VG Göttingen

Merkliste
Zitieren als:
VG Göttingen, Beschluss vom 20.03.2018 - 4 A 236/17 - asyl.net: M26103
https://www.asyl.net/rsdb/M26103
Leitsatz:

Verpflichtung des Bundesamtes zur Neubescheidung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes:

Bei der Entscheidung über das Einreise- und Aufenthaltsverbot hat das Bundesamt die persönlichen Belange und familiären Bindungen in ermessensfehlerfreier Weise zu berücksichtigen.

Im Fall einer ermessensfehlerhaften Entscheidung verpflichtet das Gericht das Bundesamt zur erneuten Entscheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts, da eine Aufhebung der Befristungsentscheidung allein zum Wegfall der Befristung und zu einem unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbot führen würde.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Einreise- und Aufenthaltsverbot, Befristung, familiäre Beistandsgemeinschaft, sozial-familiäre Beziehung,
Normen: AufenthG § 11 Abs. 1, AufenthG § 11 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit ein erneutes Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 5 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet worden ist. Insoweit durfte im vorliegenden Fall die Beklagte bereits von einer im Ermessen stehenden Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 7 AufenthG keinen Gebrauch machen, da die Klägerin über schutzwürdige inlandsbezogene familiäre Bindungen zu ihren Eltern mit Geschwistern sowie ihrem Großvater, die allesamt aufenthaltsberechtigt in der Bundesrepublik Deutschland sind, verfügt. Insoweit hat die Klägerin [in] nicht in Zweifel zu ziehender Weise dargelegt, dass sie sich um ihren Vater und ihren Großvater, die beide multimorbid und schwer erkrankt sind, im täglichen Alltag kümmert und diese beiden Personen unterstützt. Von daher musste die Beklagte bereits von einer Entscheidung nach § 11 Abs. 7 AufenthG gegenüber der Klägerin Abstand nehmen.

Bei der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG sind die vorgenannten schutzwürdigen Interessen der Klägerin ermessensfehlerhaft nicht berücksichtigt worden, so dass diese Entscheidung mit der Verpflichtung zur Neubescheidung aufzuheben ist. Eine uneingeschränkte Aufhebung kam nicht in Betracht, da die Klägerin über kein gesichertes Aufenthaltsrecht (etwa eine Aufenthaltserlaubnis) verfügt. Nur in einem solchen Fall hätte von einer Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG Abstand genommen werden können.

Allerdings ist die betreffende Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ermessensfehlerhaft und deshalb aufzuheben. Dem Bundesamt steht hinsichtlich der Länge der Befristung Ermessen zu. Die gerichtliche Prüfungsdichte ist insoweit darauf beschränkt, ob die Grenzen des gesetzlichen Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 114 S. 1 VwGO). Im vorliegenden Fall sind bei der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG die vorgenannten schutzwürdigen Interessen und Kontakte der Klägerin zu ihrer Familie (insbesondere zu ihrem Vater und ihrem Großvater) ebenfalls nicht berücksichtigt worden, da das Bundesamt keinerlei Ermittlungen im Sinne schutzwürdiger Interessen der Klägerin in familiärer Hinsicht angestellt hat, obwohl die schweren Erkrankungen des Vaters und Großvaters der Klägerin aus einschlägigen gerichtlichen Entscheidungen des Gerichts bekannt waren. Damit stellt sich die Befristungsentscheidung insoweit nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als ermessensfehlerhaft dar und ist demgemäß aufzuheben. Da diese Aufhebung jedoch zu einem unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbot führen würde, ist die Beklagte erneut zu verpflichten, über die Befristung unter Beachtung der oben genannten Gesichtspunkte erneut zu entscheiden. Insoweit sieht sich das Gericht zu dem Hinweis veranlasst, dass im Fall der Klägerin eine wesentlich kürzere Befristung auf unter 3 Monate angemessen erscheint. [...]