OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 28.06.2018 - 1 Bf 32/17.A - asyl.net: M26373
https://www.asyl.net/rsdb/M26373
Leitsatz:

Keine Verlängerung der Klagefrist wegen missverständlicher Rechtsmittelbelehrung:

1. Die Formulierung, die Klage gegen die Ablehnung des Asylantrags müsse in deutscher Sprache abgefasst sein, ist nicht unrichtig i.S.d. § 58 Abs. 2 VwGO und führt deshalb nicht zu einer Verlängerung der Klagefrist auf ein Jahr.

2. Ist die beigefügte Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung ebenfalls unzutreffend bzw. missverständlich und wurde aus diesem Grund die Klagefrist versäumt, kann aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beansprucht werden.

3. Der in einem Bescheid des BAMF enthaltene Hinweis, dass allein der in deutscher Sprache abgefasste Bescheid einschließlich der Rechtsbehelfsbelehrung maßgeblich ist, verstößt nicht gegen nationale Vorschriften oder Unionsrecht.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Rechtsmittelbelehrung, Klagefrist, Übersetzung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Rechtsmittelbelehrung, Fehlerhaftigkeit, Asylverfahren, Schriftform, Rechtsbehelfsbelehrung, Zulässigkeit, Frist, Rechtsmittelfrist, mündlich, schriftlich, Schriftform, Sprache, Deutsch, deutsche Sprache, Fristversäumnis, abgefasst, Abfassen, unrichtig, Unrichtigkeit, Zulässigkeit, Frist, Rechtsmittelfrist,
Normen: AsylG § 31 Abs. 1 S. 4 1. Hs., VwGO § 58 Abs. 2, VwGO § 60, AsylG § 74 Abs. 1 2. Hs., AsylG § 36 Abs. 3 S. 1, VwGO § 58 Abs. 1, VwGO § 58, VwGO § 81,
Auszüge:

[...]

Der Hinweis, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss, entspricht der Vorgabe des § 55 VwGO i.V.m. § 184 Satz 1 GVG, wonach die Gerichtssprache deutsch ist. Die Rechtsbehelfsbelehrung ist zudem nicht geeignet ist, bei einem objektiven Leser einen Irrtum über die formellen Voraussetzungen einer Klageerhebung hervorzurufen; er erweckt insbesondere nicht den Eindruck, dass der Empfänger des Bescheides die Klage ausschließlich selbst in Schriftform bei Gericht einreichen muss, obwohl die Klage gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann (wie hier u.a.: VGH München, Urt. v. 10.1.2018, 13a B 17.31116, NVwZ 2018, 838; OVG Schleswig, Beschl. v. 16.11.2017, 1 LA 68/17, juris; VG Greifswald, Urt. v. 7.2.2018, 3 A 1089/17 As HGW, juris Rn. 23; VG Berlin, Urt. v. 24.1.2017, 21 K 346/16.A, juris Rn. 21 ff.; VG Berlin, Beschl. v. 19.5.2017, 6 L 383.17 A, juris Rn. 12; VG Göttingen, Beschl. v. 23.1.2017, 3 B 90/17, juris Rn. 7 ff.; VG Oldenburg, Beschl. v. 20.10.2016, 15 B 5090/16, juris Rn. 9; vgl. auch: BVerwG, Beschl. v. 5.2.1990, 9 B 506.89, NJW 1990, 3103, juris Rn. 3; a.A. z.B.: VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2017, A 9 S 333/17, NVwZ 2017, 1477, juris Rn. 27 ff.; VG Augsburg, Beschl. v. 3.12.2014, Au 7 S 14.50321, juris Rn. 19; VG Düsseldorf, GB v. 28.6.2016, 22 K 4119/15.A, juris Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 10.2.2017, 3a K 4163/16.A, juris Rn. 20 ff.).

§ 81 Abs. 1 VwGO bestimmt, dass die Klage bei dem Gericht schriftlich zu erheben ist; bei dem Verwaltungsgericht kann sie auch zu Protokoll des Urkundsbeamten erhoben werden. Gemäß § 55a Abs. 1 Satz 1 VwGO können die Beteiligten dem Gericht zudem elektronische Dokumente übermitteln. Bei Erhebung der Klage zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist zu berücksichtigen, dass auch dann die Klage "verschriftlicht" erhoben wird. [...]

Die in der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Möglichkeiten der Klageerhebung beim Verwaltungsgericht setzen demnach voraus, dass die Klage dem Verwaltungsgericht in einer verschriftlichten Form vorliegen muss. Allerdings muss ein Kläger nicht zwingend selbst die Klage schriftlich beim Verwaltungsgericht einreichen.

Diese Rechtslage kommt in der vom Bundesamt in der Rechtsbehelfsbelehrung verwendeten Formulierung "Die Klage muss (…) in deutscher Sprache abgefasst sein" zutreffend zum Ausdruck. Für das Berufungsgericht ist dabei von maßgeblicher Bedeutung die Verwendung des Verbes "abfassen" im Passiv. Durch die Verwendung des Passivs wird nur eine Aussage dazu getroffen, dass die (verschriftlichte) Klage in deutscher Sprache verfasst sein muss, und es wird gerade keine Aussage dazu gemacht, wer die Klage verfassen bzw. die Klage in die Schriftform bringen muss; dies kann z.B. der Kläger, dessen Prozessbevollmächtigter oder eben der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts sein. Es wird zudem nicht zum Ausdruck gebracht, dass der Kläger selbst die Klage in schriftlicher Form einreichen muss. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Einbeziehung des vorangegangenen Satzes der Rechtsbehelfsbelehrung, wonach für die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung der Tag des "Eingangs" beim Verwaltungsgericht maßgebend ist. Denn der "Eingang" bezieht sich ebenfalls auf den Eingang der verschriftlichten Form der Klage. Auch für die Klage, die zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben wird, ist der Tag des Eingangs beim Verwaltungsgericht maßgebend.

Dass bei flüchtigem Lesen und/oder aufgrund unzureichender Sprachkenntnisse unter Berücksichtigung des Empfängerkreises der Satz "Die Klage muss in deutscher Sprache abgefasst sein" möglicherweise dahingehend missverstanden werden kann, dass der Empfänger des Bescheides selbst die Klage in deutscher Sprache abfassen oder diese bereits schriftlich beim Verwaltungsgericht einreichen muss, führt zu keiner anderen Bewertung (vgl. auch: VGH München, Urt. v. 10.1.2018, 13a B 17.31116, NVwZ 2018, 838, juris Rn. 31, 34; OVG Schleswig, Beschl. v. 16.11.2017, 1 LA 68/17, juris Rn. 15). Insoweit ist vielmehr auf einen "objektiven Leser" bzw. den "objektiven Empfängerhorizont" abzustellen. Im Hinblick darauf kann die Eignung zur Irreführung daher auch nicht schon daraus geschlossen werden, dass andere Gerichte die Rechtsbehelfsbelehrung im Ergebnis für unrichtig befunden haben.

Nach dem objektiven Empfängerhorizont ist zudem zu berücksichtigen, dass die Rechtsbehelfsbelehrung erkennbar einen juristisch geprägten Text darstellt, der genau zu lesen und auszulegen ist. Diese Pflicht obliegt auch einem Asylantragsteller. In seiner spezifischen Verfahrenssituation wird er durch die ergänzenden Informationen, die das Bundesamt ihm gibt, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Rechtsmittelfrist unbedingt eingehalten werden muss und so bemessen ist, dass ggf. sofort etwas unternommen werden muss. Wie der Asylantragsteller die Erhebung der Klage in deutscher Sprache bewerkstelligen will - z.B. durch ein eigenes Schreiben, durch Kontaktaufnahme zu einem Rechtsanwalt, durch Kontaktaufnahme zur Öffentlichen Rechtsauskunftsstelle oder durch Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts - obliegt seiner Entscheidung. Darüber besagt die Rechtsbehelfsbelehrung nichts. Ein Asylantragsteller hat daher nach Erhalt des Bescheides des Bundesamts zu entscheiden, ob er Klage erheben und wie er dies ggf. in deutscher Sprache bewerkstelligen will. Es spricht nach Ansicht des Berufungsgerichts auch viel dafür, dass die Rechtsbehelfsbelehrung des Bundesamtes regelmäßig durch die Empfänger genau so verstanden wird.

Da in dem angefochtenen Bescheid ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass allein die deutsche Fassung des Bescheides einschließlich der Rechtsbehelfsbelehrung maßgeblich ist, ist die in deutscher Sprache verfasste Rechtsbehelfsbelehrung auch nicht vor dem Hintergrund der arabischen Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung auszulegen.

Ergänzend kommt hinzu, dass das Verb abfassen zwar überwiegend, aber nicht allein auf eine schriftliche Form zielt. Nach Duden (https://www.duden.de/rechtschreibung/abfassen, abgerufen am 27.6.2018) wird unter "abfassen" verstanden, dass einem vorgegebenen, nicht allzu umfangreichen Stoff die entsprechende sprachliche Form gegeben wird. Als Synonyme werden dort genannt anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, ausarbeiten, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen und (gehoben) niederlegen. Demnach bedeutet "abfassen", dass ein bestimmter Tatsachenstoff vom bloßen Gedanken in eine sprachliche Formulierung transportiert wird und so nach außen dringen kann. Auch wenn die im Duden angeführten Synonyme in der Mehrzahl auf eine Verschriftlichung hindeuten, werden darüber hinaus andere Möglichkeiten genannt, wie etwa "formulieren".

Der gegenteiligen Meinung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urt. v. 18.4.2017, A 9 S 333/17, NVwZ 2017, 1477, juris Rn. 27 ff.) wird aus den genannten Gründen nicht gefolgt. Soweit sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zudem darauf stützt, der Rechtsbehelfsbelehrung ließen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Betroffene nach der Verwaltungsgerichtsordnung auch die Unterstützung einer staatlichen Stelle in Anspruch nehmen könne, ist dem entgegenzuhalten, dass dies auch bei einer vollständig "richtigen" Rechtsbehelfsbelehrung (ohne den streitgegenständlichen Zusatz) nicht der Fall ist. Darüber hinaus kann sich der Betroffene auch nicht generell darauf verlassen, dass in der Rechtsmittelbelehrung sämtliche Modalitäten für die Einlegung des Rechtsmittels genannt werden (BVerwG, Beschl. v. 31.8.2015, 2 B 61.14, NVwZ 2015, 1699, juris Rn. 11).

4. Die Klage durfte auch nicht deshalb nach § 58 Abs. 2 VwGO innerhalb eines Jahres erhoben werden, weil die in arabischer Sprache beigefügte Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig wäre. Die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung in arabischer Sprache ist nicht unrichtig (a). Selbst wenn das Berufungsgericht diese als unrichtig ansehen würde, so käme nicht § 58 Abs. 2 VwGO zur Anwendung; stattdessen wäre bei einem hierauf beruhenden Irrtum, der zur Versäumnis der Klagefrist geführt hätte, ggf. gemäß § 60 VwGO unter den dort genannten Voraussetzungen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (b). [...]