VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 09.05.2018 - 6 K 4730/16.GI - asyl.net: M26445
https://www.asyl.net/rsdb/M26445
Leitsatz:

Die Geltungsdauer einer gemäß § 68 AufenthG zur Ermöglichung der Einreise eines syrischen Flüchtlings nach § 23 Abs. 1 AufenthG i.V.m. der Aufnahmeanordnung des Hessischen Ministeriums des Innern (HMdI) vom 19.9.2013 abgegebenen Verpflichtungserklärung zur Haftung für die Kosten des Lebensunterhalts des Ausländers endet grundsätzlich nicht mit dessen nachfolgender Anerkennung als Flüchtling und der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG (Anschluss BVerwG, Urteil vom 26.1.2017, Az. 1 C 10.16 [M24833]).

Der in einer in Hessen aufgenommenen Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG angegebene Zweck des Aufenthalts "Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG" stellt auch in Verbindung mit einem Behördenvermerk "VE dient der Finanzierung des Aufenthalts und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG im Rahmen der Aufnahmeanordnung des Landes Hessen vom ..." keine Befristung der Geltungsdauer der Erklärung dar (Fortführung der Rechtsprechung der Kammer, Urteile vom 12.12.2017, Az. 6 K 2716/16.GI u.a.).

Die in der Aufnahmeanordnung des HMdI vom 19.9.2013 in der Fassung der Änderung vom 24.2.2014 geregelte Herausnahme der Kosten für Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft, Geburt, Pflegebedürftig­keit und Behinderung des Ausländers aus dem Anwendungsbereich einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG erfasst auch von einem Sozialleistungsträger gezahlte Beiträge zur Kranken- und Pflege­versicherung.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Verpflichtungserklärung, Syrien, Landesaufnahmeprogramm, Flüchtlingsanerkennung, Wechsel des Aufenthaltszwecks, Sicherung des Lebensunterhalts, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Sozialhilfebezug, Aufnahmeprogramme, Kostenhaftung, Krankenversicherung,
Normen: AufenthG § 68 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 68 Abs. 1 S. 3, AufenthG § 68 Abs. 1 S. 3, AufenthG § 68a S. 1, AufenthG § 68, AufenthG § 23, AufenthG § 25 Abs. 2, AufenthG § 23 Abs. 1 S. 3,
Auszüge:

[...]

Die Bescheide des Beklagten vom 8.12.2016 und 13.6.2017 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO), soweit er darin zur Erstattung der von dem Beklagten für den syrischen Staatsangehörigen H. und dessen Ehefrau I. aufgewendeten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verpflichtet wird. [...]

Rechtswidrig und aufzuheben sind die Bescheide des Beklagten vom 8.12.2016 und 13.6.2017 hingegen, soweit darin der Kläger zur Erstattung von für Herr H. und dessen Ehefrau aufgewendete Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in den Monaten Juni bis Dezember 2016 in Höhe von jeweils 105,19 € monatlich und in den Monaten Januar bis Mai 2017 in Höhe von jeweils 114 € monatlich verpflichtet wird (vgl. dazu auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 8.12.2017, Az. OVG 18 A 1040/16 und OVG 18 A 1197/16, bestätigt durch Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.3.2018, Az. 1 B 9.18 und 20.3.2018, Az. 1 B 5.18, jeweils juris). Denn die entsprechenden Kosten sind von der von dem Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung nicht erfasst. In der Erklärung wird ausdrücklich auf die Aufnahmeanordnung des Landes Hessen vom 19.9.2013 i.V.m. den nachfolgenden Ergänzungen Bezug genommen. In der insoweit maßgeblichen Fassung durch die Änderungsanordnung vom 24.2.2014 ist jedoch geregelt, dass Kosten für Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft, Geburt, Pflegebedürftigkeit und Behinderung im Sinne der §§ 4, 6 AsylbLG von der Verpflichtungserklärung ausgenommen werden und diese Leistungen nach §§ 4, 6 AsylbLG von den zuständigen Behörden zu gewähren sind; der Nachranggrundsatz gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 AsylbLG soll insoweit nicht greifen. Zwar hat der Beklagte die fraglichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht auf der Grundlage der genannten Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetzes erbracht, sondern derjenigen des Sozialgesetzbuchs II und des Sozialgesetzbuchs V. Denn unter Geltung der Erlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG waren die Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht mehr anwendbar (s. §§ 1 AsylbLG, 7 Abs. 1 SGB II, 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V). Die Beiträge dienten gleichwohl zur Deckung des in der Aufnahmeanordnung genannten Bedarfs der Ausländer bei Krankheit, Schwangerschaft, Geburt, Pflegebedürftigkeit und Behinderung.

Erstreckt sich die Haftung des Klägers aber auch auf den Zeitraum der Geltung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG, muss gleichzeitig die Einschränkung des Umfangs der Haftung aus seiner Verpflichtungserklärung hinsichtlich dieses Bedarfs der Ausländer weiterbestehen. Das gilt umso mehr, als nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 26.1.2017, a.a.O.) mit dieser Einschränkung der Leistungsverpflichtung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den bei Erlass entsprechender Aufnahmeanordnungen auch bestehenden öffentlichen Interessen Rechnung getragen wird. Etwas anderes folgt insoweit auch nicht daraus, dass es sich bei dem beklagten Jobcenter um eine gemeinsame Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit und des Landkreises Gießen als kommunalem Träger handelt (§§ 6 Abs. 1 S. 1, 6 d, 44 b Abs. 1 SGB II). Zwar ist damit von der Leistungspflicht nicht nur ein kommunaler Kostenträger des die Aufnahmeanordnung erlassenden Landes Hessen betroffen, sondern auch die Bundesrepublik Deutschland in Gestalt der Bundesagentur für Arbeit. Die Anordnung ist jedoch gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 AufenthG im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Inneren ergangen, so dass die Rechte des Bundes gewahrt sind. [...]