Flüchtlingsanerkennung für afghanischen Medienunternehmer wegen Verfolgung durch die Taliban:
1. Dem leitenden Mitarbeiter eines afghanischen Medienunternehmens ist die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, da ihm wegen des Vertriebs westlicher, unislamischer Filme von den Taliban eine gegen sie gerichtete politische Überzeugung zugeschrieben wird.
2. Die Bedrohung durch die Taliban kann auch nicht durch einen Wechsel der beruflichen Tätigkeit oder den Umzug in eine andere Region abgewendet werden.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Dem Kläger steht im hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG zu. [...]
Nach der glaubwürdigen Darstellung des Klägers ist davon auszugehen, dass er bereits vorverfolgt ausgereist ist und auch bei seiner Rückkehr nach Afghanistan massiven Verfolgungshandlungen ausgesetzt wäre. Er ist in der Medienbranche tätig gewesen und dadurch al besonders gefährdet anzusehen. [...]
Das Gericht glaubt die vom Kläger geschilderte Bedrohung durch ständige Telefonanrufe mit entsprechendem Inhalt ebenso wie die Anfeindungen durch die Mullahs. Zur Überzeugung des Gerichts hat er glaubhaft dargelegt, dass diese Drohungen zurückzuführen sind auf seine berufliche Tätigkeit, durch die ihm eine politische Überzeugung und antiislamische Haltung zugeschrieben wird. Er hat in sich schlüssig und ohne Widersprüche vorgetragen, er habe mit dem Verkauf von Anschlussmöglichkeiten der Bewohner seiner Heimatstadt an das von seiner Firma angebotene Unterhaltungsprogramm, das mit der von ihm gleichfalls verkauften Technik in den Privatwohnungen auf dem Fernseher gesehen werden konnte, den Kunden die Möglichkeit einer umfassenden Fernsehunterhaltung verschafft, die sich nicht an den Regeln des Islam orientierte, sondern den allgemeinen Fernsehwünschen der Kunden folgte und dabei insbesondere auch Filme aus dem westlichen Ausland enthielt, aber auch Werbefilme, die nicht nur für Konsumgüter warben, sondern auch politische Botschaften enthielten, wie der von ihm vorgeführte Film mit dem Aufruf, sich gegen die Taliban zu wenden. Er hat zudem die Wünsche der Kunden nach bestimmten Filmen entgegengenommen, die später auch in das Programm eingestellt wurden ohne Rücksicht darauf, ob sie den Regeln des Islam entsprachen. Hierdurch hat er nachhaltig das gesendete Fernsehprogramm bestimmt und ist somit als Verantwortlicher für das Programm und die Auswahl der einzelnen Sendungen anzusehen. Er hat dabei nicht nur maßgeblich die Auswahl des zu sendenden Unterhaftungsprogramms beeinflusst, sondern - etwa durch die Aufnahme politischer Werbefilme und die Entscheidung, wann diese Filme gesendet wurden - zumindest nach außen den Eindruck erweckt, auch die politische Ausrichtung des Unternehmens gegen die Taliban zu bestimmen. Ihm ist daher nicht nur der Inhalt einzelner Sendungen, die er durch seine Entscheidung platziert hat, zugeschrieben worden, sondern die - politische - Ausrichtung der Firma insgesamt. Auch wenn er nicht - wie ein Journalist - eigenverantwortlich die später gesendete Beiträge geschaffen hat, wird er durch die Einflussnahme auf das durch seine Firma zur Verfügung gestellte Fernsehprogramm von außen stehenden Personen als Verantwortlicher für die Inhalte angesehen. Zugleich scheint er durch seine ständige Präsenz als Vertreter und Ansprechpartner nach außen zugleich die Position des Repräsentanten einzunehmen. Er ist derjenige, der mit der Firma in Verbindung gebracht wird. Ähnlich wie bei einem Journalisten ist ihm der Inhalt der Sendungen und damit die politische Ausrichtung zuzuschreiben. Dadurch ist er ebenso wie ein Journalist als besonders gefährdet anzusehen (vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 9. April 2016). [...]
Es liegt damit eine Vorverfolgung des Klägers durch nichtstaatliche Akteure vor, was indiziell dafür spricht, dass seine Verfolgungsfurcht auch begründet ist. Die Beklagte hat dazu, dass der Kläger nicht erneut von Verfolgung bedroht wird, nichts Stichhaltiges vorgebracht. Dass der Kläger seine frühere Tätigkeit beendet hat, lässt derartige Rückschlüsse jedenfalls nicht zu. Dadurch, dass der Kläger als islamkritisch und politisch als Unterstutzer der afghanischen Regierung eingeschätzt worden ist, ist er auch weiterhin gefährdet. Es ist auch davon auszugehen, dass er in Afghanistan nicht sicher ist, selbst wenn er nicht nur die Telefonnummer, sondern auch den Arbeitgeber und die Region wechselt (vgl. Anfragebeantwortung von Amnesty International an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 5. Februar 2018 (ecoi.net, abgerufen am 22. Februar 2018). Aufgrund der einbezogenen Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass für den Kläger kein hinreichender Schutz im afghanischen Staat erreichbar ist. [...]