VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 17.09.2015 - 4 A 80/14 - asyl.net: M23236
https://www.asyl.net/rsdb/M23236
Leitsatz:

Kein Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG (früher § 53 Abs. 6 AuslG) im Falle der individuellen Bedrohung eines Rom durch albanische Extremisten im Kosovo.

Schlagwörter: Kosovo, Roma, Widerruf, Abschiebungsverbot, albanische Extremisten, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzfähigkeit, interne Fluchtalternative,
Normen: AsylVfG § 73c Abs. 2, AsylVfG § 73c, AufenthG § 60 ABs. 7 S. 1, AuslG § 53 Abs. 6 S. 1,
Auszüge:

[...]

Nach § 73c Abs. 2 AsylVfG ist die Feststellung der Voraussetzung des § 60 Abs. 7 AufenthG (früher § 53 Abs. 6 AuslG) zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. April 2014 erneut gegebene Begründung einer geänderten Sachlage trägt die Widerrufsentscheidung nicht. Die zusprechende Entscheidung des Gerichts vom 28. Januar 2002 zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG beruht auf einer einzelfallbezogenen und individuellen Würdigung der Situation des Klägers und seiner Eltern, mit der sich das Bundesamt wiederum nicht auseinandergesetzt hat. Der allgemeine Hinweis im angegriffenen Bescheid, dass Aggressionen, wie sie der Kläger im Zusammenhang mit der Abschiebung im Jahre 2000 erlitten habe, stünden heute nicht mehr zu befürchten, vermag gerade die individuelle und einzelfallbezogene Würdigung im angesprochenen Urteil vom 28. Januar 2002 nicht zu entkräften. Danach hat es gegenüber dem Kläger und seinen Eltern nicht nur bei der direkten Abschiebung im Flugzeug verbale Angriffe und Bedrohungen gegeben, sondern nach ihrer Ankunft und vorübergehenden Unterbringung gab es weitere Nachstellungen von albanischstämmigen Extremisten und eine derart bedrohliche Lage, dass der Kläger mit seinen Eltern die Unterkunft nur unter äußerster Lebensgefahr hatte verlassen können. Gerade wegen dieser individuellen und höchstpersönlichen Gefährdungslage des Klägers und seiner Eltern wurde ihnen ein Abschiebungsschutz gewährt. Dass sich an dieser Bedrohungslage auch wegen der mittlerweile verstrichenen Zeitspanne im Falle einer erneuten Rückkehr in das Kosovo etwas geändert haben könnte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Der Kläger und seine Eltern sind persönlich bekannt und individualisiert in das Visier von albanischen Extremisten geraten und wurden massiv von diesen bedroht und gefährdet. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung nochmals glaubhaft und für das Gericht überzeugend geschildert. Dass sich an dieser individuellen Gefährdungslage des Klägers etwas geändert haben könnte, ist nicht dargetan und ersichtlich. Insbesondere fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass ein entsprechendes Nachstellungsinteresse von Personen, denen der Kläger persönlich bekannt ist, entfallen ist oder entfallen sein könnte. Auch soweit es die Frage einer eventuellen Schutzgewährung vor solchen Nachstellungen und Übergriffen angeht, vermag das Gericht eine Änderung der Sachlage ebenfalls nicht zu erkennen, da die Sicherheitskräfte die Sicherheit bedrohter Personen nicht immer und überall zuverlässig gewährleisten können. Der Kläger kann auch nicht auf ein Ausweichen in andere Landesteile im Kosovo verwiesen werden, da der Kläger bereits von albanischstämmigen Extremisten bedroht und gefährdet worden ist und er diesen persönlich bekannt ist. Angesichts dessen wird er den ihm weiterhin drohenden Nachstellungen und Gefährdungen auch durch einen Wohnsitzwechsel im Kosovo nicht entgehen können. Nach alledem haben sich die Voraussetzungen für die rein einzelfallbezogene und individuelle Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in der Person des Klägers nicht geändert, so dass der Bescheid vom 1. April 2014 keinen Bestand haben kann und aufzuheben ist. [...]