LG Berlin

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Zitieren als:
LG Berlin, Beschluss vom 28.08.2002 - 84 T 210 u. 222/02 B - asyl.net: M2430
https://www.asyl.net/rsdb/M2430
Leitsatz:

Abschiebungshaft ist unverhältnismäßig, wenn die Ausländerbehörde während der vorangehenden Strafhaft des Betroffenen es unterlassen hat, die Abschiebung mit der größtmöglichen Beschleunigung – insbesondere bei der Beschaffung von Passersatzpapieren – vorzubereiten.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: D (A), Algerier, Abschiebungshaft, Strafhaft, Haftgründe, Untertauchen, Abschiebungsvereitelung, Passersatzbeschaffung, Beschleunigungsgebot, Verhältnismäßigkeit
Normen: AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 5
Auszüge:

 

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß vom 11. Juli 2002 ist gemäß §§ 103 Abs. 2 AuslG, 3 Satz 2, 7 Abs. 1 und 2 FEVG, 21, 22 FGG zulässig. Sie ist auch begründet. Die Haft zur Sicherung der Abschiebung darf gegen den Betroffenen nicht angeordnet werden.

Dabei kann unterstellt werden, daß der Haftgrund des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG erfüllt ist, da sich der Betroffene mit unbekanntem Ziel abgesetzt hatte, nachdem die im Bescheid vom 27. November 1997 gesetzte Ausreisefrist abgelaufen war. Ebenso kann unterstellt werden, daß der Betroffene den Haftgrund des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG verwirklicht, weil er mit Schleppern eingereist ist, sich mit gefälschten, auf einen Aliasnamen lautenden Papieren ausgewiesen hat und bereits mehrmals strafrechtlich verurteilt worden ist, und dadurch den Verdacht begründet, er werde sich im Falle seiner Freilassung der Abschiebung durch Untertauchen entziehen.

Ungeachtet dessen ist die Haftanordnung nicht zulässig, weil sie unverhältnismäßig in die Rechte des Betroffenen eingreifen würde. Der Antragsteller hat die Abschiebung des Betroffenen nicht mit der größtmöglichen Beschleunigung vorbereitet. Es ware ihm möglich und zumutbar gewesen, die Paßbeschaffung für den Betroffenen so zügig zu betreiben, daß eine Inhaftierung zur Sicherung der Abschiebung entbehrlich gewesen wäre. Dem Antragsteller war spätestens seit dem 24. April 2002 positiv bekannt, daß der Betroffene spätestens am 7. Juli 2002 aus der Strafhaft entlassen werden mußte. Wie der zuständige Mitarbeiter in seinem Vermerk von jenem Tag festhielt, hätte sich die Haftdauer allenfalls verkürzen können, wenn der Betroffene gegen das Strafurteil erfolgreich Berufung eingelegt hätte. Die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Abschiebung lag ebenfalls seit langem vor.

Unter diesen Umständen bestand für den Antragsteller kein Anlaß, mit der Paßbeschaffung noch weiter zuzuwarten. Ein solcher Grund ergab sich hier insbesondere nicht daraus, daß die Gültigkeit algerischer Paßersatzpapiere nur 90 Tage beträgt und der Antragsteller ihre Ausstellung deshalb regelmäßig nur mit möglichst geringem Vorlauf vor dem voraussichtlichen Abschiebungstermin beantragt, um die Papiere bei einem Scheitern des ersten Abschiebungsversuchs noch einmal nutzen zu können. Selbst wenn das Paßersatzpapier bereits wenige Wochen später im Mai 2002 ausgestellt worden ware, wäre

bei einem Scheitern des Abschiebungstermins am 7. Juli 2002 immer noch ein Zeitraum von einigen Wochen verblieben, in dem der Antragsteller das Papier noch einmal zur Abschiebung verwenden hätte können.

Wäre die Paßbeschaffung am 24. April 2002 eingeleitet worden, hätte die Abschiebung aller Voraussicht nach bereits am 7. Juli 2002 unmittelbar aus der Strafhaft heraus vollzogen werden können.

Wenn die Abschiebung des Betroffenen nunmehr nur durch Haft nach § 57 Abs. 2 AuslG gesichert werden kann, ist das danach allein auf die zögerliche Bearbeitung der Sache durch den Antragsteller zurückzuführen. Der schwerwiegende Grundrechtseingriff der in der Anordnung der Abschiebungshaft liegt, ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn er ausschließlich zum Ausgleich von Versäumnissen des Antragstellers dienen würde.