LG Traunstein

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Zitieren als:
LG Traunstein, Beschluss vom 08.02.2017 - 4 T 159/17; 4 T 271/17 - asyl.net: M24702
https://www.asyl.net/rsdb/M24702
Leitsatz:

Zur Überstellungshaft im Rahmen des Dublin-Verfahrens:

1. Bei Inhaftierung zur Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens liegt ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz vor, wenn die Stellung eines Übernahmeersuchens an einen anderen Mitgliedstaat (ohne ausreichenden Grund) mehr als eine Woche in Anspruch nimmt.

2. Bei einer Zurückschiebung im Dublin-Verfahren gehören zu den erforderlichen Angaben zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung auch Ausführungen dazu, dass und weshalb der Zielstaat zur Rücknahme verpflichtet ist (unter Bezugnahme auf BGH Beschluss vom 17.10.2013, Az. V ZB 162/12, zur Dublin-II-VO, asyl.net: M21284).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Übernahmeersuchen, Abschiebungshaft, Beschleunigungsgebot, Überstellung, Zurückschiebung,
Normen: VO 604/2013 Art. 23, VO 604/2013 Art. 28 Abs. 2, VO 604/2013 Art. 2 Buchst. n, AufenthG § 2 Abs. 14, AufenthG § 2 Abs. 15, AufenthG § 62a
Auszüge:

[…]

(2) Bei einer Zurückschiebung nach der Verordnung [EG] Nr. 604/2013 (künftig: Dublin-III-Verordnung) gehören z den erforderlichen Angaben zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung auch Ausführungen dazu dass und weshalb der Zielstaat nach der Verordnung zur Rücknahme verpflichtet ist (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17.10.2013, Az.: V ZB 162/12, zur Dublin II Verordnung).

Aus dem Haftantrag der beteiligten Behörde vom 21.11.2016 geht hervor, dass der Betroffene aufgrund eines Eurodac-Treffers in Ungarn im Wiederaufnahmeverfahren nach der Dublin III Verordnung dorthin überstellt werden soll. Wie oben ausgeführt, war der Eurodac-Treffer für Ungarn der älteste, so dass nicht zu beanstanden ist, dass das BAMF den Betroffenen zunächst nach Ungarn überstellen wollte. An der Zulässigkeit des Antrages ändert der Umstand nichts, dass Ungarn seine Zuständigkeit später verneint hat. Das BAMF war nicht verpflichtet, gleichzeitig mehrere Staaten um Wiederaufnahme zu ersuchen. Die Dublin-III-Verordnung sieht in Art. 23 nur vor, dass ein (1) Staat um Wiederaufnahme ersucht wird.

(3) Der Antrag enthält eine nachvollziehbare zeitliche Darstellung, dass innerhalb von acht Wochen die Überstellung nach Ungarn erfolgen soll. Es ist auch schlüssig dargelegt, dass gegenüber der üblichen Dauer von sechs Wochen wegen eines Überstellungsstopps während der Weihnachtsfeiertage zwei Wochen mehr benötigt werden.

b) Der Haftantrag verweist auf das generelle Einvernehmen der Staatsanwaltschaft Traunstein. Im Übrigen ist dieses Einvernehmen nach der aktuellen Fassung des § 72 Abs. 4 AufenthG nicht mehr erforderlich.

c) Es bestand der Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2, Art. 2 lit. n Dublin-III-Verordnung i.V.m. § 2 Abs. 15 Satz 1, Abs. 14 Ziffer 4 AufenthG. Mit der Neufassung des § 2 AufenthG in der ab 01.08.2015 gültigen Fassung hat der deutsche Gesetzgeber die in Art. 2 lit. n Dublin-III-Verordnung geforderten objektiv gesetzlich festgelegten Kriterien für das Vorliegen einer erheblichen Fluchtgefahr festgelegt. Da vorliegend die Haft zur Sicherung der Überstellung des Betroffenen im Dublin-III-Verfahren angeordnet wurde, sind für das Vorliegens einer erheblichen Fluchtgefahr die in § 2 Abs. 15 AufenthG und durch die Verweisung in Satz 1 die in § 2 Abs. 14 AufenthG festgelegten Kriterien maßgeblich.

Nach § 2 Abs. 14 Ziffer 5 AufenthG kann ein konkreter Anhaltspunkt für eine erhebliche Fluchtgefahr sein, wenn der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Der Betroffene hat bei seiner polizeilichen Vernehmung auf Frage, ob er sich der Zurückschiebung in sein Heimatland, oder ein anderes Land, das zur Aufnahme bereit ist, geantwortet, dass er sich nicht zur Verfügung stellt. Er gab ferner an, dass er untertauchen würde.

Die Kammer hat keine Zweifel, dass sich der Betroffene der Überstellung in das nach der Dublin-III-Verordnung zuständige Land, sei es nun Ungarn oder Österreich, nicht gestellt hätte. Der Betroffene gab bei seiner polizeilichen Vernehmung nämlich an, dass er nach Holland weiterfahren wollte, wo er bei Freunden leben wollte.

b) Die Zurückschiebehaft wurde in der zentralen Abschiebehafteinrichtung in Mühldorf am Inn vollzogen (§ 62a Abs. 1 AufenthG).

c) Es liegt ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz vor. Die Haft zur Sicherung der Abschiebung darf nur dann aufrechterhalten werden, wenn die Behörde die Abschiebung des Betroffenen ernstlich und gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit der größtmöglichen Beschleunigung betreibt (BGH vom 17.01.2013, V ZB 172/12).

Der Betroffene wurde am Abend des 19.11.2016, einem Samstag, festgenommen. Das BAMF wurde am folgenden Montag, 21.11.2016, durch die beteiligte Behörde kontaktiert. Ausweislich des dem Haftantrag vom 03.01.2017 beiliegendem Schreibens wurde Ungarn jedoch erst am 29.11.2016, also 10 Tage später um Übernahme ersucht. Die Kammer hält für die Stellung eines Übernahmeersuchens eine Frist von einer Woche, wie sie von der beteiligten Behörde regelmäßig in ihren Haftanträgen angesetzt wird, für ausreichend. Sachliche Gründe, warum hier die Stellung eines Übernahmegesuchs mehr als eine Woche in Anspruch nahm, sind nicht ersichtlich. Mit Überschreiten der Wochenfrist, also ab 27.11.2016 war die Haft daher rechtswidrig.

Im Übrigen liegt ein weiterer Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot auch darin, dass das Übernahmegesuch vom 29.11.2016 Ungarn offensichtlich nicht erreicht hat, so dass es am 02.01.2017 erneut gestellt wurde. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das BAMF die behaupteten technischen Probleme bei der Übersendung nicht früher bemerkt, sondern erst nach fast fünf Wochen ein neues Übernahmeersuchen gestellt wurde. [...]