VG Halle

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Zitieren als:
VG Halle, Beschluss vom 12.07.2018 - 7 B 125/18 HAL - asyl.net: M26385
https://www.asyl.net/rsdb/M26385
Leitsatz:

Einstweilige Anordnung zur Dublin-Familienzusammenführung nach Ablauf der Überstellungsfrist:

1. Das BAMF wird verpflichtet, auf die Einreise der Eltern und fünf Geschwister aus Griechenland zu einem minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten nach Deutschland hinzuwirken.

2. Auch nach Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist aus Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO besteht ein Anspruch auf Familienzusammenführung nach Art. 9 Dublin-III-VO, da die Verwaltungspraxis des Bundesamts bei der Überstellung von Familienangehörigen aus Griechenland ersichtlich nicht auf Einhaltung der Überstellungsfrist, sondern auf eine Begrenzung des Familiennachzugs ausgerichtet ist (unter Bezug auf VG Wiesbaden, Beschluss vom 09.03.2018 - 4 L 444/18.WI.A - asyl.net: M26085, Asylmagazin 5/2018 mit Anmerkung).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Familienzusammenführung, Dublinverfahren, Griechenland, einstweilige Anordnung, Vorwegnahme der Hauptsache, unbegleitete Minderjährige, Dublin III-Verordnung, Familiennachzug, minderjährig, Übernahmeersuchen, Ablauf, Überstellungsfrist, Überstellung, Beschränkung, Deckelung, Verlangsamung, Verwaltungspraxis, vorläufiger Rechtsschutz, subjektives Recht, Drittschutz, drittschützend, Kindeswohl, Achtung des Familienlebens, Kontingent, Kontingentierung, Familieneinheit, effektiver Rechtsschutz,
Normen: VO 604/2013 Art. 6, VO 604/2013 Art. 8 Abs. 3, VO 604/2013 Art. 10, VwGO § 123 Abs. 1 S. 2, VO 604/2013 Art. 9, VO 604/2013 Art. 2 Bst. g, VO 604/2013 Art. 29 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 18 Abs. 1a, VO 604/2013 Art. 22 Abs. 7, VO 604/2013 Art. 29 Abs. 2 S. 1,
Auszüge:

[...]
Diesem Anspruch der Antragsteller auf Familienzusammenführung, der umfasst, dass die Überstellung auch tatsächlich erfolgt und Deutschland hieran mitwirkt, steht der Ablauf der Überstellungsfrist nicht entgegen (vgl. VG Wiesbaden, Beschluss vom 9. März 2018 - 4 L 444/18.WI.A -; VG Freiburg, Beschluss vom 8. Mai 2018 - A 4 K 11125/17 -; a.A. wohl VG Ansbach, Beschluss vom 9. Februar 2018 - AN 14 E 17.51345 -, juris). Zwar bestimmt Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO, dass, wenn die Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten durchgeführt wird, der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Im Hinblick auf die Verwaltungspraxis des Bundesamts bei der Überstellung von Familienangehörigen aus Griechenland, die ersichtlich nicht auf Einhaltung der 6-Monats-Frist, sondern auf eine Begrenzung des Familiennachzugs ausgerichtet ist (zur Verwaltungspraxis vgl. auch Wohnig, Anmerkung zum Beschluss des VG Wiesbaden vom 9. März 2018 - 4 L 444/18.WI.A -), gilt der Anspruch auf Familienzusammenführung auch nach Ablauf der Überstellungsfrist weiter. Auf der Grundlage der mitgeteilten Zahlen von bewilligten und tatsächlich erfolgten Überstellungen von Griechenland nach Deutschland (vgl. Antworten der Bundesregierung auf schriftliche Fragen der Bundestagsabgeordneten Jelpke aus September, August, Juni und Mai 2017 [Anlagen 7 bis 10 zur Antragsschrift]) ist offensichtlich, dass in der ganz überwiegenden Zahl der bewilligten Überstellungen eine solche nicht innerhalb des Sechs-Monats-Frist erfolgt (vgl. VG Freiburg, a.a.O.), was nahelegt, dass die Bundesrepublik ihrer Verpflichtung zur Übernahme nicht hinreichend nachkommt.

Dass sich hieran in jüngster Zeit etwas geändert hätte, ist nicht ersichtlich. [...]

Der Ablauf der Überstellungsfrist kann vor diesem Hintergrund dem Anspruch auf Übernahme der Antragsteller zu 2. bis 8. nicht entgegen gehalten werden. Die Antragsgegnerin macht auch selbst nicht geltend, die Angehörigen des Antragstellers nicht mehr übernehmen zu wollen. im Übrigen dürfte sie wegen der Verletzung ihrer Pflicht zur Übernahme auch eine Folgenbeseitigungslast treffen (vgl. VG Freiburg, a.a.O.). [...]