OVG Rheinland-Pfalz

Merkliste
Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.08.2015 - 1 A 11020/14 (= ASYLMAGAZIN 11/2015, S. 382 ff.) - asyl.net: M23125
https://www.asyl.net/rsdb/M23125
Leitsatz:

Durch Art. 18 EU-Grundrechtecharta und Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO wird einem Asylsuchenden die Überprüfung seines Begehrens garantiert. Dementsprechend besteht nach Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Überstellungsfrist im Dublin-Verfahren ein Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland. Daher liegt eine Rechtsverletzung eines Asylbewerbers auch bei einer objektiv rechtswidrigen Entscheidung nach § 27a AsylVfG in den Fällen vor, in denen nach vorheriger Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaates die Überstellungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt nicht, wenn der ersuchte Mitgliedstaat zu erkennen gegeben hat, dass er weiterhin zur Aufnahme bereit sei.

Schlagwörter: Dublinverfahren, subjektives Recht, Individualschutz, Wiederaufnahmeersuchen, Zustimmungserklärung, Dublin III-Verordnung, Überstellungsfrist, Fristablauf, Zuständigkeit, Übergang der Zuständigkeit, Zuständigkeitsübergang,
Normen: AsylVfG § 34a, AsylVfG § 34a Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 27a, GR-Charta Art. 18, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Danach ist vorliegend im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Bundesrepublik Deutschland aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, so dass weder die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrages als unzulässig gemäß § 27a AsylVfG noch die für den Erlass einer hieran anknüpfenden Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gegeben sind.

2. Der sonach rechtswidrige Bescheid bewirkt auch eine Rechtsverletzung des Klägers.

Zwar besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass es sich bei den Zuständigkeitsregelungen der hier noch anwendbaren Dublin II-VO wie auch der Dublin III-VO vom Grundsatz her um objektive zwischenstaatliche Regelungen handelt, die keine individuelle Rechtsposition begründen.

Ein Asylbewerber hat demnach grundsätzlich kein subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, auch der nach der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO zuständige Staat ist.

Ebenfalls allgemein anerkannt ist, dass etwas anderes jedenfalls dann gilt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem zur Aufnahme bereiten Mitgliedstaat aufgrund systemischer Mängel so defizitär sind, dass im konkret zu entscheidenden Einzelfall bei einer Überstellung nach dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde (vgl. dazu etwa EuGH, Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 - [Abdullahi], und BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, mit Anmerkung Berlit, jeweils in juris).

Ob darüber hinaus weitere Ausnahmen anzuerkennen sind, ist in der Rechtsprechung umstritten.

Teilweise wird dazu festgestellt, dass der Asylbewerber seiner Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten könne (so etwa EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, a.a.O., BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014, a.a.O., OVG Schleswig, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 2 LA 15/14 -, OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, VGH Kassel, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, und OVG Koblenz, Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, alle in juris).

Andere lassen demgegenüber bereits den bloßen Ablauf der Überstellungsfrist nach der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO und den hierdurch bewirkten Zuständigkeitsübergang ausreichen, um eine eigene Rechtsverletzung des Betroffenen zu bejahen (so etwa VGH Mannheim, Beschluss vom 6. August 2013 - 12 S 675/13 -, VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 - 1 K 500/14 -, VG Karlsruhe, Beschluss vom 30. November 2014 - A 5 K 2026/14 -, VG Münster, Urteil vom 19. November 2014 - 1 K 1136/14.A -, VG Augsburg, Urteil vom 11. September 2014 - Au 7 K 14.50016 -, VG Köln, Urteil vom 27. August 2014 - 3 K 411/14.A -, VG Cottbus, Beschluss vom 24. Juli 2014 - 1 L 174/14.A -, VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 B 86/14 -, VG Magdeburg, Urteil vom 28. Februar 2014 - 1 A 413/13 -, und VG Hamburg, Urteil vom 15. März 2012 - 10 A 227/11 -, alle in juris).

Wieder andere stellen darauf ab, ob die Überstellung trotz Fristablaufs noch zeitnah möglich ist (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 27. August 2014 - A 1 S 1285/14 -, juris Rn 59), das Verfahren sich als überlang erweist (so etwa VG Oldenburg, Beschluss vom 20. Januar 2015 - 11 B 454/15 -, VG Augsburg, Urteil vom 15. Mai 2015 - Au 5.K 15.50002 -, und VG Stuttgart, Urteil vom 28. Februar 2014 - A 12 K 383/14 -, alle in juris) oder der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat trotz der abgelaufenen Überstellungsfrist noch zur Übernahme des Betroffenen bereit ist (VGH München, Urteil vom 20. Mai 2015 - 11 ZB 14.50036 -, VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 3. November 2014 - RO 9 K 14.30260 -, VG Würzburg, Beschluss vom 30. Oktober 2014 - W 3 E 14.50144 -, VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 - 3 A 416/14 -, und VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 -17 AE 1762/14 -, alle in juris).

Zum Teil wird schließlich zur Begründung einer subjektiven Rechtsverletzung auch unmittelbar an eine durch die Unzulässigkeitsentscheidung drohende Gefährdung oder Verletzung des Asylgrundrechts angeknüpft (VG Hannover, Beschluss vom 10. November 2014 - 1 B 12764/14 -, VG Ansbach, Urteil vom 8. Oktober 2014 - AN 10 K 14.30043 -, und VG Osnabrück, Beschluss vom 19. Februar 2014 - 5 B 12/14 -, alle in juris).

Unter Berücksichtigung aller in der vorgenannten Rechtsprechung diskutierten Aspekte gelangt der erkennende Senat zu der Auffassung, dass vorliegend der Kläger angesichts des zwischenzeitlichen Übergangs der Zuständigkeit auf die Beklagte durch die Unzulässigkeitsentscheidung und die Anordnung der Abschiebung nach Italien in seinen Rechten verletzt ist.

Dabei kann offen bleiben, ob bereits die Regelungen der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO als solche generell oder jedenfalls in Ausnahmesituationen Individualschutz entfalten.

Hierfür lässt sich immerhin anführen, dass mit den Zuständigkeitsregeln Dublin II-VO (vgl. dort Erwägung 4) wie auch der Dublin III-VO (dort Erwägung 5) ausdrücklich bezweckt wird, einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft bzw. zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, a.a.O., Rn 53:

"... wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge) im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen (Urteil N.S. u.a. Randnr. 79)".

Zwar kommt der EuGH in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a.a.O.) zu dem Ergebnis, dass Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO in der dort entschiedenen Fallkonstellation einer vorliegenden Zustimmung des ersuchten Mitgliedsstaates zur Aufnahme des Betroffenen nur insoweit individualschützende Wirkung entfalte, als systemische Mängel des Asylerfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im betreffenden Mitgliedsstaat geltend gemacht würden:

"62. Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 dahin auszulegen ist, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, d.h. als der Mitgliedstaat der ersten Einreise des Asylbewerbers in das Unionsgebiet, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden."

Der EuGH hat damit jedoch nicht zu der Frage Stellung genommen, welche Rechtspositionen einem Asylbewerber in den Fällen zustehen, in denen die durch ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung begründete Zuständigkeit eines um Aufnahme bzw. Wiederaufnahme ersuchten Mitgliedstaates wegen der Nichteinhaltung von Überstellungsfristen auf den ersuchenden Staat übergegangen ist. Es kann auch nicht angenommen werden, dass der ersuchte Mitgliedstaat, der eine Zustimmungserklärung abgegeben hat, unbefristet zur Aufnahme des Asylbewerbers bereit ist. Die Zustimmungsklärung ist vielmehr im Kontext der Bestimmungen der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO zu sehen, wonach Zuständigkeiten auch wieder entfallen, wenn Fristen nicht eingehalten werden (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 - 1 K 500/14 -, juris, Rn. 34 f.). Die Feststellungen des EuGH schließen es mithin nicht aus, dass der Asylbewerber in den Fällen, in denen von einer Zustimmung des betreffenden Mitgliedstaates nicht mehr ausgegangen werden kann, auch sonstige Gründe gegen die Entscheidung über den zuständigen Mitgliedsstaat geltend machen kann, so z.B. einen Anspruch auf Prüfung seines Schutzgesuches in der Sache in angemessener Zeit.

Eine entsprechende Sichtweise hat auch der Generalanwalt in seinem Schlussantrag vom 11. Juli 2013 zur Rechtssache C-394/12 (Abdullahi), vertreten. Dort heißt in den Randnummern 44 und 46 wie folgt:

"Meines Erachtens kann dieser Rechtsbehelf nur die Einhaltung der Verordnung im Hinblick auf zwei Aspekte zum Gegenstand haben: (A) das Vorliegen von Umständen, die die Vermutung der Wahrung der Grundrechte widerlegen können, auf der das System der Union beruht, und (B) die Anerkennung bestimmter spezieller Rechte durch die Verordnung Nr. 343/2003, die mit dem eigentlichen Asylrecht einhergehen, und ihre entsprechende Gewährleistung."

"Der zweite Aspekt besteht meines Erachtens in den Rechten, die die Verordnung Nr. 343/2003 dem Asylbewerber speziell im Verlauf des Verfahrens zur Bestimmung des für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedsstaats gewährt. So verhält es sich mit den Rechten im Hinblick auf die Familienzusammenführung (Art. 7, 8, 14, 15), den Rechten bei Minderjährigkeit (Art. 6) oder den Rechten im Zusammenhang mit einem zügigen Verfahren (Einhaltung von Fristen und Umsetzung der in jedem einzelnen Fall vorgesehenen Rechtsfolgen, wie z.B. Art. 19 Abs. 4). Alles dieses sind Rechte, die letztlich über die Rechtsstellung der Mitgliedsstaaten im Bereich der durch die Verordnung Nr. 343/2003 geregelten Beziehungen hinausgehen und die dem Asylbewerber ein spezifisches und eigenes subjektives Recht verleihen, das sich zudem stets auf einen durch eine Grundrechtsgarantie geschützten Bereich bezieht: das Recht auf Schutz des Familienlebens (Art. 7 und 33 der Charta der Grundrechte), das Recht auf Schutz von Kindern (Art. 24 der Charta der Grundrechte) und das Recht auf eine gute Verwaltung (Art. 41 der Charta der Grundrechte). Es handelt sich bei diesen Rechten letzten Endes nicht um einen bloßen Anspruch auf ordnungsgemäße Abwicklung eines Verfahrens, in dem hauptsächlich die Mitgliedsstaaten betreffende Fragen gelöst werden, sondern um den Anspruch darauf, dass bei der Lösung dieser Fragen bestimmte Rechte und Interessen beachtet werden, die Schutzgegenstand bestimmter Grundrechte sind."

Letztlich bedarf die Frage nach einem bereits aus der Dublin II-VO selbst ableitbaren Individualschutz vorliegend aber keiner abschließenden Klärung, da sich ein solcher bereits aus dem materiellen Recht, namentlich dem Asylrecht, ergibt.

Hat nämlich das Bundesamt einen Asylantrag unter Hinweis auf die nach der Dublin II-VO bzw. Dublin III-VO bestehende Zuständigkeit eines anderen Staates in Anwendung des § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und ist im nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Zuständigkeit wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Beklagte übergegangen, so kann der Betroffene dann, wenn man ihm insoweit kein subjektives Recht zuerkennt und dementsprechend die Klage gegen die Entscheidung nach § 27a AsylVfG mangels Rechtsverletzung abweist, letztlich seinen Anspruch auf die ihm durch Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) sowie Art. 3 Abs. 1 der Dublin II-VO bzw. Dublin III-VO garantierte Überprüfung seines Begehrens durch einen Mitgliedstaat nicht mehr wirksam durchsetzen: Die Beklagte kann sich auf die bestandskräftige Ablehnung des in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Antrages als unzulässig berufen. Eine Rückkehr in den ursprünglich zuständigen Staat hilft ihm ebenfalls nicht weiter, da er dort wegen der auf die Beklagte übergegangenen Zuständigkeit keinen Anspruch auf Prüfung seines Antrages mehr hat. Und auch ein Weiterwandern in einen dritten Mitgliedstaat führt nicht weiter, weil auch dieser sich auf die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland berufen kann (vgl. zum Ganzen etwa VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 - 1 K 500/14 -, VG Würzburg, Urteil vom 30. Oktober 2014 - W 3 14.50144 -, VG Ansbach, Urteil vom B. Oktober 2014 - AN 10 K 14.30043 -, VG Köln, Urteil vom 27. August 2014 - 3 K 411/14.A -, VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 - 3 A 416/14 -, und VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 - 17 AE 1762/14 -).

Bereits von daher muss dem Betroffenen auch dann, wenn man eine entsprechende subjektiv-rechtliche Berechtigung nicht bereits unmittelbar den Regelungen der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO entnehmen will, eine solche letztlich jedenfalls als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylrechts zuerkannt werden (vgl. etwa VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, VG Hannover, Beschluss vom 10. November 2014 - 1 B 12764/14 -, VG Regensburg, Urteil vom 23. Oktober 2014 - RN 3 K 14.30180 -, alle in juris, sowie BeckOK AuslR/Günther AsylVfG § 27a Rn. 39).

Soweit dem in der Rechtsprechung teilweise entgegen gehalten wird, dass der ursprünglich zuständige Staat ja möglicherweise trotz des Zuständigkeitswechsels noch zur Aufnahme bzw. Wiederaufnahme bereit sei - etwa, weil unklar sei, wie sich ein zwischenzeitlich durchgeführtes Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auf die Überstellungsfrist auswirke - und sich der Betroffene dann, wenn ihn dieser ursprünglich zuständige Mitgliedstaat (wieder) aufnehme, nach der Rechtsprechung des EuGH auch nicht auf dessen fehlende Zuständigkeit berufen könne (so etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/11 -, OVG Schleswig, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 2 LA 17/15 -, VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 - W 6 S 14.50065 -, und VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 - 17 AE 1762/14 -, alle in juris), erscheint dies zwar im Einzelfall durchaus denkbar.

Der Regelfall wird dies jedoch - insbesondere auch unter den im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aktuell obwaltenden tatsächlichen Umständen - nicht sein.

Dagegen spricht bereits generell die praktische Erwägung, dass ein Mitgliedstaat sich schon im Hinblick auf die mit jedem Asylverfahren verbundenen finanziellen und administrativen Belastungen schwerlich entschließen wird, Asylbewerber auch dann noch aufzunehmen, wenn er hierfür nach den einschlägigen Vorschriften gar nicht mehr zuständig ist (VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 - 3 A 416/14 -, juris, Rn. 44).

Daran ändert auch eine möglicherweise auf das Wiederaufnahmeersuchen hin ergangene Zustimmungserklärung nichts, da diese - wie bereits ausgeführt - im Kontext der Bestimmungen der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO zu sehen ist, wonach Zuständigkeiten auch wieder entfallen, wenn Fristen nicht eingehalten werden.

Zusätzliches Gewicht erhält die daraus resultierende Annahme, dass in einer Vielzahl der Aufnahme-/Wiederaufnahmeverfahren, in denen die Überstellungsfrist ist abgelaufen ist, der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat sich hierauf auch berufen und eine Übernahme des Betroffenen ablehnen wird, angesichts der in den letzten Monaten stark angestiegenen und auch aktuell weiterhin ansteigenden Asylbewerberzahlen (vgl. etwa dpa-Meldung vom 31. Juli 2015 "Asylbewerber-Zahl steigt im Juli auf Rekordhoch") und einer damit einhergehenden Erschöpfung der Aufnahmekapazitäten insbesondere der an den südlichen Außengrenzen der EU gelegenen Mitgliedstaaten. Dies gilt umso mehr, als es sich dabei in der Praxis häufig - wie auch hier - zugleich um die nach der Dublin II-VO bzw. nach der Dublin III-VO ursprünglich zuständigen Mitgliedstaaten handelt. Insoweit wird derzeit diskutiert, Flüchtlinge von dort auf andere Mitgliedstaaten umzuverteilen (siehe z.B. Spiegel Online vom 20. Juli 2015 "EU-Minister verpassen Einigung in Flüchtlingsfrage"). Dass die betreffenden Staaten das so angestrebte Ziel ihrer Entlastung durch die (Wieder-)Aufnahme von Flüchtlingen konterkarieren werden, für deren Verfahren sie nach den Dublin-Verordnungen gar nicht mehr zuständig sind, steht nach der Lebenserfahrung kaum zu erwarten.

Danach kann nicht quasi von einer Vermutung einer über das Erlöschen seiner Zuständigkeit nach der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO hinaus fortbestehenden Aufnahmebereitschaft des ursprünglich zuständigen Mitgliedstaates ausgegangen werden. Im Gegenteil wird man für den Regelfall vielmehr davon auszugehen haben, dass der wegen Ablaufs der Überstellungsfrist nunmehr nicht mehr zuständige Mitgliedstaat sich auch entsprechend der Zuständigkeitsregelung verhalten, d.h. den Betroffenen nach Erlöschen seiner Verpflichtung hierzu nicht (wieder) aufnehmen wird, und mithin im Falle einer Bestandskraft der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 27a AsylVfG diesem die materielle Überprüfung seines Asylbegehrens letztlich insgesamt versagt bleiben könnte.

Nach alledem wird man letztlich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10. Dezember 2013 - C 394/12 - [Abdullahi]) eine Rechtsverletzung des Asylbewerbers durch eine objektiv rechtswidrige Entscheidung des Bundesamtes nach § 27a AsylVfG in den Fällen einer nach vorheriger Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaates abgelaufenen Überstellungsfrist nur dann verneinen können, wenn der ursprünglich zuständige Staat im gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt in hinreichend eindeutiger Weise - in allgemeiner Form wie z. B. einem Abkommen für bestimmte Fälle oder aber im Einzelfall - zu erkennen gegeben hat, weiterhin zur Aufnahme bereit zu sein (in diesem Sinne auch etwa VGH München, Urteil vom 20. Mai 2015 - 11 ZB 14.50036 -, VGH Mannheim, Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 - 1 K 500/14 -, VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 - 3 A 416/14 -, alle in juris).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist für den vorliegenden Fall in Ermangelung jeglichen Hinweises auf eine möglicherweise auch nach dem Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte noch fortbestehende Aufnahmebereitschaft des italienischen Staates von einer durch den objektiv rechtswidrigen Bescheid des Bundesamtes vom 14. Februar 2014 bewirkten Verletzung des Klägers in seinen Rechten auszugehen. [...]