VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 14.07.2017 - 23 K 1396.16 A - asyl.net: M25305
https://www.asyl.net/rsdb/M25305
Leitsatz:

1. Aufgrund der aktuellen Situation in Syrien ist davon auszugehen, dass syrische Asylsuchende im Falle ihrer (erzwungenen oder auch freiwilligen) Rückkehr in ihr Herkunftsland Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG in Anknüpfung an eine zugeschriebene politische Überzeugung befürchten müssen (unter Auswertung zahlreicher Länderberichte und entgegenstehender Rechtsprechung).

2. Es ist davon auszugehen, dass schon die Asylantragstellung für das syrische Regime ausreichend Anlass ist, um Rückkehrenden eine oppositionelle Gesinnung, Kontakte zur Exilopposition bzw. zu ausländischen Geheimdiensten oder zumindest Kenntnisse über diese zu unterstellen.

3. Asylsuchenden aus Syrien droht bei einer wegen des gewährten subsidiären Schutzes nur hypothetischen Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zielgerichtete Verfolgung, insbesondere eine Befragung unter Anwendung von Folter, so dass ihnen eine Rückkehr dorthin nicht zumutbar ist.

4. Auch wenn dem syrischen Staat bekannt sein mag, dass die überwiegende Zahl der syrischen Asylsuchenden vor den Gefahren des Bürgerkrieges nach Westeuropa geflohen ist, rechtfertigt dies nicht den Schluss, dass Rückkehrenden aus Deutschland generell keine regimefeindliche Gesinnung unterstellen wird. Von einer solchen westeuropäisch geprägten rationalen Sichtweise kann bei dem syrischen Staat angesichts der derzeitigen Situation nicht ausgegangen werden.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, Drusen, Flüchtlingsanerkennung, Asylfolgeantrag, Nachfluchtgründe, Flüchtlingsanerkennung, Flüchtlingseigenschaft, politische Verfolgung, Upgrade-Klage,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3a Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Aufgrund der aktuellen Situation in Syrien ist davon auszugehen, dass syrische Asylbewerber - wie der Kläger - im Falle ihrer (erzwungenen oder auch freiwilligen) Rückkehr in ihr Herkunftsland Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG in Anknüpfung an eine zugeschriebene politische Überzeugung befürchten müssen. Es spricht Überwiegendes dafür, dass schon die Asylantragstellung für das syrische Regime ausreichend Anlass ist, um Rückkehrern eine oppositionelle Gesinnung, Kontakte zur Exilopposition bzw. zum ausländischen Geheimdienst oder zumindest Kenntnisse über diese zu unterstellen. Ihnen droht bei einer wegen des gewährten subsidiären Schutzes nur hypothetischen Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zielgerichtete Verfolgung, insbesondere eine Befragung unter Anwendung von Folter, so dass ihnen eine Rückkehr dorthin nicht zumutbar ist (vgl. Urteile der Kammer vom 2. März 2017 - VG 23 K 1540.16 A und VG 23 K 1551.16 A -, juris). [...]

Aus den Erkenntnisquellen geht übereinstimmend hervor, dass jeder über eine offizielle Grenzstelle - insbesondere den Flughafen Damaskus - zurückkehrende syrische Asylbewerber im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über seinen Auslandsaufenthalt und im Falle einer Abschiebung über den Grund hierfür befragt wird (vgl. schon Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 20). Die Sicherheitsbeamten nehmen dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken bzw. Kontrolllisten, um zu prüfen, ob er von den Behörden gesucht wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitskräfte eine "carte blanche" haben und tun können, was sie wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen (vgl. Immigration and Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests SYR105361.E vom 19. Januar 2016, S. 2 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf zum Az. 5 K 7221/16 A vom 2. Januar 2017, S. 2 f.). Es ist beachtlich wahrscheinlich, dass bereits diese Einreisekontrolle eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter und dem völligen "Verschwindenlassen" auslöst (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - 14 A 1852/16.A -, juris Rn. 9 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris Rn. 27 ff. ; VG Düsseldorf, Urteil vom 22. November 2016 - 3 K 7501/16.A -, juris Rn. 40; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 13. Dezember 2016 - A 5 K 2096/16 -, juris Rn. 21; VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707-, juris Rn. 31).

Bereits die vor dem Bürgerkrieg aufgrund des Anfang 2009 in Kraft getretenen deutsch-syrischen Rücknahmeübereinkommens zurückgeführten Asylbewerber wurden bei ihrer Einreise ausnahmslos vom Geheimdienst über ihren Aufenthalt im Ausland befragt und zum Teil (mehrwöchig) inhaftiert, wobei von erhöhter Foltergefahr und vielfachen körperlichen und psychischen Misshandlungen auszugehen war (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 16 f. 20; Amnesty International, Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebestopp, 14. März 2012, S. 4 f.). Diese in Syrien geübte Praxis hat sich bürgerkriegsbedingt asylrechtlich relevant verschärft. Für die Zeit nach Ausbruch der Unruhen wird berichtet, dass Folter und andere Misshandlungen verbreitet und straflos in Polizeistationen und geheimdienstlichen Haftzentren angewandt werden. Seitdem sind Tausende verhaftet worden. Es liegen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt wurden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu gewinnen. Verbreitet wird geohrfeigt, geschlagen und getreten, oft wiederholt und über lange Zeiträume, teils mit Händen und Füßen, teils mit Holzknüppeln, Kabeln oder Gewehrkolben. Angewandt werden auch Elektroschocks, oder es werden Zigaretten auf dem Körper des Verhafteten ausgedrückt (hierzu und zu weiteren Foltermethoden vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14. Februar 2012 - 14 A 2708/10.A -, juris Rn. 32 ff. m.w.N.). In den aktuellen Berichten zu den Haftbedingungen in Syrien bestätigt Amnesty International anhand zahlreicher Beispiele, dass die Verhörpraktiken der syrischen Behörden maßgeblich auf Folter und Erniedrigung beruhen und die Häftlinge in überfüllten Gefängnissen keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, Wasser und Nahrung sowie adäquaten Unterkünften und sanitären Einrichtungen haben (vgl. Amnesty International, Human Slaughterhouse - Mass Hangings and Extermination in Saydnaya Prison, Syria, 7. Februar 2017, S. 14 ff. und It breaks the Human - Torture, Disease and Death in Syria's Prisons, 2016, S. 20 ff.). Entsprechendes ergibt sich aus einem Bericht von Human Rights Watch aus Dezember 2015, in dem unter anderem Augenzeugenberichte zur Lage in den staatlichen Gefängnissen systematisch ausgewertet wurden (vgl. Human Rights Watch, If the Dead could speak - Mass Deaths and Torture in Syria's Detention Facilities, Dezember 2015).

Zur Überzeugung der Kammer droht gegenwärtig rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung von Foltermethoden. Zwar sind zur Behandlung von abgeschobenen Personen belastbare Fakten aus der jüngeren Vergangenheit nur lückenhaft vorhanden, weil mit der Verschärfung des inneren Konfliktes in Syrien in den Jahren 2011 und 2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Asylbewerber dorthin überstellt wurden. Gleichwohl tragen die derzeit zur Verfügung stehenden aktuellen Erkenntnismittel die Annahme einer begründeten Verfolgungsfurcht.

Das Innenministerium der Vereinigten Staaten von Amerika (US Department of State), dem Erkenntnisse über das Schicksal von Personen vorliegen, die in jüngerer Vergangenheit durch nichteuropäische Staaten nach Syrien zurückgeführt worden sind, stellt in seinem Menschenrechtsbericht von 2016 zur Lage in Syrien dar, dass bei ihrer Rückkehr in das Land sowohl Personen, die erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht haben, als auch solche, die Verbindungen zur syrischen Muslimbruderschaft hatten, verschärften Ermittlungen ausgesetzt gewesen seien. Das Gesetz erlaube die Verfolgung jeder Person, die in einem anderen Land um Asyl nachgesucht habe, um einer Bestrafung in Syrien zu entgehen. Die Regierung lasse regelmäßig ehemalige Staatsbürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit festnehmen, wenn sie nach Jahren des selbst gewählten Exils versuchten, nach Syrien zurückzukehren (US Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2015: Syria, S. 34; vgl. nunmehr auch Country Reports on Human Rights Practices for 2016: Syria, S. 36, abrufbar unter www.state.gov/documents/organization/265732.pdf).

Das britische Innenministerium (UK Horne Office) knüpft in seinen aktuellen Länder- und Arbeitsleitlinien weiter an die geltende Länder-Leitentscheidung ("Country Guidance") des Upper Tribunal vom 20. Dezember 2012 (UKUT 00426 [IAC]. abrufbar unter: tribunalsdecisions.service.gov.uk/utiac/2012-ukut-426) an. In dieser hat das Gericht es unter Auswertung von 642 Erkenntnismitteln für beachtlich wahrscheinlich ("real risk") erachtet, dass ein abgelehnter Asylbewerber oder zwangsweise Zurückgeführter - sofern er nicht zu den Unterstützern des Assad-Regimes zu rechnen sei - grundsätzlich bei seiner Ankunft wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung Verhaftung, Gewahrsam und dabei ernsthafte körperliche Misshandlung zu befürchten habe, weshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei (zur Bedeutung derartiger länderspezifischer Leitentscheidungen im britischen Asylrecht vgl. allgemein Dörig, ZAR 2006, S. 272 [274 f.], noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Tribunals, Courts and Enforcement Acts 2007). Das britische Innenministerium betont in diesem Zusammenhang inzwischen die weitere (negative) Entwicklung in Syrien seit Ergehen dieser Leitentscheidung und hält an den dortigen Feststellungen fest; Umfang und Verbreitung von Menschenrechtsverstößen in Syrien hätten zugenommen. Nunmehr sei sogar davon auszugehen, dass selbst tatsächliche oder vermeintliche Assad-Unterstützer in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsort begründete Verfolgungsfurcht geltend machen könnten (Home Office, Country Information and Guidance, Syria: the Syrian Civil War, 19. August 2016, S. 5 und 7 f.; siehe bereits Home Office, Operational Guidance Note Syria, 21 . Februar 2014, S. 28 ff. m.w.N.).

Das kanadische Einwanderungs- und Flüchtlingsamt (Immigration and Refugee Board of Canada) berichtet von Schilderungen verschiedener Sachverständiger, die es Mitte Dezember 2015 befragt hat. Danach sei es schwierig, verlässliche Informationen über die Behandlung von Rückkehrern am internationalen Flughafen Damaskus seit 2011 zu erhalten. Jedenfalls gebe es zahlreiche Erzählungen von Rückkehrern , die bei ihrer Einreise festgenommen, in der Folge gefoltert worden und schließlich verschwunden seien. Nach Einschätzung eines emeritierten Professors für Anthropologie und Zwangsmigration (Emeritus Professor of Anthropology and Forced Migration) der Universität Oxford, der ehemaliger Direktor des Oxford Zentrums für Flüchtlingsstudien (Oxford's Refugee Studies Centre) und ein Spezialist für Themen der Zwangsmigration im Mittleren Osten ist, werde ein abgelehnter Asylbewerber festgenommen und inhaftiert. Er werde außerdem gefoltert, um eine Aussage darüber zu erhalten, warum er gegangen sei. Manche Menschen, die Syrien verlassen haben, seien zögerlich, Flüchtlingsschutz zu beantragen, weil sie die Konsequenzen fürchteten, falls sie nach Syrien zurückgeschickt werden. Nach Aussage des geschäftsführenden Direktors des Syrischen Zentrums für Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit (Executive Director Syria Justice and Accountability Center) werde ein abgelehnter Asylbewerber auf jeden Fall festgenommen und inhaftiert. Ihm werde vorgeworfen, im Ausland falsche Informationen verbreitet zu haben, und er werde als Oppositioneller behandelt. Er werde einer Folter ausgesetzt, weil die Behörden versuchten, auf diese Weise Informationen über andere Asylbewerber oder über die Opposition zu erhalten. Der abgewiesene Asylbewerber laufe Gefahr, zu Tode gefoltert oder aber gefoltert und anschließend zu einer sehr langen Gefängnisstrafe verurteilt zu werden. Nach Aussage eines leitenden auf Syrien spezialisierten Gastforschungsbeauftragten (Visiting Senior Research Fellow) des King‘s College in London, der bereits wiederholt als Sachverständiger für Asylfälle in Großbritannien aufgetreten ist, könne ein abgewiesener Asylbewerber festgenommen und inhaftiert werden, weil er im Ausland einen Asylantrag gestellt habe. Dies sei jedoch "kein Automatismus". Die eher traditionell eingestellten syrischen Beamten betrachteten alle Asylsuchenden als Regierungsgegner. Diese könnten festgenommen, inhaftiert und gefoltert werden. Es gebe aber auch Beamte, die anerkennen, dass manche Menschen möglicherweise aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen haben. Für die Rückkehrer sei in diesem Zusammenhang nichts vorhersehbar. Allerdings habe der Konflikt wahrscheinlich das Misstrauen der Beamten erhöht (Immigration and Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests SYR105361.E vom 19. Januar 2016, S. 2 ff.).

Das (österreichische) Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellt in seinem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien (vom 5. Januar 2017, dort S. 41 f.) unter Heranziehung der dargestellten Erkenntnisse fest, dass für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylbewerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr bestehe, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert und in der Folge schwer misshandelt zu werden. [...]

Dem stehen die verschiedenen Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes aus jüngerer Zeit zur Behandlung von Rückkehrern nicht entgegen. Überwiegend teilt es nur mit, über keine Erkenntnisse zu verfügen, dass rückkehrende Asylbewerber allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthaltes Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien. Gleichwohl bestätigt es aber, es gebe Berichte über Befragungen des syrischen Regimes nach einer Rückkehr aus dem Ausland; zu ihrem Inhalt könne es jedoch keine Aussagen machen. Zu einer systematischen Anwendung von schwerwiegenden Eingriffen in die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit oder physische Freiheit bei derartigen Befragungen lägen keine Erkenntnisse vor. Es sei jedoch bekannt, dass die syrischen Sicherheitsdienste de facto im rechtsfreien Raum agierten und im Allgemeinen Folter in größerem Maßstab anwendeten (vgl. etwa Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf zum Az. 5 K 7221/16 A vom 2. Januar 2017, S. 2 f.). Auch die Deutsche Botschaft Beirut gab der Beklagten die Auskunft, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthaltes Rückkehrer nach Syrien Übergriffe und Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe "überwiegend" im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst (Botschaft Beirut, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016, S. 1). Den vom Auswärtigen Amt bestätigten Fällen von Festnahmen und "Verschwindenlassen" von Rückkehrern kommt besondere Bedeutung zu, weil es in den vergangenen Jahren zumindest aus dem westlichen Ausland nahezu keine Rückführungen nach Syrien mehr gegeben hat. Diese zeugen eher von einer Steigerung der Gefährdungslage, nicht aber von einem Nachlassen des Verfolgungsinteresses des syrischen Regimes. Für eine generelle Verschärfung der Gefährdungslage für Rückkehrer spricht zudem, dass nach allen Auskünften und Berichten Fälle von "Verschwindenlassen" von Rückkehrern bekannt geworden sind, während diese sehr gravierende Form der menschenrechtswidrigen Behandlung bis zum Jahr 2012 bei Rückkehrern praktisch nicht vorgekommen ist (ebenso VG Köln, Urteile vom 24. Januar 2017 - 20 K 8414/16.A -, juris Rn. 34 und vom 6. Dezember 2016 - 20 K 4917/16.A -, juris Rn. 23; VG Oldenburg, Urteil vom 4. Januar 2017 - 2 A 5738/16 -, juris Rn. 26, 29).

Dieses reale Risiko von Misshandlung und Folter besteht bei jedem rückkehrenden Asylbewerber in gleicher Weise. Den dargestellten Erkenntnissen lassen sich keine Differenzierungen entnehmen. [...]

Die den nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgungsmaßnahmen knüpfen an eine ihnen zugeschriebene politische Überzeugung und damit an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an [...].

Nach den ausgewerteten aktuellen Erkenntnissen von verschiedenen internationalen staatlichen Stellen sowie von Nichtregierungsorganisationen hängt die reale Gefahr, Verfolgungshandlungen bis hin zur Folter und Tötung ausgesetzt zu sein, maßgeblich davon ab, ob der betreffenden Person vom syrischen Staat eine regimefeindliche Haltung zumindest zugeschrieben wird. Die syrischen Sicherheitskräfte gehen insoweit nicht wahllos bzw. willkürlich vor, insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die gesamte Bevölkerung pauschal unter dem Verdacht einer oppositionellen Gesinnung steht. Allerdings ist aufgrund der besonderen Situation in Syrien die Schwelle dafür, von Seiten des syrischen Regimes als "oppositionell" betrachtet zu werden, relativ niedrig (ebenso österreichisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. November 2016 - W221 2136725-1 -, S. 17, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at). Nach Überzeugung der Kammer ist gegenwärtig das Stellen eines Asylantrages und der damit erstrebte dauerhafte Aufenthalt in Deutschland für den syrischen Staat Anlass genug, um Rückkehrer einer oppositionellen Gesinnung zu verdächtigen. Das syrische Regime sieht dieses Verhalten als Ausdruck einer politisch missliebigen Einstellung und damit als Kritik am herrschenden System an, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletzt. Ein solches Verhalten wird - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst (vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 22. November 2016 - 3 K 7501/16.A -, juris Rn. 39; VG Meiningen, Urteil vom 1. Juli 2016 - 1 K 20205/16 Me -, juris Rn. 45; VG Münster, Urteil vom 20. Januar 2017 - Ba K 3496/16.A -, juris Rn. 43 ff.; VG Oldenburg, Urteil vom 20. Februar 2017 - 2 A 6163/16 -, juris Rn. 17 f.; VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -. juris Rn. 30; siehe auch Österreichisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. November 2016 - W221 2136725-1 -, S. 17, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at). [...]

Das Vorgehen des syrischen Regimes im Inneren des Landes spricht dafür, dass sich mit Zuspitzung des Konfliktes die Verfolgung mutmaßlicher Gegner sogar verstärkt und sich die Gruppe der vermeintlichen Gegner beständig ausweitet. [...]

Für die Annahme einer politischen Verfolgung ist es nach Auffassung der Kammer unerheblich, ob ein Asylbewerber illegal oder legal aus Syrien ausgereist ist. [...]

Auch wenn dem syrischen Staat bekannt sein mag, dass die überwiegende Zahl der syrischen Asylbewerber vor den Gefahren des Bürgerkrieges nach Westeuropa geflohen ist, rechtfertigt dies nicht den Schluss, dass er Rückkehrern aus Deutschland generell keine regimefeindliche Gesinnung unterstellen wird (so aber OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Februar 2017 - 14 A 2316/16.A -, juris Rn. 60 und Beschluss vom 6. Oktober 2016 - 14 A 1852/16.A -, juris Rn. 18; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23. November 2016 - 3 LB 17/16 -, juris Rn. 40; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 50, 57, 77; OVG Saarland, Urteil vom 2. Februar 2017 - 2 A 515/16 -, juris Rn. 22 f., 30). Von einer solchen westeuropäisch geprägten, rationalen Sichtweise kann bei dem syrischen Staat angesichts der derzeitigen Situation nicht ausgegangen werden (vgl. VG Osnabrück, Urteile vom 13. Januar 2017 - 7 A 167/16 -, juris Rn. 28 f. und vom 5. Dezember 2016 - 7 A 35/16 -, juris Rn. 107 f.). Außerdem sind für den Verdacht der Regimegegnerschaft die vermuteten Kontakte zur syrischen Exilszene in Deutschland entscheidend. Derartige Kontakte können bei allen ausgereisten Syrern bestehen, auch wenn sie ihr Heimatland in erster Linie aufgrund der Bürgerkriegsauseinandersetzung verlassen haben. Entsprechendes gilt für den Vorwurf, sie stünden im Sold ausländischer Geheimdienste. Ferner werden zurückkehrende Asylbewerber von den syrischen Sicherheitskräften generell beschuldigt, Falschinformationen über Syrien im Ausland verbreitet zu haben und gegen das Regime eingestellt zu sein (vgl. Immigration and Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests SYR105361.E vom 19. Januar 2016, S. 3; siehe auch VG Münster, Urteil vom 20. Januar 2017 - 8a K 3496/16.A -, juris Rn. 54 ff. m.w.N.; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - A 11 S 2046/13 -, juris Rn. 4; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Januar 2014 - OVG 3 N 91.13 -, juris Rn. 5). Abgesehen davon ist die Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung maßgebend. Da in Syrien aber weiterhin und wohl auch noch auf unabsehbare Zeit Krieg herrscht, ist kaum vorstellbar, syrische Sicherheitsbehörden könnten im Falle einer (jetzt unterstellten) Rückkehr den Schluss ziehen, der Betreffende sei nur vor dem Bürgerkrieg geflohen, obwohl dieser weiterhin anhält, unterbrochen bisher nur von zeitlich begrenzten Phasen der Waffenruhe.

Mangels rationalen Vorgehens des syrischen Staates kann nicht davon ausgegangen werden, Rückkehrer aus der Bundesrepublik Deutschland, die - wie der Kläger - ihr Asylbegehren im Wesentlichen nicht mit einer Verfolgung durch den syrischen Staat, sondern lediglich mit dem in Syrien herrschenden Bürgerkrieg und dessen Folgen begründet haben, könnten dies bei einer Einreisekontrolle durch Vorlage der Anhörungsniederschrift sowie des Bescheides des Bundesamtes und gegebenenfalls der hierauf ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteile belegen und damit ein Verhör unter Anwendung von Folter verhindern (so aber OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 62). [...]