VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 12.01.2018 - 6 K 10919/16.TR - asyl.net: M26338
https://www.asyl.net/rsdb/M26338
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für einen jungen afghanischen Mann, der an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sowie einer mittelgradigen depressiven Störung leidet:

1. Zwar ist die Behandlung der PTBS und der mittelgradigen Depression in Afghanistan nicht generell unmöglich, jedoch ist gerade auf Grund der Mehrfacherkrankung des Klägers eine angemessene Behandlung nicht mit hinreichender Sicherheit gewährleistet.

2. Die Stellungnahmen einer Diplom-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin sind ausreichend, um das Vorliegen eines gesundheitlichen Abschiebungsverbots glaubhaft zu machen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Posttraumatische Belastungsstörung, Depression, psychische Erkrankung, Psychologische Psychotherapeutin, Sachverständigengutachten, medizinische Versorgung, Abschiebungsverbot, Suizidgefahr, Mehrfacherkrankung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]
Der Kläger hat indes Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG -. [...]

Ausweislich der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Stellungnahmen der Diplom-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin … vom ... und … 2017 leidet der Kläger sowohl an einer posttraumatischen Belastungsstörung als auch an einer gegenwärtig mittelgradigen depressiven Störung. [...]

Die Stellungnahmen enthalten weitere Angaben darüber, seit wann sich der Kläger in psychologischer Behandlung befunden hat bzw. noch befindet. Insbesondere ist die erforderlich werdende und zur Anwendung gebrachte Therapie dargelegt. Die Stellungnahmen geben Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf in Form medikamentöser Behandlung und begleitender Therapie. Das Gericht hat vor diesem Hintergrund keinen Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Aussagen zu zweifeln und daher auch keine Notwendigkeit gesehen, ein zusätzliches Sachverständigengutachten einzuholen. [...]

Im Einzelfall hat das Gericht auch keine Zweifel, dass der Kläger die erforderliche Behandlung der PTBS und der gleichzeitig vorliegenden mittelgradigen Depression in Afghanistan zumindest faktisch nicht mit hinreichender Sicherheit erhalten könnte. Zwar geht das Gericht nicht generell davon aus, dass psychische Erkrankungen in Afghanistan nicht hinreichend behandelt werden können; vielmehr ist jeweils eine Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls erforderlich. Hier kommt beim Kläger jedoch hinzu, dass dieser sowohl an einer PTBS als auch an einer mittelgradigen depressiven Episode mit latenter Suizidalität leidet. Gerade diese Mehrfacherkrankung des Klägers macht eine Behandlung im Zielstaat Afghanistan schwierig. Eine insoweit ausreichende Therapie für den konkreten Behandlungsbedarf des Klägers, neben einer medikamentösen Behandlung auch eine psychotherapeutische Maßnahme, steht nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für den Kläger im Zielstaat tatsächlich zur Verfügung. Ausweislich des Berichtes des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016 findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen (insbesondere Kriegstraumata) abgesehen von einzelnen Pilotprojekten nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Gleichzeitig würden viele Afghaninnen und Afghanen unter psychischen Symptomen der Depression, Angststörung oder posttraumatischer Belastungsstörung leiden. Lediglich in Kabul gebe es zwei psychiatrische Einrichtungen. Insbesondere notwendig werdende Folgebehandlungen seien oft schwierig zu leisten. Traditionell mangele es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie würden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es werde versucht, ihnen in einer "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer den "bösen Geist auszutreiben" (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes a.a.O., S. 23, 24). Die multiple Erkrankung des Klägers aufgrund der Erlebnisse in Afghanistan und die Aussagen im Lagebericht des Auswärtigen Amtes zugrunde legend kann für den Kläger deshalb nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan zeitnah die für ihn erforderliche Psychotherapie erhalten bzw. fortsetzen kann. [...]