Eilrechtsschutz gegen Unzulässigkeitsbescheid des BAMF im Fall eines alleinstehenden jungen Mannes, der in Italien subsidiären Schutz erhalten hat.
1. Zwar ist der Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, da dem Antragsteller in Italien bereits subsidiärer Schutz zuerkannt wurde und die Unzulässigkeitsablehnung trotz Übergangsregelung in Art. 52 Verfahrensrichtline auf Altanträge anwendbar ist. (Das BVerwG hat jedoch die Frage nach der zeitlichen Anwendbarkeit der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU dem EuGH vorgelegt, Beschluss vom 23.03.2017 - 1 C 17.16; 1 C 18.16; 1 C 20.16 - asyl.net: M25082)
2. Allerdings bestehen ernstliche zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Überstellung nach Italien, jedenfalls bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorlagefragen des VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 15.3.2017 - A 11 S 2151/16 - asyl.net: M24873), insbesondere zu den Lebensumständen von Schutzberechtigten in Italien.
(Leitsätze der Redaktion)
[…]
Zwar ist der vom Antragsteller gestellte Asyl(folge-)antrag gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig.
Denn dem Antragsteller ist bereits in Italien subsidiärer Schutz zuerkannt worden (vgl. Beiakte B, Bl. 113). Dass das Bundesamt den angefochtenen Bescheid nicht auf die Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt hat, ist unerheblich. Denn jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kann der Bescheid auf der Rechtsgrundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG aufrechterhalten werden. [...]
Die Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG n.F. verstößt auch nicht gegen Unionsrecht. Insbesondere steht sie nicht im Widerspruch zu der Übergangsregelung in Art. 52 Unterabs. 1 der Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU.
Das Gericht versteht die Übergangsregelung in Art. 52 Unterabs. 1 Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU dahingehend, dass es dem nationalen Gesetzgeber freigestellt sein sollte, ob er die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen Vorschriften erst auf nach dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge oder bereits auf vor diesem Datum gestellte Anträge anwenden möchte (so auch VG Aachen, Urteil vom 9. Dezember 2015, - 8 K 2119/14.A, juris Rn 66 ff.; VG Stade, Urteil vom 15. Dezember 2015, 4 A 980/15, juris Rn 22 ff.; VG Chemnitz, Urteil vom 1. August 2016, 6 K 2177/14.A, juris Rn 27, VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19. Februar 2016, 2a K 2466/15.A, juris Rn 29 ff.). Dies folgt aus dem eindeutigen Wortlaut der Übergangsregelung in Satz 1. Hiernach wenden die Mitgliedstaaten die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen Vorschriften auf Asylanträge nach dem 20. Juli 2015 oder früher, (englische Sprachfassung: "or an earlier date", französische Sprachfassung: "ou à une date anterieure") an. Die Formulierung "oder früher" würde keinen Sinn ergeben und wäre schlichtweg überflüssig, wenn man davon ausginge, dass die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen Rechtsvorschriften zwangsläufig erst auf nach dem Stichtag (20. Juli 2015) gestellte Asylanträge angewendet werden dürfen.
Diesem Verständnis steht auch Satz 2 der Übergangsregelung nicht entgegen, welcher bestimmt, dass für "vor diesem Datum" gestellte Asylanträge die Verfahrensrichtlinie a.F. gilt. Der insoweit zwischen Satz 1 und 2 der Übergangsregelung scheinbar bestehende Widerspruch lässt sich durch eine Betrachtung des Gesetzgebungsvorgangs erklären. Das VG Aachen hat hierzu in seinem Urteil vom 9. Dezember 2015 - 8 K 2119/14.A - juris Rn 73 ausgeführt:
"Die Wörter "oder früher" in Satz 1 der Übergangsbestimmung waren in dem Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzstatus vom 22. Oktober 2009 und der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 6. April 2011 zu dem Vorschlag noch nicht enthalten. Die Übergangsvorschrift enthielt ursprünglich also eine feste Stichtagsregelung, sodass kein Widerspruch zwischen den Sätzen 1 und 2 der Übergangsvorschrift vorlag. Der Standpunkt des Rates in erster Lesung am 6. Juni 2013 fügte in die Übergangsbestimmung (Art. 52) dann die Wörter "oder früher" in Satz 1 ein, ohne allerdings klarstellend die Regelung in Satz 2 anzupassen. Aus dem Gesetzgebungsvorgang wird im Übrigen deutlich, dass es sich bei der Einfügung der Wörter "oder früher" nicht um ein Redaktionsversehen handelt."
Somit beruht der Widerspruch zwischen Satz 1 und 2 der Übergangsregelung letztlich auf einem Redaktionsversehen. Satz 2 ist daher im Wege der Auslegung dahingehend zu verstehen, dass die Verfahrensrichtlinie a.F. auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge nur in den Fällen anzuwenden ist, in denen der nationale Gesetzgeber entweder keine Regelung zur Umsetzung der Richtlinie erlassen hat oder sein gemäß Satz 1 der Übergangsregelung bestehendes Wahlrecht dementsprechend ausgeübt hat.
§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsyIG differenziert nicht zwischen Asylanträgen, die vor dem 20. Juli 2015 oder danach gestellt worden sind, sondern sieht generell vor, dass ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen ist, wenn dem Antragsteller bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt worden ist. Der deutsche Gesetzgeber hat damit das ihm durch Art. 52 Unterabs. 1 Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU eingeräumte Wahlrecht dahingehend ausgeübt, dass § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge angewendet werden soll.
Nach alledem hat das Bundesamt den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt.
Allerdings unterliegen das unter Ziffer 2 festgestellte Fehlen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG und damit auch die unter Ziffer 3 verfügte Abschiebungsandrohung nach Italien ernstlichen Zweifeln.
Insoweit hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers zu Recht darauf hingewiesen, dass der VGH Baden-Württemberg mit Beschluss vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 - dem europäischen Gerichtshof unter anderem die Frage vorgelegt hat, ob die Überstellung eines Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat unzulässig ist, wenn er für den Fall einer Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus dort im Hinblick auf die dann zu erwartenden Lebensumstände einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Europäischen Grundrechtecharta zu erfahren (zitiert nach juris). Der VGH hat hierzu ausgeführt, dass es Art. 3 EMRK gebiete, vor einer Überstellung außerhalb des Dublinmechanismus eine entsprechende Prüfung vorzunehmen sei. Zwar verspreche die Qualifikationsrichtlinie, was die Existenzbedingungen der Schutzberechtigten betreffe, in der Regel nur Inländerbehandlung, wobei unionsrechtlich keine bestimmten Mindeststandards vorgegeben seien, allerdings könne eine solche Inländerbehandlung unzureichend sein. Denn unionsrechtlich sei in den Blick zu nehmen, dass es sich typischerweise um verletzliche und entwurzelte Menschen handle, die nicht ohne weiteres oder auch gar nicht in der Lage seien, allein auf sich gestellt die Rechtspositionen geltend zu machen, die die Rechtsordnung des Aufnahmestaates an sich formal gewährleisten. [...]
Hiervon ausgehend bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Überstellung des Antragstellers nach Italien jedenfalls bis zu einer Entscheidung des europäischen Gerichtshofs über die Vorlagefrage des VGH Baden-Württemberg (vgl. auch Bundesverfassungsgericht, Beschl. vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 - juris), so das entsprechend dem Antrag stattzugeben war. [...]