis ebenso VG Minden, Urteil vom 19. März 2015 - 10 K 2658/14 A -, juris; VG Hannover, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 6 B 341/15 -, juris; VG Frankfurt, Beschluss vom 5. Februar 2015 - 5 K 567/14.F.A -, Rn 11, juris, VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17. Februar 2015 - 6a L 239/15.A -, juris; zur Rechtsfolge einer Gegenstandslosigkeit des auf § 27a AsylVfG gestützten Ablehnungsbescheides bei Ablauf der Überstellungsfrist kommt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 30. März 2015 - 21 ZB 15.50025 -, juris).

Auch im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob ein Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts auf Prüfung des Schutzgesuches durch den Staat, der infolge des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin III-VO zuständig geworden ist, dann eintreten kann, wenn dieses Recht missbräuchlich in Anspruch genommen wird. Denn dafür fehlen hier jegliche Anhaltspunkte. Insbesondere haben sich die Kläger weder der ausländerrechtlichen Überwachung entzogen noch Überstellungsmaßnahmen widersetzt.

Sind somit nach Auffassung des Gerichts die Asylanträge der Kläger nicht gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig anzusehen, liegen auch die Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG für die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids verfügte Abschiebungsanordnung nicht vor. [...]