OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10.07.2002 - 10 A 10438/02.OVG - asyl.net: M2390
https://www.asyl.net/rsdb/M2390
Leitsatz:

Die erneute Zustellung eines Bescheides nach Eintritt der Zustellungsfiktion gem. § 10 Abs. 2 S. 4 AsylVfG hat keine Rechtswirkung und setzt keine neue Rechtsmittelfrist in Gang (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 11.5.1979, DVBl. 1979, 821 ff.).(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Bundesamtsbescheid, Klagefrist, Zustellung, Fiktionswirkung, Erneute Zustellung, Gemeinschaftsunterkünfte, Zuweisung, Adressenänderung, Berufungszulassungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung, Rechtliches Gehör
Normen: AsylVfG § 10 Abs. 2 S. 4; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 11. Mai 1979 6 C 70.78 (DVBI 1979, S. 821ff.) in Bezug auf die erneute Zustellung eines zuvor bereits einmal zugestellten und daraufhin bestandskräftig gewordenen Widerspruchsbescheids ausgeführt: die nachträgliche Bekanntmachung des bereits bestandskräftigen Widerspruchsbescheides stelle sich als ein bloßes zusätzliches Handeln der Verwaltung dar, das rechtlich ohne Bedeutung sei und seiner Natur nach weder die Bestandskraft des Widerspruchsbescheides beeinflussen könne noch eine (zweite) Klagefrist in Lauf zu setzen vermöge. Hieran ändere auch nichts der Umstand, dass die nachträgliche Bekanntmachung durch Übersendung des ursprünglichen Widerspruchsbescheides ohne Hinweis auf die eingetretene Bestandskraft und zudem im Wege förmlicher Zustellung erfolgt sei. Denn eine nochmalige Zustellung könne die Rechtswirkungen der ordnungsgemäßen und wirksamen ersten Zustellung des Widerspruchsbescheides nicht beseitigen. Sie setze insbesondere die Klagefrist nicht erneut in Lauf. Die Zustellung sei für die Behörde nur ein verfahrensrechtliches Mittel zur Sicherung des Nachweises von Zeit und Art der Übergabe eines Schriftstücks. Entfalte dieses Schriftstück - wie die nachträgliche Bekanntgabe eines bestandskräftigen Widerspruchsbescheides - keine eigenen Rechtswirkungen, so vermöge auch eine förmliche Zustellung des Schriftstückes dies nicht zu bewirken. Für die strafprozessualen Rechtsmittelfristen sei deshalb anerkannt, dass auch bei mehrfacher Zustellung einer rechtsmittelfähigen Entscheidung an denselben Betroffenen die erste wirksame Zustellung für die Fristberechnung maßgeblich sei. Für das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren könne insoweit nichts anderes gelten. Andernfalls könne die Widerspruchsbehörde dem Widerspruchsführer gleichsam Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren, indem sie den Widerspruchsbescheid nach Verstreichen der Klagefrist ein zweites Mal zustelle. Ein solches Ergebnis sei jedoch mit den Regelungen der VwGO nicht zu vereinbaren. Die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Klagefrist falle nach § 60 Abs. 4 VwGO in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 und 2 VwGO. Der Annahme einer erneuten Klagemöglichkeit aufgrund wiederholter Zustellung stünden zudem zwingend die verwaltungsprozessualen Ausschlussfristen der §§ 58 Abs. 2, 60 Abs. 3 VwGO entgegen, die im Interesse der Rechtssicherheit zulässigerweise Unsicherheiten hinsichtlich der Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen ausschlössen.

Dass hier im Zeitpunkt der erneuten Zustellung des Asylbescheides (durch Niederlegung) - am 8. November 2001 - bereits die zweiwöchige Klagefrist nach der ersten (fiktiven) Zustellung abgelaufen und der Bescheid damit in Bestandskraft erwachsen war, folgt daraus, dass nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG der Bescheid mit seiner Aufgabe zur Post - vorliegend am 22. Oktober 2001 - als zugestellt gilt. Der Bescheid war so mit Ablauf des 5. November 2001 bestandskräftig geworden.

Soweit der Kläger darüber hinaus - wohl unter dem des Weiteren geltend gemachten Gesichtspunkt der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) - der Sache nach rügt, dass das Verwaltungsgericht trotz der leichten Erreichbarkeit des Klägers wegen seines ordnungsgemäßen Aufenthaltes unter der ihm zugewiesenen Anschrift die Voraussetzungen für die Zustellungsfiktion gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG als erfüllt angesehen habe, rechtfertigt sein Vorbringen ebenfalls nicht die Zulassung der Berufung.

Es ergibt sich vielmehr bereits aus der vom Kläger angesprochenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. Beschluss vom 8. Juli 1996 - 2 BvR 96/95 -, InfAuslR 1997, S. 87 ff.), dass das Wohnen unter der Zuweisungsadresse keineswegs die "Benachteiligung eines Flüchtlings" nach Maßgabe des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG ausschließt. Unter anderem in jener Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht nämlich hervorgehoben, dass der mit der Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 AsylVfG verbundene Nachteil im Hinblick auf das alle staatlichen Organe verpflichtende Gebot eines fairen Verfahrens nur dann unbedenklich sei, wenn dem Betroffenen durch eine erläuternde Belehrung mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen geführt werde, welche Obliegenheiten ihn im Einzelnen träfen und welche Folgen bei der Nichtbeachtung entstehen könnten, und ist es im Folgenden nicht zuletzt auf die Belehrung gerade in dem Fall eingegangen, dass der Asylbewerber von einer Aufnahmeeinrichtung einer anderen Unterkunft zugewiesen wurde. Dazu hat es sodann festgestellt, dass es mit Rücksicht darauf, dass sich die staatlichen Einrichtungen, denen sich ein Asylbewerber gegenübersehe, für diesen regelmäßig zunächst als eine Einheit darstellten, eines ausdrücklichen Hinweises darauf bedürfe, dass die Pflicht, dem Bundesamt jede Adressenänderung mitzuteilen, auch hier Beachtung fordere.