OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.05.2018 - 4 LB 17/17 - asyl.net: M26459
https://www.asyl.net/rsdb/M26459
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für in Bulgarien subsidiär Schutzberechtigten jungen alleinstehenden Mann:

1. Das nationale Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist nicht auf das verfassungsrechtlich Gebotene zu reduzieren und nur bei extremer individueller Gefahrenlage einschlägig, da hierfür kein anderer Maßstab gilt als derjenige, der durch die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK vorgegeben ist.

2. Der als subsidiär Schutzberechtigter in Bulgarien anerkannte Kläger hat dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten, insbesondere da die Situation von Schutzberechtigten nicht mit den Erfordernissen der Qualifikationsrichtlinie im Einklang steht. Systemische Mängel prägen die Vollzugspraxis Bulgariens regelhaft und in struktureller Weise.

3. Anerkannte Flüchtlinge werden Staatsangehörigen Bulgariens im Wesentlichen gleichgestellt, während subsidiär Schutzberechtigte anderen Drittstaatsangehörigen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht gleichgestellt sind. Allerdings hat der mittellose, der bulgarischen Sprache nicht mächtige Kläger keine realistische Möglichkeit, tatsächlich in den Genuss dieser Garantien zu gelangen. Um die Inländergleichbehandlung tatsächlich zu gewährleisten, sind Integrationsprogramme erforderlich (unter Bezug auf die Rechtsprechung des VGH Hessen, entsprechend Urteil vom 04.11.2016 - 3 A 1322/16.A (ASYLMAGAZIN 1-2/2017, S. 47 ff.) - asyl.net: M24415).

4. Schutzberechtigten droht bei Rücküberstellung nach Bulgarien Obdachlosigkeit (unter Bezug auf Rechtsprechung des OVG Saarland, Urteil vom 19.04.2018 - 2 A 781/17 - asyl.net: M26216 und OVG Niedersachsen, Urteil vom 29.01.2018 - 10 LB 82/17 - asyl.net: M2592).

5. Der Zugang zu Sozialhilfe und zum Arbeitsmarkt ist für Schutzberechtigte in Bulgarien äußerst erschwert, da ein Ausweisdokument vorausgesetzt wird, welches nur mit Meldeadresse, also Unterkunft beantragt werden kann.

6. Für Schutzberechtigte ist es schwierig, an medizinische Leistungen heranzukommen. Es ist nur eine Notfallversorgung gewährleistet.

7. Die aufgeführten Defizite führen regelmäßig und ernsthaft zur Gefahr der Verelendung.

(Leitsätze der Redaktion; fast gleichlautendes Urteil des OVG Schleswig-Holstein vom selben Tag zu in Bulgarien als Flüchtlinge Anerkannten: 4 LB 27/17 - asyl.net: M26460)

Schlagwörter: Bulgarien, internationaler Schutz in EU-Staat, Drittstaatenregelung, Abschiebungsverbot, ausländische Anerkennung, Anerkannte, systemische Mängel, Aufnahmebedingungen, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Versorgungslage, extreme Gefahrenlage, Europäische Menschenrechtskonvention, Qualifikationsrichtlinie, Europäische Grundrechtecharta, Unterkunft, Obdachlosigkeit, medizinische Versorgung, Sozialhilfe, Arbeitsmarkt,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 35, AsylG § 26a Abs. 2, GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AsylG § 34 Abs. 1 Nr. 3, AsylG § 31 Abs. 3 S. 1,
Auszüge:

Da das vorliegende Urteil fast gleichlautend ist mit dem Urteil des OVG Schleswig-Holstein vom selben Tag zu in Bulgarien als Flüchtlinge Anerkannten (4 LB 27/17 - asyl.net: M26460) verweisen wir auf die dortigen Textauszüge.