VG Neustadt a.d.W.

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Zitieren als:
VG Neustadt a.d.W., Urteil vom 26.08.2002 - 5 K 2360/01.NW - asyl.net: M2513
https://www.asyl.net/rsdb/M2513
Leitsatz:

Keine Anwendung des Art. 1 C Nr. 5 2. Abs. GFK (zwingende Gründe für Ablehnung der Rückkehr nach Wegfall der Verfolgung) bei noch nicht bestandskräftiger Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (hier: erfolgreiche Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten gegen Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG durch das BAMF).(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Tadschiken, Politische Entwicklung, Taliban, Machtwechsel, Übergangsregierung, Gebietsgewalt, Flüchtlingsanerkennung, Abschiebungsschutz, Bestandskraft, Genfer Flüchtlingskonvention, zwingende Gründe, Widerruf, Asylanerkennung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1
Auszüge:

 

Der Kläger hat nach der für die Entscheidung maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bei ihm vorliegen.

Der angefochtene Bescheid ist daher insoweit aufzuheben.

Die Taliban haben jetzt in Afghanistan keine Macht mehr und können den Beigeladenen daher in Zukunft nicht mehr verfolgen. Auch anderweitig hat der Kläger keine politische Verfolgung zu befürchten. Das gilt insbesondere für die inzwischen von der Großen Ratsversammlung gewählte Übergangsregierung unter Ministerpräsident Karsai, soweit deren Herrschaft tatsächlich reicht, also insbesondere im Raum Kabul, woher der Kläger auch stammt. Diese Übergangsregierung ist, wie ebenfalls allgemeinkundig ist, weil in der Presse im letzten halben Jahr sehr viel darüber berichtet worden ist, der offizielle Träger der afghanischen Souveränität, auch wenn die Strukturen staatlicher Herrschaft noch in den Anfängen liegen und es insbesondere an einer verlässlichen Sicherung durch eine funktionierende Polizei, eine eigene Armee, einen Verwaltungsapparat und eine Justiz derzeit noch weitgehend fehlt. Die Übergangsregierung, die aus Vertretern verschiedener Regionen, verschiedener Volksgruppen und auch verschiedener Mudjaheddin-Gruppen in Afghanistan besteht, ist darauf angewiesen, eng mit den ausländischen Staaten zusammenzuarbeiten, die ihre Einsetzung überhaupt erst ermöglicht haben, also insbesondere den USA und den Staaten, die die internationale Sicherheitstruppe ISAF stellen. Es ist daher auf absehbare Zeit hinreichend sicher zu erwarten, dass im Einflussbereich dieser Regierung einschneidende Maßnahmen gegenüber politisch oder religiös anders denkenden Menschen nicht stattfinden werden. Bisher gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass dies schon geschehen wäre.

Der Beigeladene ist außerdem tadschikischer Volkzugehörigkeit und gehört damit zu der Volksgruppe, deren Vertreter - z.B. Verteidigungsminister Fahim, der vormalige Nachfolger von Ahmed Shah Massoud als militärischer Führer der Nordallianz - in der jetzigen Regierung den größten Einfluss haben (Der Spiegel vom 20.06.2002).

Da der Beigeladene somit zumindest in Kabul, wohin er auch tatsächlich gelangen könnte, vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, bedarf es keiner Erörterung, ob eine solche Sicherheit auch in anderen Landesteilen bestünde.

Dem Einwand des Beigeladenenvertreters, dass der Anfechtungsklage im Hinblick auf Art. 1 C Nr. 5 2. Absatz Genfer Konvention nicht stattgegeben werden dürfe, vermag das Gericht nicht zu folgen. Dieser Passus der Genfer Konvention bezieht sich schon seinem Wortlaut nach nur auf Personen, die die Flüchtlingseigenschaft nach Art.1 A Genfer Konvention bereits besessen haben. Diesem Status entspricht im deutschen Recht die Anerkennung als Asylberechtigter oder der Status nach § 51 Abs.1 AuslG. Um die Zuerkennung dieses letztgenannten Status geht es aber im vorliegenden Verfahren erst. Der Umstand, dass das Bundesamt insoweit zunächst positiv entschieden hatte, ist dabei nur eine Station auf dem Weg zur wirksamen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Solange diese Entscheidung nicht bestandskraftig ist, kann der Beigeladene daraus keine materiellen Rechte herleiten. Art.1 C Nr. 5 Abs.2 GK hat ins deutsche Asylrecht demgemäß im Rahmen der Vorschriften über Widerruf und Rücknahme der vorgenannten Statusentscheidungen Eingang gefunden, nämlich in § 73 Abs. 1 S. 3 AsylVfG. Darauf allein bezieht sich im übrigen auch die Entscheidung des VG Frankfurt (InfAuslR 2002, S. 371), auf die der Beigeladenenvertreter zuletzt noch hingewiesen hat. Für die vorliegende Konstellation, in der erst noch zu entscheiden war, ob bei dem Beigeladenen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, gibt diese Entscheidung daher nichts her.