VG Osnabrück

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Zitieren als:
VG Osnabrück, Urteil vom 03.02.2015 - 5 A 196/14 - asyl.net: M23409
https://www.asyl.net/rsdb/M23409
Leitsatz:

Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK (Wahrung des Privatlebens) wegen Verwurzelung in Deutschland.

Schlagwörter: Kosovo, Roma, Achtung des Privatlebens, Verwurzelung, Integration, Serbien, Sicherung des Lebensunterhalts, atypischer Ausnahmefall, Regelversagungsgrund, Familieneinheit, alleinerziehend, Erwerbstätigkeit, wirtschaftliche Integration, rechtmäßiger Aufenthalt, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Verlängerung,
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, GG Art. 6, EMRK Art. 8,
Auszüge:

[...]

Die Kläger können sich allerdings inzwischen darauf berufen, ihr durch Art. 8 EMRK geschütztes Recht auf Wahrung ihres Privatlebens rechtfertige die Verlängerung der ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnisse.

Dabei folgt die Kammer auch unter Berücksichtigung des vom Prozessbevollmächtigten der Kläger vorgelegten Gutachtens des Dr. Maierhofer weiterhin der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts.

Einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung kommt danach eine Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.1.2010 - 8 ME 2/10 -, juris Rn. 11; Hessischer VGH, Beschluss vom 15.2.2006 - 7 TG 106/06 -, juris Rn. 25). Fehlt es hieran, liegt schon kein Eingriff in die Rechte des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor; einer Rechtfertigung nach den Maßgaben des Art. 8 Abs. 2 EMRK bedarf es nicht. Ob der Ausländer ein Privatleben faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat führen kann, hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland und zum anderen von der Möglichkeit zur (Re)Integration in seinem Heimatland ab (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.01.2010 - 8 PA 4/10 -).

Dabei kann sich ein Ausländer regelmäßig schon dann nicht erfolgreich auf den Schutz seines Privatlebens nach Art. 8 EMRK berufen, wenn er sich - abgesehen von der nach § 55 Abs. 3 AsylVfG unerheblichen Zeit der Durchführung eines Asylverfahrens - ohne einen erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten hat, also ausreisepflichtig war und die bestehende Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise gleichwohl nicht wahrgenommen hat. Denn eine durch Art. 8 EMRK geschützte Verwurzelung im Bundesgebiet kann während Zeiten, in denen der Ausländer nicht über ein Aufenthaltsrecht, sondern nur über eine Duldung verfügt, grundsätzlich nicht entstehen (vgl. auch Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.09.2014 - 8 ME 110/14 -).

Im vorliegenden Fall ist der Schutzbereich der Art. 8 EMRK allerdings eröffnet, weil sich die Kläger - wenn auch nur für die Dauer eines knappen halben Jahres - rechtmäßig im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben. Es ist deshalb im Einzelfall zu prüfen, ob eine Integration in die hiesigen Verhältnisse im Sinne des Art. 8 EMRK erfolgt ist.

Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes, in einem festen Wohnsitz, ausreichenden Mitteln, um den Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlender Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Ob für den Ausländer darüber hinaus eine (Re-)Integration in seinem Heimatland und damit das Führen eines Privatlebens dort möglich ist, bemisst sich unter anderem nach Kriterien wie der Kenntnis der dortigen Sprache, der Existenz dort lebender Angehöriger sowie sonstiger Bindungen an das Heimatland (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 8.4.2010 - 8 ME 62/10 -; v. 11. 1.2010 - 8 ME 3/10 -). [...]

Ausweislich der unter dem 16.01.2014 vorgelegten Gehaltsabrechnungen für November und Dezember 2014 hat sie im November 2014 bei 110 geleisteten Arbeitsstunden (also ca. 27,5 Wochenstunden) einen Nettoverdienst von 755 Euro und im Dezember 2014 bei 126,5 geleisteten Arbeitsstunden (also ca. 31 Wochenstunden) einen Nettolohn in Höhe von 860,20 Eure erzielt.

Diese dargelegte fortschreitende Integration der Kläger in die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Bundesgebiet und die deshalb von der Kammer getroffene positive Prognose hinsichtlich einer weiter fortschreitenden Integration rechtfertigt insbesondere auch unter Berücksichtigung ihres - im Falle der Klägerin zu 1. jahrzehntelangen - Aufenthaltes im Bundesgebiet die Annahme, dass eine Rückkehr der Kläger nach Serbien oder in den Kosovo einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr durch Art. 8 EMRK geschütztes Recht auf Führung ihres Privatlebens darstellen würde und deshalb die grundsätzlich stets mit zu berücksichtigenden einwanderungspolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland zurückzustehen haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.07.2012 - 1 C 15.12 -, juris. Rn. 21 f.).

Dies gilt umso mehr, als die Kläger zu 2. bis 6. sämtlich im Bundesgebiet geboren wurden und aufgewachsen sind.

Die Kläger haben auch einen Anspruch auf Verlängerung der ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnisse und nicht - nur - auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung durch den Beklagten.

Zwar steht gem. § 25 Abs. 5 AufenthG die Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse grundsätzlich im Ermessender beklagten Ausländerbehörde. Hier ist allerdings das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert, weil - wie bereits dargelegt - eine Rückkehr in den Kosovo oder nach Serbien einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr aus Art. 8 EMRK geschütztes Recht auf Privatleben darstellen würde.

Der Beklagte kann auch nicht geltend machen, dass der Regelversagungsgrund der fehlenden Sicherung des Lebensunterhaltes gem. § 5 Abs. 1 Ziff. 1 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG entgegenstünde.

Denn gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kann im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 - wie hier - von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Im Falle der Kläger liegt auch hinsichtlich dieses dem Beklagten grundsätzlich eröffneten Ermessens eine Ermesssensreduzierung auf Null vor.

Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 30.07.2012 - 1 C 15.12 -, juris. Rn. 21 f.) ist - sogar - ein Ausnahmefall, der ein Abweichen vom Regelversagungsgrund der fehlenden Sicherung des Lebensunterhaltes rechtfertigt, dann anzunehmen, wenn die Verweigerung eines Aufenthaltstitels eine außergewöhnliche Härte darstellt, weil die Fortführung der Familieneinheit im Ausland unzumutbar wäre und deshalb eine Verletzung von Art. 8 EMRK anzunehmen wäre. So liegt es - wie bereits dargelegt – hier. [...]