LG Bamberg

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Zitieren als:
LG Bamberg, Beschluss vom 08.12.2017 - 3 T 241/16 - asyl.net: M25928
https://www.asyl.net/rsdb/M25928
Leitsatz:

Prüfungspflicht der haftbeantragenden Behörde:

Vor der Stellung eines Antrags auf Überstellungshaft im Rahmen des Dublin-Verfahrens muss die zuständige Behörde (hier die Ausländerbehörde) in eigener Verantwortung prüfen, ob die vom BAMF mitgeteilte Überstellungsfrist richtig ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Überstellungsfrist, Überstellungshaft, Amtsermittlung, Untersuchungsgrundsatz, Sachaufklärungspflicht, Ausländerbehörde, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
Normen: AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5, VO 604/2013 Art. 28 Abs. 2, AufnethG § 62 Abs. 3 S. 1, VO 604/2013 Art. 29 Abs. 1 S. 1, GG Art. 20 Abs. 3, GG Art. 2 Abs. 2 S. 2,
Auszüge:

 

[...]

Unabhängig hiervon durfte der Betroffene gemäß Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung zur Sicherstellung des Überstellungsverfahren nicht in Haft genommen werden, weil zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses die Überstellungsfrist von 6 Monaten bereits geraume Zeit abgelaufen war. [...]

Hier lief die Überstellungsfrist bis zum 01.09.2016, nachdem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich mit Schreiben vom 01.03.2016 dem Übernahmeersuchen Deutschlands zugestimmt hatte (Bl. 49 der BAMF-Akte). Eine wirksame Verlängerung dieser am 01.09.2016 ablaufenden Überstellungsfrist durch das BAMF ist nicht erfolgt. […] Für eine Verlängerung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 der Dublin-III-Verordnung bestand in der Folge kein rechtfertigender Anlass. Die beteiligte Behörde hat im Beschwerdeverfahren insoweit auch keine neuen Gesichtspunkte aufgezeigt. [...]

Soweit die beteiligte Behörde in ihrer Stellungnahme vom 21.12.2016 geltend macht, im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin-III-Verordnung obliege es allein dem BAMF, die tatsächliche und rechtliche Durchführbarkeit der Abschiebung in den zuständigen Mietgliedstaat zu prüfen, für die Ausländerbehörde verbleibe daher keinerlei eigene Entscheidungskompetenz hinsichtlich etwaiger Vollzugshindernisse, für sie habe auch zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens Veranlassung bestanden, an der Gültigkeit der vom BAMF mitgeteilten Überstellungsfrist zu zweifeln, verfängt ihr Vorbringen nicht.

Der Haftrichter hat nach der Rechtsprechung des BGH zwar nicht zu prüfen, ob die zuständige Behörde die Abschiebung bzw. Zurückschiebung zu Recht betreibt; denn die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden unterliegt allein der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ergibt sich die Ausreisepflicht aus einer bestandskräftigen Abschiebungs- bzw. Zurückschiebungsverfügung, erstreckt sich die Prüfung des Richters - im Verfahren nach § 62 AufenthG - daher nicht darauf, ob die von der Behörde betriebene Abschiebung oder Zurückschiebung durchgeführt werden kann (BGH, Beschluss vom 16.12.2009, Az. V ZB 148/09, bei juris Rn. 7; BGH, Beschluss vom 06.05.2010, Az. V ZB 193/09, bei juris Rn. 19). Auf der anderen Seite ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen, dass der in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit in Verbindung mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen für eine Anordnung von Abschiebungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gewährleistet. Insbesondere verpflichtet er die Haftgerichte zu überprüfen, ob die Ausreisepflicht fortbesteht und ob Umstände vorliegen, durch die die Durchführbarkeit der Abschiebung für längere Zeit oder auf Dauer gehindert wird, und zwar gerade auch bei der erstmaligen Anordnung von Abschiebungshaft (BVerfG Beschluss vom 27.2.2009, Az. 2 BvR 538/08, BeckRS 2009, 32496; BVerfG, Beschluss vom 15.12.2000, Az. 2 BvR 347/00, bei juris Rn. 27). Der Haftrichter hat daher grundsätzlich alle Umstände rechtlicher und tatsächlicher Art zu prüfen und zu bewerten, die einer Anordnung oder Fortsetzung der Abschiebungshaft entgegenstehen könnten (näher Winkelmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 62 AufenthG Rn. 245 ff.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann es im vorliegenden Fall nicht zum Nachteil des Betroffenen gereichen, dass das BAMF - vermutlich aufgrund der versehentlichen Anlegung einer zweiten Akte unter einem gesonderten Aktenzeichen - ihn am 28.04.2016 als flüchtig betrachtete und deswegen die Überstellungsfrist zu Unrecht verlängerte. Die beteiligte Behörde hätte vor Stellung ihres Haftantrags in eigener Verantwortung prüfen müssen, ob die sechsmonatige Überstellungsfrist wirksam verlängert worden war, tatsächlich verhält sich der Antrag vom 25.11.2016 zur Frist nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 der Dublin-III-Verordnung aber überhaupt nicht. Aus der Akte des BAMF ergibt sich vielmehr, dass die beteiligte Behörde im Juli 2016 noch selbst davon ausging, die Überstellungsfrist werde am 01.09.2016 enden (Schreiben vom 12.07.2016, Bl. 175 der BAMF-Akte).

Da nach allem die Verlängerungen der Überstellungsfrist durch das BAMF nicht wirksam waren, verblieb es bei der ursprünglichen Dauer der Überstellungsfrist bis zum 01.09.2016. Diese Frist war mithin im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts längst abgelaufen. In der Folge ist nunmehr auf die Beschwerde des Betroffenen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses festzustellen. [...]