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VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 29.01.2018 - 6 K 1619/17 TR - asyl.net: M26258
https://www.asyl.net/rsdb/M26258
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für einen afghanischen Mann wegen Verfolgung durch die Taliban auf Grund seiner Tätigkeit für eine ausländische Hilfsorganisation.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, nichtstaatliche Verfolgung, Taliban, Flüchtlingsanerkennung, Nichtregierungsorganisation, NGO, Vorverfolgung, interne Fluchtalternative, Hilfsorganisation,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3 Abs. 1, RL 2011/95/EU Art. 4 Abs. 4, AsylG § 3e,
Auszüge:

[...]
Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG hinsichtlich seines Herkunftslands Afghanistan vorliegen. [...]

Im vorliegenden Einzelfall ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Tätigkeit für die Hilfsorganisation … einer Verfolgung im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt ist. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Kläger im Zeitraum von 2010 bis 2015 für die benannte Organisation tätig war. Der Kläger hat sowohl in seiner Anhörung vor dem Bundesamt, als auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung seine Tätigkeit für die Hilfsorganisation und die in diesem Zusammenhang durchlebten Ereignisse glaubhaft geschildert. Daneben hat er auch seinen bis Ende 2015 gültigen Mitarbeiterausweis und eine durch die Organisation ausgefertigte Arbeitsbescheinigung vorgelegt, an deren Echtheit das Gericht keine Zweifel hegt. Die Angaben in den Unterlagen decken sich mit den durch den Kläger getätigten Ausführungen. Zur Überzeugung des Gerichts hat er zudem ausgeführt, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit in Afghanistan landesweit Bekanntheit erlangt hat. Von seiner Tätigkeit wurde in den Medien berichtet, insbesondere in den afghanischen Fernsehnachrichten. Zudem befinden sich Bilder des Klägers bei Ausübung seiner Arbeit für die Hilfsorganisation auf der Homepage der Organisation. Das Gericht hat insoweit keinen Anlass an den von dem Kläger glaubhaft geschilderten Angaben zu zweifeln.

Dabei hat der Kläger in dem vorliegenden Einzelfall auch glaubhaft vorgetragen, gerade wegen seiner Tätigkeit für die Hilfsorganisation von den Taliban bedroht worden zu sein. Die diesbezüglichen Schilderungen des Klägers beim Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung stimmen in wesentlichen Punkten überein. Dass die Bedrohungen sich gerade gegen den Kläger und seinen Arbeitskollegen … richteten und nicht gegen die übrigen vier Mitarbeiter der Organisationszentrale in Kabul, ist auch vor dem Hintergrund glaubhaft, dass es sich bei den übrigen Mitarbeitern lediglich um Büromitarbeiter gehandelt hat. Allein der Kläger und ... waren landesweit in den verschiedenen Projekten unterwegs und wurden auch in den Medien gezeigt. Insoweit ist nachvollziehbar, dass ein erhöhtes Interesse gerade an der Person des Klägers, wie auch an ... bestanden hat. Wie konkret sich die Gefahr des Klägers dabei bereits realisiert hat, ergibt sich auch aus dem Umstand, dass sein Arbeitskollege - der sich insoweit in derselben Ausgangslage wie der Kläger befunden hat - durch die Taliban getötet wurde. [...]

Für den Kläger besteht schließlich auch keine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e Abs. 1 AsylVfG. Gemäß § 3e Abs. 2 S. 1 AsylG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Einzelfall ist bereits fraglich, ob überhaupt festgestellt werden kann, dass bei dem Kläger in einem Landesteil keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht. Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass sich gerade in seiner Person ein besonderes Verfolgungsinteresse realisiert hat. Zudem kommt ihm auch hier die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU zugute. Die aufgrund seiner Vorverfolgung für den Kläger bestehende Vermutung lässt sich nicht mit stichhaltigen Gründen widerlegen. [...]