VG Trier

Merkliste
Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 11.05.2017 - 5K2317/16.TR - asyl.net: M25506
https://www.asyl.net/rsdb/M25506
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für schon als Kind aus Eritrea ausgereiste Person:

1. Die Heranziehung zum Nationaldienst in Eritrea und die im Falle der Wehrdienstentziehung drohende Haft samt Folter knüpft nicht an flüchtlingsschutzrechtlich relevante Merkmale an. Die Bestrafung der Desertion dient allein dazu, die bestehende Herrschaftsstruktur zu sichern.

2. Die illegale Ausreise und Asylantragstellung von Personen aus Eritrea führt bei Rückkehr nicht zu relevanten Verfolgungshandlungen und dazu, dass den Betroffenen vom eritreischen Staat eine regimekritische Haltung unterstellt wird. Nach Abgabe einer Reueerklärung und einer Steuer können eritreische Staatsangehörige ohne weitere Sanktionierung zurück nach Eritrea reisen. Eritrea profitiert finanziell von im Ausland lebenden Staatsangehörigen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Eritrea, Nationaldienst, National Service, Militärdienst, Asylrelevanz, subsidiärer Schutz, Ausreise im Kindesalter, Ausreise als Kind, illegale Ausreise, Asylantrag, Asylantragstellung, Wehrdienstverweigerung, Rückkehrgefährdung, Nachfluchtgründe,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4, AsylG § 3 Abs. 1, AsylG § 3b, AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 3a,
Auszüge:

[...]

Ausgehend von diesen Grundsätzen steht der Klägerin kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zur Seite. Denn aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich keine begründete Furcht vor einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale i.S.v. §§ 3 Abs. 1, 3b AsylG. [...]

b. Zunächst führt die von der Klägerin geltend gemachte Pflicht zur Ableistung des Wehrdienstes bzw. die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung - die im Falle der Klägerin aufgrund der Ausreise im Kindesalter bereits unwahrscheinlich erscheint - nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. [...]

Ausgehend hiervon bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die im Falle der Desertion drohende Haft samt Folter eine Anknüpfung an flüchtlingsschutzrechtliche relevante Merkmale aufweist.

Seit dem Grenzkrieg mit dem Nachbarstaat Äthiopien ist der demokratische Prozess Eritreas zum Stillstand gekommen. Eritrea bildet seither einen Einparteienstaat unter der Kontrolle eines Militärregimes in Gestalt der einzigen zugelassenen Partei "People's Front for Democracy and Justice" (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, Ziff. I). Mit Hilfe der faktisch unbegrenzten Verpflichtung zur Ableistung des staatlichen Militärdienstes, der im Nachgang zu der Grundausbildung oftmals auch einen Einsatz in der staatlichen Verwaltung umfasst, stellt die eritreische Regierung zuvörderst die Aufrechterhaltung der staatlichen Funktionsfähigkeit sicher. Die gesamte Volkswirtschaft Eritreas sowie der eritreische Staatsapparat fußen auf der Wehrdienstverpflichtung, die bei Lichte besehen eine Form der staatlichen Zwangsarbeit darstellt (vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, S. 6; "Auf gepackten Koffern", FAZ-Artikel vom 21. März 2017; "Ein Jahrzehnt lang Grundwehrdienst", Online-Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. April 2015, a.a.O.).

Hieraus folgt, dass der eritreische Staat die politische Überzeugung seiner Bürger im Falle der Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung gänzlich unbeachtet lässt. Vielmehr dient die empfindliche Bestrafung der Desertion allein dazu, die bestehende Herrschaftsstruktur zu sichern und insbesondere das auf der langzeitigen Verpflichtung der eritreischen Staatsbürger beruhende staatliche System aufrechtzuerhalten.

Nach alledem knüpft die Pflicht zur Ableistung des nationalen Wehrdienstes sowie die Bestrafung im Falle der Wehrdienstentziehung nicht an flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgungsgründe i.S.d. § 3 Abs. 1 Ziff. 1 AsylG an.

c. Weiterhin vermittelt auch die illegale Ausreise und Asylantragstellung der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da es insoweit sowohl an Anhaltspunkten dafür mangelt, dass Asylbegehrende im Falle der Rückkehr von relevanten Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG betroffen sein könnten, als auch dafür, dass Asylantragstellern von den staatlichen Institutionen Eritreas eine regimekritische Haltung unterstellt wird.

Zunächst ist auch hier zu sehen, dass die Klägerin ihr Herkunftsland Eritrea im Kindesalter verlassen hat, so dass es bei lebensnaher Betrachtung unwahrscheinlich erscheint, dass der Klägerin vor dem Hintergrund dieser Ausreise im Kindesalter von dem eritreischen Regime eine regimekritische Haltung unterstellt wird.

Gegen eine flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung von Asylbegehrenden spricht weiterhin, dass geflohene eritreische Staatsangehörige die Möglichkeit besitzen, nach Zahlung einer sog. "Aufbausteuer" und der eventuellen Unterzeichnung eines Reuebekenntnisses ohne weitere Sanktionierung zurück nach Eritrea zu reisen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, S. 17; EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, November 2016, S. 29). So ist es gängige Praxis der eritreischen Auslandsvertretungen, dass diese geflüchteten Staatsangehörigen (auch im Falle der Asylantragstellung im Ausland) neue eritreische Personalpapiere ausstellen, wenn die Aufbausteuer entrichtet und das Reuebekenntnis unterzeichnet worden ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, S. 5 und 17). Bereits diese Vorgehensweise spricht gegen eine politische Verfolgung geflohener eritreischer Staatsangehöriger (vgl. VG München, Urteil vom 29. Dezember 2016 a.a.O.).

Hinzu tritt, dass Eritrea an den Einkünften im Ausland lebender Staatsbürger maßgeblich partizipiert. Grundsätzlich ist jeder im Ausland lebende Eritreer verpflichtet, 2% seines Einkommens an den eritreischen Staat abzuführen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, S. 17; "Auf gepackten Koffern", FAZ-Artikel vom 21. März 2017). Aufgrund der defizitären wirtschaftlichen Situation Eritreas, das sich mit einem geschätzten Pro-Kopf- Jahreseinkommen von 694,00 USD an 182. Stelle von 187 Ländern im Human Development Index befindet (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, S. 7), ist Eritrea zur Stabilisierung seiner Wirtschaft und zur Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftslage auf die Zahlungen im Ausland lebender Staatsbürger zwingend angewiesen, wobei die Zahlung unter anderem dadurch sichergestellt wird, dass im Ausland lebende Staatsbürger ohne Zahlung der sog. Diasporasteuer keinerlei staatliche Leistungen wie bspw. die Ausstellung amtlicher Urkunden in Anspruch nehmen kann (vgl. "Von wegen Freiheit", Online- Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Mai 2016, abrufbar unter www.faz.net/aktuell/politik/ausland/eritreer-in-deutschland-von-wegen-freiheit-14220957.html). Aufgrund dieser finanziellen Partizipation des eritreischen Staates an einer Asylantragstellung seiner Staatsbürger im Ausland droht asylbegehrenden Eritreern im Falle ihre Rückkehr keine staatliche Sanktionierung (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. November 2016, S. 17; "Auf gepackten Koffern", FAZ-Artikel vom 2 1 . März 2017). [...]