LG Hannover

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Zitieren als:
LG Hannover, Beschluss vom 14.08.2015 - 8 T 50/14 - asyl.net: M23126
https://www.asyl.net/rsdb/M23126
Leitsatz:

Aus dem Anhörungsprotokoll muss sich ergeben, dass der Haftantrag dem Betroffenen, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, übersetzt worden ist, bevor ihm Gelegenheit gegeben wurde, zu dem Haftantrag persönlich Stellung zu nehmen. Ist dies nicht oder nicht vollständig geschehen, so ist die Anhörung fehlerhaft. Von der Erheblichkeit des Fehlers für die Haftanordnung ist auszugehen, wenn die Möglichkeit im Raume steht, dass der Betroffene für die Haftentscheidung wesentliche Teile der Ausführungen im Haftantrag nicht kennt.

Schlagwörter: Haftantrag, Übersetzung, Anhörung, Verfahrensfehler, Protokoll, Anhörungsprotokoll, Haftbeschluss, Abschiebungshaft, Sicherungshaft,
Normen: FamFG § 58 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

2. Die gem. § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde gegen die endgültige Haftanordnung vom 19.11.2014 ist, da form- und fristgerecht eingelegt, zulässig. Sie ist auch begründet.

a) Diese weitere Haftanordnung des Amtsgerichts hat den Betroffenen deshalb in seinen Rechten verletzt, weil den Akten nicht entnommen werden kann, in welchem Umfang der Haftantrag des Betroffenen vor der Anhörung übersetzt worden ist. Im Anhörungsprotokoll ist lediglich angegeben, dass die Dolmetscherin auszugsweise übersetzt hat. Das ist jedoch unzureichend, wenn offen ist, auf welchen von zwei Anträgen vom 14.11.2014 sich die Angabe im Protokoll bezieht und welche Teile übersetzt wurden.

Aus dem Anhörungsprotokoll muss sich ergeben, dass der Haftantrag dem Betroffenen, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, übersetzt worden ist, bevor ihm Gelegenheit gegeben wurde, zu dem Haftantrag persönlich Stellung zu nehmen (vgl. BGH, 12.05.2011 - V ZB 296/10, juris-Rn. 16). Ist dies nicht oder nicht vollständig geschehen, ist die Anhörung fehlerhaft.

Das Unterlassen der verfahrensrechtlich gebotenen mündlichen Anhörung oder ein erheblicher Verfahrensfehler bei ihrer Durchführung drückt wegen deren grundlegender Bedeutung der gleichwohl angeordneten Haft, und zwar auch einer Haft zur Sicherung der Abschiebung, den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf (vgl. BVerfG, 12.03.2008 - 2 BvR 2042/05, juris-Rn. 13; BGH, 04.03.2010 - V ZB 184/09).

Dem steht vorliegend auch nicht eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.07.2014 entgegen. In jener Entscheidung hat der Bundesgerichtshof zwar unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (10.09.2013 - C 383/13 PPU) und unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung erkannt, dass die Aufhebung der Haftanordnung bzw. die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur dann zu erfolgen hat, wenn das Verfahren ohne diesen Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (BGH, 16.07.2014 - V ZB 80/13, juris-Rn. 9 ff.). Von einer derartigen Erheblichkeit des Verfahrensfehlers für die Haftentscheidung ist jedoch dann auszugehen, wenn es nicht nur - wie in dem vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall - um ein Unterbleiben der Aushändigung einer Ablichtung oder sonstigen Abschrift des mündlich vorgetragenen Haftantrags geht, sondern wenn die Möglichkeit im Raume steht, dass der Betroffene für die Haftentscheidung wesentliche Teile der Ausführungen im Haftantrag gar nicht kennt.

b) Darauf, ob die Haftanordnung auch aus anderen Gründen die Rechte des Betroffenen verletzt; hat, kommt es nicht weiter an. [...]