VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 20.06.2018 - 21 B 18.30825 - asyl.net: M26692
https://www.asyl.net/rsdb/M26692
Leitsatz:

1. Allein wegen der Stellung des Asylantrages und des Aufenthalts in Deutschland ist eine Verfolgung in Syrien nicht wahrscheinlich.

2. Die staatlichen Stellen halten die für die Militärdienstpflicht maßgebenden gesetzlichen Altersgrenzen (18 bis 42 Jahre) grundsätzlich ein. Daher besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass einem 48-jährigen Syrer, der im Alter von 45 Jahren ausgereist ist, im Falle der Rückkehr nach Syrien im Hinblick auf einen Militärdienstentzug eine oppositionellen Gesinnung unterstellt wird. Ebenso wenig besteht die Gefahr, dass er bei einer Rückkehr zum Militärdienst eingezogen wird.

3. Den Angehörigen eines Militärflüchtigen droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Reflexverfolgung.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, Upgrade-Klage, Militärdienst, Wehrdienstentziehung, Sippenhaft, Reflexverfolgung, Desertion,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). [...]

2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats nach wie vor nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger allein wegen seiner Ausreise, seines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb eine Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (ebenso mit zum Teil abweichender Begründung: OVG SH, U.v. 4.5.2018 - 2 LB 17.18 u. U.v. 23.11.2016 - 3 LB 17.16; NdsOVG, U.4. 18.4.2018 - 2 LB 101.18; SächsOVG, U.v. 7.2.2018 - 5 A 1237/17.A; OVG Bremen, U.v. 24.1.2018 - 2 LB 237/17; OVG Hamburg, U.v. 11.1.2018 - 1 Bf 81/17.A; OVG Berlin-Bbg, U.v. 22.11.2017 - OVG 3 B 12.17; VGH BW, U.v. 9.8.2017 - A 11 S 710.17; OVG Saarl, U.v. 2.2.2017 - 2 A 515.16; OVG RhPf, U.v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16.0VG; offengelassen HessVGH, U.v. 6.6.2017 3 A 3040/16.A- alle juris). [...]

2.2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht fest, dass die gegen eine Verfolgung des Klägers sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und die dafür sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kann nicht von einem bei jedem Rückkehrer bestehenden in gleicher Weise realen Risiko von Misshandlung und Folter ausgegangen werden. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen. [...]

2.3 Es ist zur Überzeugung des Senats im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die syrischen Sicherheitskräfte den Kläger im Hinblick auf einen Militärdienstentzug wegen einer ihm unterstellten oppositionellen Gesinnung menschenrechtswidrig behandeln werden. Der Kläger unterfällt aufgrund seines Alters (48 Jahre) in Syrien nicht (mehr) der allgemeinen Wehrpflicht, die nach dem Gesetz ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren besteht. Der Kläger ist (erst) im Alter von 45 Jahren (legal) aus Syrien ausgereist und hat sich deshalb durch seine Ausreise und den Aufenthalt im Ausland nicht dem Militärdienst entzogen. Nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen  Verhandlung wird das für Beginn und Ende der Wehrpflicht maßgebende Alter von 18 bis 42 Jahren von den syrischen staatlichen Stellen im Allgemeinen beachtet. [...]

2.4 Dem Kläger droht als Vater eines (möglicherweise) Wehrflüchtigen auch nicht beachtlich wahrscheinlich eine Reflexverfolgung. Dabei kann offen bleiben, ob der mit dem Kläger nach Deutschland ausgereiste Sohn, der im Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung wenige Tage vor seinem 18. Geburtstag stand, als  Wehrflüchtiger einzustufen ist. Der Senat ist aufgrund der Quellenlage davon überzeugt, dass der Kläger allein wegen einer (möglichen) Wehrdienstentziehung seines Sohnes im Falle einer Rückkehr nach Syrien unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft eine Verfolgung durch den syrischen Staat nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. [...]