VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Beschluss vom 10.06.2016 - 2 B 149/16 - asyl.net: M23921
https://www.asyl.net/rsdb/M23921
Leitsatz:

Anordnung der aufschiebenden Wirkung wegen mangelnder Sachaufklärung des BAMF darüber, ob der in einem anderen Dublin-Staat (hier: Schweden) im Jahr 2011 geprüfte Asylantrag mit der nun gebotenen Sachprüfung unter Einbeziehung des internationalen subsidiären Schutzes identisch ist.

Schlagwörter: Zweitantrag, sichere Drittstaaten, unzulässig, Schweden, subsidiärer Schutz, Asylverfahrensrichtlinie, Verfahrensrichtlinie, internationaler Schutz, Änderung der Rechtslage, Sachverhaltsaufklärung, Asylantrag, Asylverfahren,
Normen: AsylG § 26a, AsylG § 71a, AsylG § 4, AsylG § 13,
Auszüge:

[...]

Ob mit dem hier streilbefangenen Asylantrag vom 10.01.2013 ein Antrag gestellt wurde, der mit dem in Schweden gestellten Asylantrag identisch ist, ist ungewiss, weil das bisher vorliegende Erkenntnismaterial keinen Vergleich beider Anträge erlaubt. Abgesehen von den Entscheidungsdaten der schwedischen Asylablehnung und der Entscheidung über eine hiergegen durch den Antragsteller geführten Beschwerde sind den Akten keinerlei Erkenntnisse zum Ablaut und zum Gegenstand des Asylverfahrens des Antragstellers in Schweden zu entnehmen. Es ist auch nicht geklärt, welchen Inhalt die in Schweden getroffene Entscheidung hat. Das Bundesamt hat die schwedischen Akten nicht beigezogen und auch nicht durch Einholung einer Auskunft die Vorgeschichte aufgeklärt.

Es kann aber für einen im Jahr 2011 in Schweden gestellten Asylantrag nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass er inhaltlich mit einem später in Deutschland gestellten Asylantrag identisch ist. Dies hängt vielmehr unter anderem von der bisher offenen Frage ab, ob das Prüfprogramm beider Asylanträge gleich ist. Das Bundesamt hat nicht geklärt, ob der im Jahr 2011 in Schweden gestellte Asylantrag auch einen Antrag auf subsidiären Schutz beinhaltete. Dies erscheint deshalb nicht selbstverständlich, weil auch in Deutschland ein Antrag auf subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG erst seit Inkrafttreten. der geänderten Fassung des § 13 AsylG (Art. 1 Nr. 15 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28.08.2013, BGBl. I S. 3474) am 01.12.2013 Gegenstand des Asylantrags ist. Zuvor umfasste der Antrag auf Asylanerkennung nur das "echte" Asyl gemäß Art. 16a Abs. 1 GG und den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG), während subsidiärer Schutz in Deutschland nur im Rahmen des Abschiebungsschutzes nach § 60 AufenthG geprüft wurde. Wenn die Entwicklung des Asylverfahrens in Schweden ähnlich gewesen sein sollte, könnte ein dort im Jahr 2011 gestellter Asylantrag wohl nicht als identisch mit dem der Entscheidung des Bundesamts im Fall des Antragstellers zugrundeliegenden Antrag angesehen werden. Obwohl dieser Antrag vor dem 01.12.2013 gestellt worden ist, umfasste er auch den Antrag auf subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG. Das Änderungsgesetz enthält keine Übergangsbestimmungen, sodass sich der Gegenstand des vom Bundesamt in diesem Zeitpunk1 noch nicht beschiedenen Antrags nach der Neufassung richtete und somit auch den Antrag auf subsidiären Schutz im Sinne von § 4 AsylG umfasste.

Hiervon ausgehend wäre im Fall eines nicht identischen Antrags vorliegend eine vollständig neue Sachprüfung. unter Einbeziehung des internationalen subsidiären Schutzes geboten. Ein anderes Ergebnis hätte zur Folge, dass unter Umständen über den Antrag des Antragstellers auf Gewährung subsidiären Schutzes weder durch die schwedischen Behörden noch durch das Bundesamt und damit überhaupt nicht entschieden würde.

Angesichts der Unsicherheit über die Frage, ob es sich bei dem am 10.01.2013 gestellten Antrag um einen identischen Asylantrag im Sinne der Asylverfahrensrichtlinie a.F. handelt, nimmt das Gericht eine Abwägung der Interessen des Antragstellers mit den berührten öffentlichen Interessen vor. Im Hinblick auf die hohen Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vergleiche zuletzt Beschluss vom 21.04.2016 - 2 BvR 273/16 -, juris) an ablehnende gerichtliche Entscheidungen im Asyl-Eilverfahren zu stellen sind, wird dem Interesse des Antragsstellers, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bis zum Abschluss des Klageverfahrens verschont zu bleiben. der Vorrang eingeräumt.

Bei der Interessenabwägung hat das Gericht berücksichtigt, dass der Antragsteller nach eigenem Vortrag Unterlagen zu seinem in Schweden betriebenen Asylverfahren vernichtet hat. Dieser Umstand führt jedoch letztlich nicht zu einem anderen Ergebnis. Angesichts der komplizierten rechtlichen Zusammenhänge, die der Antragsteller nicht überblickt haben kann, ist nicht davon auszugehen, dass das mehrere Jahre zurückliegende Verhalten darauf ausgerichtet war, das Gericht in der nunmehr getroffenen Entscheidung zu veranlassen. Das Unvermögen des Antragstellers, die Unterlagen jetzt noch vorzulegen, tritt deshalb gegenüber der behördlichen Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts zurück. Dem Bundesamt stehen im Verlauf des Klageverfahrens Möglichkeiten offen, durch Kontaktaufnahme mit den schwedischen Asylbehörden Informationen darüber zu erhalten, ob es sich bei den beiden Asylanträgen um identische Anträge im oben genannten Sinn handelt. [...]