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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 22.02.2018 - 1 C 4.17 - asyl.net: M26183
https://www.asyl.net/rsdb/M26183
Leitsatz:

Einbürgerung scheitert bei Unbeachtlichkeit der verhängten Strafe nicht an zusätzlicher Entziehung der Fahrerlaubnis:

Bleiben Strafurteile bei der Einbürgerung außer Betracht, weil sie die im Staatsangehörigkeitsgesetz geregelten Unbeachtlichkeitsgrenzen (§ 12a Abs. 1 Satz 1 bis 3StAG) nicht überschreiten, bleibt die in einem Strafurteil zusätzlich (unselbständig) angeordnete Maßregel der Besserung und Sicherung (hier: Entziehung der Fahrerlaubnis, § 61 Nr. 5 und § 69 StGB) bei der Einbürgerung ebenfalls unberücksichtigt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, Straftat, Maßregel zur Besserung und Sicherung, Bagatellgrenze, Strafmaß, Maßregel,
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, StAG § 12a Abs. 1, StGB § 61 Nr. 5, StGB § 61 Nr. 6, StGB § 69, StGB § 69a,
Auszüge:

[...]

aa) Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG begründen nach der ersten Tatbestandsalternative bei schuldfähigen Tätern nur Verurteilungen zu Strafen ein Einbürgerungshindernis, nicht aber zusätzlich (unselbständig) angeordnete Maßregeln der Besserung und Sicherung. Demgegenüber betrifft die zweite Tatbestandsalternative die selbständig angeordneten Maßregeln der Besserung und Sicherung bei  schuldunfähigen Tätern. Der Einbürgerung steht in der ersten Tatbestandsalternative die Verurteilung "zu einer Strafe" entgegen, soweit diese nicht nach § 12a Abs. 1 StAG außer Betracht bleibt. Die durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) - EU-RichtlinienumsetzungsG 2007 - neugefasste Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG knüpft schon ihrem Wortlaut nach an das zweispurige System von Strafen (§§ 38 ff. StGB) einerseits und Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) andererseits an, welches das Strafrecht prägt. Bei schuldfähigen Tätern, die von der ersten Tatbestandsalternative erfasst werden, ist der einbürgerungsrechtlich relevante Anknüpfungspunkt nur die Verurteilung zu einer Strafe und nicht auch eine zusätzlich (unselbständig) angeordnete Maßregel der Besserung und Sicherung. Maßregeln der Besserung und Sicherung hat der Gesetzgeber einbürgerungsrechtlich nur bei schuldunfähigen Straftätern Bedeutung beigemessen, bei denen es mangels einer verhängten Strafe an einem anderweitigen Kriterium für die Bemessung des Gewichts der Straftat fehlt. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen Verurteilungen bei der Einbürgerung außer Betracht bleiben, weil sie die Unbeachtlichkeitsgrenze (vgl. § 12a Abs. 1 Satz 1 bis 3 StAG) nicht überschreiten, kommt unselbständig angeordneten Maßregeln der Besserung und Sicherung im Rahmen der Einbürgerung keine eigenständige Bedeutung zu. Nur wenn eine strafgerichtliche Verurteilung mangels Schuldfähigkeit des Täters ausscheidet und eine Maßregel der Besserung und Sicherung selbständig angeordnet wird, schließt diese die Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StAG im Grundsatz aus und wird bei Maßregeln nach § 61 Abs. 5 oder 6 StGB im Einzelfall entschieden, ob die Maßregel außer Betracht bleiben kann (§ 12a Abs. 1 Satz 4 StAG). Da Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht nach Maßgabe der strafmaßbezogenen Unbeachtlichkeitsregeln des § 12a Abs. 1 Satz 1 StAG unbeachtlich sein können, sieht der Gesetzgeber in Fällen von geringem Gewicht (etwa der selbständigen Entziehung der Fahrerlaubnis) in § 12a Abs. 1 Satz 4 StAG eine nach der Maßgabe der Umstände des Einzelfalls zu treffende Ermessensentscheidung darüber vor, ob die Maßregel der Besserung und Sicherung außer Betracht bleibt (vgl. Berlit, in: GK-StAR, Stand April 2017, § 10 Rn. 301). [...]

cc) Die Nichtberücksichtigung unselbständiger Maßregeln der Besserung und Sicherung führt auch nicht zu in sich widersprüchlichen Ergebnissen mit Blick auf § 12a Abs. 1 Satz 4 StAG. Diese Vorschrift modifiziert das Unbescholtenheitserfordernis des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG, indem sie regelt, welche strafrechtlichen Verurteilungen und Maßregeln außer Betracht bleiben. Aufgrund des Regel-Ausnahme-Verhältnisses von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 12a Abs. 1 StAG ist systematisch nicht davon auszugehen, dass § 12a Abs. 1 Satz 4 StAG den Umfang der einbürgerungsschädlichen Maßregeln der Besserung und Sicherung erweitert bzw. dem Grunde nach mitregeln soll. Vielmehr knüpft die Eröffnung des Nichtberücksichtigungsermessens gemäß § 12a Abs. 1 Satz 4 StAG an das Einbürgerungshindernis des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG an und betrifft von vornherein nur diejenigen Maßregeln der Besserung und Sicherung, die in dieser Grundnorm als  einbürgerungsschädlich aufgeführt sind. Es bedurfte daher keiner nochmaligen Beschränkung auf selbständige, wegen der Schuldunfähigkeit des Einbürgerungsbewerbers angeordnete Maßregeln, weil diese bereits unmittelbar aus § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StAG folgt. [...]

2. Ergibt sich hiernach aus Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 12a Abs. 1 StAG, dass unselbständig angeordnete Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG erfasst werden, ist das Berufungsgericht daher zutreffend davon ausgegangen, dass auch kein Raum mehr besteht für eine Ermessensentscheidung nach § 12a Abs. 1 Satz 4 StAG, ob die Maßregel der Besserung und Sicherung außer Betracht bleiben kann. [...]