VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 12.04.2018 - 8 K 440/17 Me - asyl.net: M26229
https://www.asyl.net/rsdb/M26229
Leitsatz:

Die Aufenthaltserlaubnis einer schutzberechtigten Person ist zu verlängern, auch wenn vom Bundesamt (noch) keine Stellungsnahme vorliegt, ob ein Widerrufsverfahren eingeleitet werden soll.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: subsidiärer Schutz, Passbeschaffung, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Untätigkeitsklage, Iran, Widerruf, Widerrufsverfahren, internationaler Schutz, Flüchtlingsanerkennung, Rücknahme, Rücknahmeverfahren, Abschiebungsverbot,
Normen: AufenthG § 25 Abs. 2, AsylG § 42, AufenthG § 72, AsylG § 73b,
Auszüge:

[...]

Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung liegt nach Auffassung des Gerichts nach summarischer Prüfung nicht vor, insbesondere war die Beklagte nicht gehalten, eine Antwort des Bundesamtes hinsichtlich eines Widerrufs- bzw. eines Rücknahmeverfahrens abzuwarten. Zwar hat die Behörde nach § 24 Abs. 1 Satz 2 u. 3 ThürVwVfG den Sachverhalt für ihre Entscheidung von Amts wegen zu ermitteln, wobei sie Art und Umfang der Ermittlungen bestimmt, ohne an das Vorbringen oder an die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein. Insofern konnte sie auch beim Bundesamt anfragen, ob der Bescheid vom 05.09.2013, in dem ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG a.F. (AufenthG in der Fassung vom 25.02.2008, geändert durch Gesetz vom 28.08.2013 zum 01.12.2013) hinsichtlich des Iran für den Kläger festgestellt wurde, noch Bestand hat, da die alleinige Zuständigkeit für den Widerruf oder die Rücknahme des subsidiären Schutzes nach § 73b AsylG dem Bundesamt obliegt. Mit Eingang des Schreibens des Bundesamtes vom 08.08.2017, in dem dieses bestätigt, dass die Prüfanfrage der Beklagten vom 09.05.2017 eingegangen sei, konnte die Beklagte jedoch über den Verlängerungsantrag des Klägers entscheiden, da das Bundesamt gerade nicht mitgeteilt hatte, dass das mit Bescheid vom 05.09.2013 festgestellte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG a.F. widerrufen oder zurückgenommen worden wäre. Damit war von einem Fortwirken der Bestandskraft des Bescheides auszugehen. Ein weiteres Abwarten war nicht geboten, zumal der Beklagten auch keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass Gründe für einen Widerruf oder eine Rücknahme im Fall des Klägers vorliegen könnten. Weder lagen der Beklagten Hinweise dafür vor, dass sich die tatsächlichen Umstände im Heimatland des Klägers hinsichtlich einer Gefährdung wegen Apostasie seit der Anfrage an das Bundesamt im Jahr 2015 wesentlich geändert hätten (vgl. § 73b Abs. 1 AsylG), noch Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger im Rahmen seines Asylverfahrens falsche Angaben oder gefälschte Dokumente benutzt hätte (vgl. § 73b Abs. 3 AsylG). Dies gilt umso mehr, als im vorliegenden Fall das Bundesamt in seinem Schreiben vom 08.08.2017 auch gar nicht angekreuzt hatte, dass derzeit geprüft werde, ob die Voraussetzungen für die Einleitung eines Widerrufs-/Rücknahmeverfahrens vorliegen. Deshalb konnte die Beklagte nicht davon ausgehen, dass ein solches überhaupt in Bearbeitung war. Auch die Anfrage des Gerichts an das Bundesamt vom 07.03.2018 - also fast ein Jahr nach der Anfrage der Beklagten vom 09.05.2017 - hat nicht ergeben, dass das Bundesamt anlassbezogen ein Überprüfungsverfahren eingeleitet hätte, sondern nur, dass bei dem Verfahren eine Regelüberprüfung anstehe. Eine gesetzliche Verpflichtung der Beklagten, den Ausgang eines Regelüberprüfungsverfahrens abzuwarten, existiert nicht.

Die Beklagte hätte auch Ober den Verlängerungsantrag bereits entscheiden können, obwohl das Bundesamt nicht mitgeteilt hatte, dass ein Widerruf bzw. eine Rücknahme des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG a.F. nicht beabsichtigt sei, weil es keine gesetzliche Regelung gibt, die eine vorherige Beteiligung des Bundesamtes vorsieht.

Ein solches Erfordernis ergibt sich insbesondere nicht aus § 72 AufenthG. Unabhängig, dass diese Regelung ausdrücklich nur Anwendung findet hinsichtlich der Entscheidung, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG vorliegt, und gerade nicht hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 AufenthG a.F., betrifft § 72 AufenthG ausschließlich die Fälle, in denen gerade nicht im Rahmen eines Asylverfahrens bereits über die Frage von Abschiebungsverboten abschließend entschieden wurde (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, B. v. 20.07.2017 - 7 B 11085/17 -; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 22.08.2014 - OVG 2 S 54.14 -, beides zitiert nach juris).

Auch aus § 42 AsylG lässt sich keine Verpflichtung der Ausländerbehörde ableiten, dass sie eine vorherige Entscheidung des Bundesamtes über eine Aufhebung eines Abschiebungsverbotes abwarten müsste. § 42 AsylG wäre vorliegend wiederum bereits deshalb nicht einschlägig, weil kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG streitgegenständlich ist. Selbst wenn dies aber der Fall wäre, gilt zunächst die Bestandskraft des Bescheides, solange dieser eben gerade nicht aufgehoben wurde. [...]