Im Falle der Abschiebung nach Ungarn wären Schutzsuchende der Gefahr eines Verstoßes gegen das Refoulement-Verbot ausgesetzt. Zudem bestehen in Ungarn systemisch mangelhafte Aufnahmebedingungen.
(Mit zahlreichen Nachweisen, sich anschließend an VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 02.12.2015 - 22 K 3263/15.A - asyl.net/Dublin: M23373)
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Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage liegen allerdings Umstände für einen Ausnahmefall vor, der die Beklagte zur Fortsetzung der Prüfung bzw. eigenen Durchführung des Asylverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO verpflichtet. Einer Abschiebung der Kläger nach Ungarn stehen wesentliche Gründe für die Annahme von systemischen Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen. [...]
Aufgrund der aktuell verfügbaren Erkenntnisse ist das Gericht davon überzeugt, dass das ungarische Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch den Klägern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Die Kläger wären im Falle der Abschiebung nach Ungarn der Gefahr eines Verstoßes gegen das Zurückschiebungsverbot (Non-Refoulement) ausgesetzt. Durch die (Wieder-)Einführung des Konzepts sicherer Drittstaaten unter Einbeziehung Serbiens besteht die ernsthafte Besorgnis, dass sie aus Ungarn nach Serbien abgeschoben werden, ohne dass zuvor ihre Asylgründe inhaltlich geprüft wurden. Es besteht die Gefahr, dass diese Prüfung auch in Serbien nicht erfolgen wird. Hierin liegt ein indirekter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot. [...]
Nach den zum August 2015 in Kraft getretenen ungarischen Asylrechtsänderungen gilt Serbien nunmehr (wieder) als sicherer Drittstaat. § 2 der ungarischen Regierungsverordnung 191/2015 (VII 21) Korm. bestimmt unter anderem die meisten EU-Beitrittskandidaten – einschließlich Serbiens – zu sicheren Drittländern im Sinne des § 2 Buchst. i) des ungarischen Asylgesetzes (VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 2. Dezember 2015 – 22 K 3263/15.A – S. 7 unter Verweis auf das Rechtsgutachten über ungarisches Asylrecht des Instituts für Ostrecht München vom 2. Oktober 2015, erstattet für das VG Düsseldorf zum Verfahren 22 K 3263/15.A – im Folgenden: Rechtsgutachten – S. 4 und 6). Die Einreise aus einem sicheren Drittstaat begründet nach dem ungarischen Asylgesetz eine gesetzliche Vermutung, dass der Schutzsuchende dort bereits hätte Asyl beantragen und Schutz erhalten können. Diese gesetzliche Vermutung kann der Schutzsuchende widerlegen, indem er nachweist, dass in seinem konkreten Fall der Drittstaat nicht sicher war, weil er dort keinen dem ungarischen Asyl adäquaten Schutz hat erhalten können. Gelingt dem Schutzsuchenden dieser Nachweis nicht, so ist das Schutzgesuch (soweit nicht die Dublin-Verordnungen Anwendung finden) gemäß § 51 des ungarischen Asylgesetzes in einem beschleunigten Verfahren als unzulässig abzuweisen (VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 2. Dezember 2015 – 22 K 3263/15.A – S. 8; Rechtsgutachten, S. 11 ff., 16; Hungarian Helsinki Committee – HHC, Building a Legal Fence – Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary, Information note, 7. August 2015, S. 1 f.; Ecre/Aida, Crossing Boundaries, The new asylum procedure at the border and restrictions to accessing protection in Hungary, Oktober 2015, S. 13 und 17 f.; Amnesty international, Fenced out, Hungary’s violations of the rights of refugees and migrants, Oktober 2015, S. 15, 18). Die Möglichkeit eines einzelnen Asylbewerbers, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen, wird als rein theoretisch angesehen (HHC, Building a Legal Fence – Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary, Information note, 7. August 2015, S. 2; HHC, Kein Land für Flüchtlinge – Neue Asylregeln verwehren Flüchtlingen Schutz und führen zu ungeahnten Menschenrechtsverletzungen in Ungarn, 18. September 2015, S. 4).
Serbien genügt nicht den Anforderungen, die sichere Drittstaaten gemäß Art. 39 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU erfüllen müssen. Die Berichterstatterin schließt sich den Ausführungen des VG Düsseldorf (Gerichtsbescheid vom 2. Dezember 2015 – 22 K 3263/15.A – nicht veröffentlicht) an und macht sie sich zu Eigen. Dieses führt aus (S. 9 f.): [...]
Von den zum 1. August 2015 in Kraft getretenen Asylrechtsänderungen wären auch die Kläger im Falle einer Überstellung nach Ungarn betroffen. Denn diese finden auch auf Asylsuchende Anwendung, die ihren Antrag bereits vor dem 1. August 2015 gestellt haben und aufgrund der Dublin III-Verordnung nach Ungarn überstellt werden. Das VG Düsseldorf führt dazu aus (a.a.O. S. 11 f.): [...]
Soweit in der Rechtsprechung z.T. davon ausgegangen wird, dass die Drittstaatenregelung auf Dublin-Rückkehrer nicht anwendbar sei (VG Stade, Beschluss vom 4. November 2015 – 1 B 1749/15 – Juris Rn. 14; VG Ansbach, Beschluss vom 29. Oktober 2015 – AN 3 S 15.50473 – Juris Rn. 43), muss dies durch die Ausführungen in dem Rechtsgutachten und die Erkenntnisse von Ecre/Aida als widerlegt angesehen werden.
Die Kläger sind ihren Angaben zufolge – ebenso wie 99 Prozent der bis September 2015 in Ungarn eingetroffenen Asylsuchenden (Ecre/Aida, Crossing Boundaries, S. 12) – über Serbien nach Ungarn eingereist. Aufgrund der Rückwirkung der Drittstaatenregelung ist davon auszugehen, dass auch sie von der Regelung betroffen wären, obwohl ihr Asylantrag in Ungarn bereits am 25. September 2014 registriert wurde.
Die Kläger würden im Falle einer Abschiebung nach Ungarn zudem auf systemisch mangelhafte Aufnahmebedingungen treffen. [...]
Hinsichtlich der Kläger besteht nach einer Abschiebung nach Ungarn die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass ihnen weder Unterkunft noch sonstige hinreichende materielle Unterstützung gewährt würde. Die Kläger würden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als Folgeantragsteller behandelt. Laut Mitteilung der ungarischen Behörden wurde ihr Asylverfahren nach ihrem Verschwinden aus Ungarn im Herbst 2014 beendet. Nach dem ungarischen Asylgesetz wird das Asylverfahren nur dann als Erstverfahren fortgeführt, wenn ein entsprechender Antrag innerhalb von neun Monaten nach der Einstellung gestellt wird (Rechtsgutachten S. 23; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Magdeburg vom 28. September 2015 zu Frage 1; Ecre/Aida, Crossing Boundaries, S. 34). Diese Frist ist im Falle der Kläger mittlerweile verstrichen.
Die Behandlung als Folgeantragsteller hat nicht nur Auswirkungen auf die inhaltliche Prüfung der Asylanträge der Kläger (vgl. dazu (Ecre/Aida, Crossing Boundaries, S. 35). Sie hätten als Folgeantragsteller in der Regel nur die gleiche Möglichkeit der Unterstützung durch die ungarische Regierung wie mittellose ungarische Staatsangehörige. Sie würden nicht in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht und hätten nur die Möglichkeit, in einem Obdachlosenasyl unterzukommen (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Magdeburg vom 28. September 2015 zu Frage 1 und 2). Dies ist den Klägern schon vor dem Hintergrund der psychischen Erkrankung der Klägerin zu 2) nicht zuzumuten.
Doch selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Kläger nach einer Überstellung nach Ungarn Anspruch auf Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung hätten, ist unwahrscheinlich, dass sie dort tatsächlich einen Platz und eine entsprechende Versorgung erhielten. Sie wären vielmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von den erheblichen Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung in Ungarn betroffen, die aus dem Missverhältnis zwischen der Anzahl der Asylantragsteller und der verfügbaren Unterbringungsplätze resultieren. [...]
Ob die Kläger im Falle der Überstellung nach Ungarn weiterhin der Gefahr einer gegen Art. 6 GR-Charta / Art. 5 EMRK (s. Beschluss des Gerichts vom 19. Juni 2015 – VG 9 L 88.15 A – und ausführlich Beschluss vom 15. Januar 2015 – VG 23 L 899.14 A – Juris; kritisch Bayerischer VGH, Beschluss vom 12. Juni 2015 – 13a ZB 15.50097 – Juris Rn. 4; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. April 2015 – 2 LA 39/15 – Juris Rn. 3) bzw. sogar gegen Art. 4 GR-Charta / Art. 3 EMRK verstoßenden Inhaftierungspraxis (VG Köln, Urteil vom 8. September 2015 – 18 K 4368/15.A – Juris Rn. 38) ausgesetzt wären, kann angesichts der bereits dargestellten systemischen Mängel offen bleiben. [...]