VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Beschluss vom 15.06.2017 - 5 B 283/17 (Asylmagazin 3/2018, S. 90 f.) - asyl.net: M25434
https://www.asyl.net/rsdb/M25434
Leitsatz:

Keine Ablehnung als offensichtlich unbegründet bei fehlender Sachaufklärung wegen Auseinanderfallen von Anhörer und Entscheider:

1. Eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet wegen mangelnder Glaubhaftigkeit der Angaben der Asylsuchenden kann allein aufgrund des Anhörungsprotokolls nur erfolgen, wenn dieses die Analyse der Glaubhalftigkeit der Angaben ermöglicht (unter Bezug auf VG Greifswald, Beschluss vom 6.12.2016 - 4 B 1987/16 As HGW).

2. Bei fehlender Sachaufklärung aufgrund von Personenverschiedenheit von Anhörer und Entscheider ist eine qualifizierte Ablehnung rechtswidrig (zitiert VG Göttingen, Beschluss vom 17.08.2010 - 2 B 301/10, asyl.net: M19115, wonach die Personenverschiedenheit zur Rechtswidrigkeit der qualifizierten Ablehnung führt).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: offensichtlich unbegründet, Sachaufklärungspflicht, Anhörung, Anhörer, Einzelentscheider, Asylverfahren, Verfahrensfehler, Entscheider, Auseinanderfallen von Anhörer und Entscheider, Personenverschiedenheit von Anhörer und Entscheider,
Normen: AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 1, AsylG § 36 Abs. 3 S. 1, VwGO § 80 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Die Antragsgegnerin hat die Ablehnung der Anträge des Antragstellers als offensichtlich unbegründet im Wesentlichen damit begründet, dass das Vorbringen des Antragstellerin in wesentlichen Punkten oberflächlich-stichwortartig sei und nicht wie ein Vortrag angesehen werden könne, dem man Glauben schenken könne. [...]

Gegen diese Begründungen im streitgegenständlichen Bescheid ist zu erinnern, dass im Asylverfahren des Antragstellers Anhörer und Entscheider nicht personenidentisch waren. Der Mitarbeiter des Bundesamtes, der über den Asylantrag entschieden und damit auch das Offensichtlichkeitsurteil gefällt hat, hat seinen Eindruck von der Glaubhaftigkeit des Vortrages allein aus dem Protokoll der Anhörung und dem sonstigen Inhalt des Verwaltungsvorganges der Antragsgegnerin entnehmen können. Vorliegend kommt es für die Begründung des Offensichtlichkeitsurteils auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Asylbewerbers in der Anhörung an, dass der Analyse der Aussagen des Antragstellers eine gesteigerte Bedeutung zukommt.

Es kann hier offen bleiben, ob die Personenverschiedenheit zwischen Anhörer und Entscheider bereits zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führen (so wohl VG Göttingen, B. v. 17.08.2010 - 2 B 301/10 -, juris Rn. 10). Selbst wenn dies im allgemeinen als zulässig erachtet werden kann, führt dies im konkreten Fall nicht zu einer Rechtmäßigkeit des Offensichtlichkeitsurteils. Denn die erforderliche Aussageanalyse kann nur vorgenommen werden, wenn das Protokoll der Anhörung so abgefasst ist, dass allein durch die Lektüre des Protokolls der Anhörung eine Analyse der Angaben des Antragstellers auf ihre Glaubhaftigkeit hin möglich ist. Hierzu sind Angaben im Protokoll nötig, ob und in welcher Weise auf eine detailarme und/oder oberflächliche Darstellung des Sachverhaltes durch den Antragsteller reagiert wurde, bspw. durch Nachfragen oder durch Aufforderung des Antragstellers, nähere Details zu seinem Sachvortrag zu ergänzen (VG Greifswald, a.a.O., Rn. 11).

Diesen Vorgaben wird das vorliegende Protokoll nicht gerecht. Die Anhörerin hat ausweislich des Protokolls keinerlei Nachfragen zu den von dem Antragsteller zu Beginn seiner Anhörung knapp geschilderten Asylgründen gestellt. Diese Unachtsamkeit gewinnt im Hinblick auf die Angaben des Antragstellers im hiesigen Eilverfahren an Bedeutung, der Antragssteller sei vor der Anhörung vom Dolmetscher darauf hingewiesen worden, dass er nur in knappen Sätzen antworten solle. Der Antragsteller sei davon ausgegangen, dass mangels Nachfragen des Anhörers keine weiteren detaillierteren Antworten erforderlich seien.

Diese Unklarheiten hätten im Falle der Personenidentität von Anhörer und Entscheider durch weitere Nachfragen aufgeklärt werden können. Dieses Risiko ist dem von der Antragsgegnerin gewählten Vorgehen keine Personenidentität von Anhörer und Entscheider immanent und kann daher nicht dem Antragsteller angelastet werden, indem seine Anträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden.

Angesichts dieser Unklarheiten bestehen ernsthafte Zweifel daran, ob die Antragsgegnerin ihrem Offensichtlichkeitsurteil eine ausreichende und zutreffende Tatsachengrundlage zu Grunde gelegt hat. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Aufklärung des Sachverhalts betreffend den wesentlichen Kern des Verfolgungsgeschehens, lässt sich die Ablehnung der Anträge des Antragstellers als offensichtlich unbegründet zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht aufrechterhalten. [...]