1. Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen der Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK (Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung) bei Rückkehr nach Afghanistan.
2. Die zu erwartenden schlechten Lebensbedingungen und die daraus resultierenden Gefährdungen führen auch ohne konkrete Maßnahmen zur Annahme einer drohenden unmenschlichen Behandlung, da der Schutzbereich von § 60 Abs. 5 AufenthG auch bei einer allgemeinen, auf eine Bevölkerungsgruppe bezogene Gefahrenlage eröffnet ist.
3. In Afghanistan herrscht keine Gruppenverfolgung von Personen, die der Glaubensgemeinschaft der Ismailiten oder der Volksgruppe der Hazara angehören.
(Leitsätze der Redaktion; Anm. d. Redaktion: Eine Verletzung von Art. 3 EMRK ist i.R.d. Prüfung des subsidiären Schutzes gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verneint worden)
[...]
Der Kläger war vor seiner Ausreise aus Afghanistan nicht von politischer Verfolgung betroffen. Zwar hat er in der Anhörung beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht glaubhaft angegeben, er sei Mitglied der Glaubensgemeinschaft der Ismailiten, die zu den Schiiten zählen würden und zudem Volkszugehöriger der Hazara. Dem Kläger droht deswegen jedoch keine Verfolgung wegen seiner Religionszugehörigkeit. Die Repressalien, denen er in seinem Heimatdorf ausgesetzt war, überschreiten nicht die Schwelle einer rechtserheblichen Verfolgungshandlung. Der Kläger hat vorgetragen, er sei als Ismailit nicht akzeptiert und gelegentlich beleidigt worden, ernsthafte Probleme habe er persönlich jedoch nicht gehabt. Eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG ist darin nicht zu sehen. Allein Beleidigungen stellen keine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte dar und unterfallen auch nicht § 3a Abs. 2 AsylG. Der Kläger war auch nicht Opfer physischer oder psychischer Gewalt, auch wenn er angegeben.hat, er habe von anderen Ismailiten gehört, die entführt und ermordet worden seien, denn ihm selber ist gerade nichts passiert.
Der Kläger ist auch nicht allein durch seine Angehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Ismailiten einer Verfolgung ausgesetzt, denn Ismailiten unterliegen in Afghanistan keiner Gruppenverfolgung. Sie werden weder verfolgt noch generell diskriminiert, auch wenn sie in einigen Regionen gewissen Gefahren in Form von Belästigungen und Schikanen ausgesetzt sind. Verfolgungshandlungen sind jedoch nicht in so großer Zahl und so hoher Dichte erkennbar, dass sie sich auf nahezu alle Mitglieder dieser Gruppe erstrecken würden (vgl. zum Vorstehenden: VG München, U. v. 12.09.2013 - M 22 K 13.30079 - juris). Dementsprechend wurden Ismailiten schon im Jahr 2013 vom UNHCR nicht mehr als religiöse Minderheit mit einem Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung angesehen, zumal Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft inzwischen auch im Parlament vertreten sind (UNHCR - Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 06.08.2013). Auch der Umstand, dass die Taliban im Kunduz, wo der Kläger gelebt hat, mittlerweile in vielen Orten wieder die Gegend beherrschen, führt nicht zu einer anderen Beurteilung, denn es ist nicht bekannt geworden, dass Ismailiten seitdem mehr Gefahren ausgesetzt sind, als die übrige Bevölkerung, die nicht mit den Taliban zusammenarbeitet. Auch wenn der Kläger aufgrund seines Alters generell dafür in Betracht kommt, von den Taliban zwangsrekrutiert zu werden, sind keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder erkennbar, dass er diesbezüglich einer höheren Gefahr unterliegt, als seine Mitbürger.
Die Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Hazara führt ebenfalls nicht zur Annahme einer Gruppenverfolgung. Die Lage der Hazara hat sich nach ihrer besonderen Verfolgung während der Taliban-Herrschaft grundsätzlich gebessert, auch wenn sie in der öffentlichen Verwaltung immer noch unterrepräsentiert sind und gesellschaftliche Spannungen in lokal unterschiedlicher Intensität weiterhin fort bestehen; für 2015/2016 ist sogar eine Zunahme von Übergriffen auf Angehörige der Hazara seitens der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Gruppierungen festgestellt worden. Hazara sind weiterhin häufig mit sozialer Diskriminierung konfrontiert und werden Opfer von Erpressung, illegaler Besteuerung, Zwangsrekrutierung und -arbeit sowie physischen Übergriffen (vgl. Lagebericht des Auswärtiges Amtes, Stand: September 2016, S. 9; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.09.2016, S. 22). Dennoch ist nicht davon auszugehen, dass Hazara in Afghanistan einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden politischen bzw. religiösen Gruppenverfolgung ausgesetzt sind. Die Annahme einer solchen Gruppenverfolgung setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung voraus, dass eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in.flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr einer Betroffenheit besteht. Hiervon ist derzeit nicht auszugehen (vgl. BayVGH, U. v. 01.02.2013 - 13a B 12.30045 -; B. v. 01.12.2015 - 13a ZB 15.30224; B. v. 04.01.2017 - 13 a ZB 16.30600; VG Ansbach, U. v. 28.04.2015 - AN 11 K 14.30570 -, VG Würzburg, U. v. 26.04.2016 - W 1 K 16.30269 -, VG Augsburg, U. v. 19. 01. 2017 - Au 5 K 16.32053 -; VG Augsburg, U. v. 07.11.2016 - Au 5 K 16.31853 -, alle zitiert nach juris). [...]
Unter Berücksichtigung dessen besteht beim Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keine konkrete Gefahr, der Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor. [...]
Selbst wenn man im Kundus von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ausgehen würde, verdichtet sich die Gefahr beim Kläger nicht so, dass sie für ihn eine erhebliche individuelle Gefahr darstellt. Persönliche Umstände, die zu einer höheren Gefährdung für den Kläger führen würden als für die Allgemeinheit, sind nicht ersichtlich. Zwar hat der Kläger zuletzt als Soldat gearbeitet und die Straße zwischen Kabul und Jalalabad gesichert; er hat jedoch nicht vorgetragen, dass er deshalb Probleme bekommen hat, die ihn als stärker betroffen erscheinen lassen, als die übrige Bevölkerung.
Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Bei dem nationalen Abschiebungsschutz auf der Grundlage der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (vgl. BVerwG, U. v. 08.09.2011 - 10 C 14/.0 -, BVerwGE 140, 319, juris), wobei § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auf Grund seiner verfassungskonformen Anwendung gegenüber § 60 Abs. 5 AufenthG materiell nachrangig ist (BayVGH, B. v. 04.08.2015 - 13a ZB 15.30032 -, juris). [...]
Das wäre bei den Klägern der Fall, wenn sie nach Afghanistan zurückkehren müssten. Die Klägerin zu 1) mit ihren vier minderjährigen Kindern, den Klägern zu 2), 3), 4) und 5), die zwischen 5 und 14 Jahren alt sind, wäre in Afghanistan - auch wenn ihr Ehemann, der Kläger im Verfahren 8 K 20551/16 Me, mit der Familie zurückkehren würde - einer Situation ausgesetzt, die Art. 3 EMRK widersprechen würde. Die Kläger sind mit der gesamten Großfamilie ausgereist und haben ihre Ersparnisse für die Reise nach Deutschland vollständig ausgegeben, mussten sich zusätzlich noch etwas leihen und den Rest vom Vater der Klägerin zu 1) finanzieren lassen. Dieser befindet sich mittlerweile auch in Deutschland und wäre daher nicht mehr in der Lage, die Kläger bei-einer Rückkehr in Afghanistan zu unterstützen.
Die zu erwartenden schlechten Lebensbedingungen und die daraus resultierenden Gefährdungen weisen eine Intensität auf, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist, denn der Schutzbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG ist auch bei einer allgemeinen, auf eine Bevölkerungsgruppe bezogenen Gefahrenlage eröffnet (vgl. BayVGH, U. v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 – juris). [...]