Verkürzter Rechtsweg bei Ablehnung als "offensichtlich unbegründet" unionsrechtswidrig:
1. Die nationale Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegen die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet und eine damit verbundene Rückkehrentscheidung mit einwöchiger Ausreisefrist ist nach summarischer Prüfung mit den vom EuGH aufgestellten Verfahrensgarantien nicht vereinbar (vgl. EuGH, Urteil vom 19.06.2018 - C-181/16 Gnandi gg. Belgien - Asylmagazin 9/2018, S. 310 ff. - asyl.net: M26457).
2. Bei Verbindung von ablehnender Entscheidung über den Asylantrag und Rückkehrentscheidung müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung sowohl während der Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs, als auch - für den Fall, dass er eingelegt wird - bis zur Entscheidung über ihn ausgesetzt werden. Die Frist für die freiwillige Ausreise darf nicht zu laufen beginnen, solange die betroffene Person ein Bleiberecht hat.
3. Bleibt aufgrund der Formulierung der Abschiebungsandrohung unklar, ob der betroffenen Person nach negativem Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens noch eine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt wird und wenn ja in welcher Länge, ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
(Leitsätze der Redaktion; vgl. auch VG Arnsberg, Beschluss vom 22.02.2019 - 3 L 1991/18.A - asyl.net: M27046)
Anmerkung:
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Zwar hat der deutsche Asylgesetzgeber im Fall der Ablehnung von Asylbegehren als offensichtlich unbegründet den in § 80 Abs. 1 VwGO verankerten Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsklagen mit der Regelung in § 36 AsylG ausdrücklich durchbrochen und geht damit auch bei einer gemeinsamen Entscheidung über Asylablehnung und Abschiebungsandrohung von der sofortigen Vollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen aus.
Der Antragsteller kann sich aber nach Auffassung der Kammer zur Durchsetzung seines Aussetzungsbegehrens mit Erfolg auf das im primären Unionsrecht verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf in Verbindung mit dem Grundsatz der Nichtzurückweisung berufen, vgl. Art. 47 sowie Art. 18 und 19 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta).
Dies folgt aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Die Kammer stützt sich insbesondere auf die Entscheidungsgründe, mit denen der Europäische Gerichtshof (Große Kammer) mit Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - in der Rechtssache "Gnandi" die einschlägigen Verfahrensgarantien des Unionsrechts für den flüchtlingsrechtlichen Eilrechtsschutz verbindlich ausgelegt hat.
Dabei ist zunächst klarzustellen, dass es sich bei der hier angegriffenen asylrechtlichen Abschiebungsandrohung mit einwöchiger Ausreisefrist (§§ 34, 36 Abs. 1 AsylG) um eine Rückkehrentscheidung i. S. d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie - RRL -) handelt, nämlich um eine behördliche Entscheidung mit welcher der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. August 2018 - 1 C 21.17 - juris, Rn. 18; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 11 S 2125/18 - juris, Rn. 10).
Nach Art. 6 Abs. 6 RRL haben die Mitgliedstaaten entsprechend ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Möglichkeit, wie im vorliegenden Fall geschehen (§ 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG), mit einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthalts sowie eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Diese Möglichkeit besteht jedoch unbeschadet der nach Kapitel III RRL und nach anderen einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und des einzelstaatlichen Rechts verfügbaren Verfahrensgarantien (vgl. Europäischer Gerichtshof (Große Kammer), Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - juris, Rn. 60; Urteil vom 5. Juli 2018 - C-269/18 PPU - juris, Rn. 49).
Der Europäische Gerichtshof betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Rechts auf Nichtzurückweisung aus Art. 18 und 19 Abs. 2 GR-Charta, der gemäß Art. 18 GR-Charta und Art. 78 Abs. 1 AEUV zu beachtenden Genfer Flüchtlingskonvention und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Art. 47 GR-Charta (vgl. Europäischer Gerichtshof (Große Kammer), Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - juris, Rn. 53).
Danach steht die RRL dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen, die mit der ablehnenden Entscheidung über dessen Asylantrag verbunden wird und die damit vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ergeht, nur dann nicht entgegen, sofern der betreffende Mitgliedstaat die durch den Gerichtshof im Einzelnen bestimmten Vorgaben erfüllt.
Danach müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfaltet, wobei der Grundsatz der Waffengleichheit zu wahren ist. Es genügt nicht, dass der betroffene Mitgliedstaat davon absieht, die Rückkehrentscheidung zwangsweise umzusetzen. Es sind alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung sowohl während der Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs, als auch - für den Fall, dass er eingelegt wird - bis zur Entscheidung über ihn, auszusetzen (vgl. Europäischer Gerichtshof (Große Kammer), Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - juris, Rn. 61 f.; Urteil vom 5. Juli 2018 - C-269/18 PPU - juris, Rn. 50; bestätigt auch durch Urteile vom 26. September 2018 - C-175/17 - juris, Rn. 33 und - C-180/17 - juris, Rn. 29).
Insbesondere darf die in Art. 7 RRL vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat. Insgesamt ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten, ein faires und transparentes Rückkehrverfahren zu gewährleisten. Dazu haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass in transparenter Weise über die Einhaltung der Garantien informiert wird, die sich aus dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Einzelnen ergeben (vgl. Europäischer Gerichtshof (Große Kammer), Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - juris, Rn. 65).
Die vorgenannten Grundsätze hat der Europäische Gerichtshof auch auf Drittstaatsangehörige übertragen, deren Antrag auf internationalen Schutz - wie im Falle des Antragstellers - im Einklang mit Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie - VRL -) als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde (vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 5. Juli 2018 - C-269/18 PPU - juris, Rn. 52).
Zwar trifft es in diesem Fall zu, dass der Betroffene nach Art. 46 Abs. 5 und 6 VRL kein volles Bleiberecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf hat. Er muss jedoch im Einklang mit den Anforderungen des Art. 46 Abs. 6 VRL ein Gericht anrufen können, das darüber zu entscheiden hat, ob er in diesem Hoheitsgebiet verbleiben darf. Nach Art. 46 Abs. 8 VRL muss der betreffende Mitgliedstaat dem Antragsteller gestatten, bis zur Entscheidung über sein Bleiberecht in diesem Verfahren in seinem Hoheitsgebiet zu verbleiben (vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 5. Juli 2018 - C-269/18 PPU - juris, Rn. 53).
Gemessen daran spricht Überwiegendes dafür, dass die deutsche Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegen die Abschiebungsandrohung im Falle der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nicht in jeder Hinsicht unionsrechtskonform ist (im Ergebnis ebenso: Verwaltungsgericht Arnsberg, Beschluss vom 17. Dezember 2018 - 3 L 1935/18.A - juris; vereinzelten Anpassungsbedarf sieht auch Wittkopp, Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Einklang mit Unionsrecht - Das Urteil "Gnandi" des EuGH, in: ZAR 2018, 325; zu weitgehend jedoch: Hruschka, Umfassender Rechtsschutz im Asylverfahren, in: Asylmagazin 2018, 290).
Problematisch erscheint die in Ziffer 5 des angegriffenen Asylbescheids gewählte Formulierung zur Festsetzung der einwöchigen Ausreisefrist. Diese lautet: "Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen".
Danach entsteht für den Antragsteller als Adressaten des Bescheids der Eindruck, dass die gesetzte Ausreisefrist von einer Woche mit Bekanntgabe der Entscheidung in Gang gesetzt werde und damit parallel zur einwöchigen Rechtsbehelfsfrist laufe. Ein Hinweis dazu, ob der Lauf der Ausreisefrist durch das Einleiten eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gehemmt wird oder ob die Ausreisefrist nach dem Abschluss dieses Verfahrens von neuem beginnt, erfolgt nicht.
Dieser Mangel an Transparenz über den Lauf der Ausreisefrist wirkt insoweit fort, als im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung unklar bleibt, ob die Antragsgegnerin dem Antragsteller nach negativem Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens noch eine Frist zur freiwilligen Ausreise gewähren wird und - wenn ja - in welcher Länge. Sie setzt den Betroffenen faktisch unter Abschiebungsdruck, und zwar schon ab Bekanntgabe der ablehnenden Asylbehördenentscheidung und nicht erst - wie nach den vorgenannten Rechtsschutzgarantien des Unionsrechts erforderlich - ab Zustellung der ablehnenden gerichtlichen Entscheidung über den einstweiligen Rechtsschutzantrag.
Dem kann nicht durch einen Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu §§ 10 und 11 AsylVfG a.F. begegnet werden, derzufolge einem Asylbewerber nach dem Ende der Aussetzung der Abschiebung nicht nochmals eine Ausreisefrist gewährt werden muss (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. Mai 1986 - 1 C 16.85 - juris, Rn. 21 f.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 36 AsylG, Rn. 48).
Sie dürfte überholt sein, weil sie zu einer Asylrechtslage ergangen ist, welche die hier maßgeblichen Vorgaben des Unionsrechts noch nicht enthielt (vgl. Wittkopp, Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Einklang mit Unionsrecht - Das Urteil "Gnandi" des EuGH, in: ZAR 2018, 325 (328)).
Auch eine unionsrechtskonforme Auslegung der geltenden Rechtslage (vgl. für eine derartige unionsrechtliche Korrektur der gesetzten Frist zur freiwilligen Ausreise: Verwaltungsgericht Stuttgart, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - A 2 K 10728/18 - juris, Rn. 5 unter Verweis auf Verwaltungsgericht Freiburg, Beschluss vom 23. Oktober 2018 - A 3 K 799/18 -; Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 - 31 L 682/18.A - juris, Rn. 27) vermag den im vorliegenden Verfahren festzustellenden Mangel an Transparenz nach Ansicht der Kammer nicht zu beseitigen. Die den Antragsteller belastende Unklarheit über den Lauf der ihm gesetzten Ausreisepflicht geht nicht vorrangig auf das Asylgesetz zurück, sondern auf die konkrete Formulierung, welche die Antragsgegnerin dazu in Ziffer 5 ihres Bescheids gewählt hat.
Zudem lässt sich diese Intransparenz nicht durch die Gestaltung des gerichtlichen Asyleilverfahrens unionsrechtskonform ausgleichen. Dazu mag der Hinweis genügen, dass der Gedanke der Verfahrensbeschleunigung im gerichtlichen Aussetzungsverfahren nach § 36 Abs. 3 AsylG prägend ist. Danach soll die Entscheidung im schriftlichen Verfahren innerhalb einer Woche ab Ablauf der Ausreisefrist ergehen, vgl. § 36 Abs. 3 S. 5 AsylG. Eine mündliche Verhandlung, in der zugleich über die Klage verhandelt wird, ist unzulässig, vgl. § 36 Abs. 3 S. 4 AsylG.
Schließlich hält es die Kammer nicht für zulässig, auf die Unklarheit hinsichtlich des Laufs der behördlich gesetzten Ausreisefrist dadurch zu reagieren, dass die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers für die Dauer von einer Woche angeordnet wird (ebenso ablehnend: Verwaltungsgericht Arnsberg, Beschluss vom 17. Dezember 2018 - 3 L 1935/18.A - juris, Rn. 29 ff.).
Eine derartige Eilentscheidung zur "Behebung eines behördlichen Fehlers" dürfte schon deshalb ausgeschlossen sein, weil sie den Streitgegenstand des Aussetzungsverfahrens überschreitet. So ist der Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung des ihn belastenden Verwaltungsakts "Abschiebungsandrohung mit einwöchiger Ausreisefrist" gerichtet. Diese Rechtsschutzform beruht wie die zugehörige Anfechtungsklage auf einem Aufhebungsverlangen. Nach Auffassung der Kammer ist es nicht Aufgabe des Gerichts, durch eine "passgenaue" Aussetzung der Vollziehung faktisch diejenige Ausreisefrist zu schaffen, die die zuständige Behörde hätte gewähren müssen.
Keine Zweifel hat die Kammer, dass sich der Antragsteller auf die Defizite bei der Umsetzung der unionsrechtlichen Transparenzvorgaben im vorliegenden Aussetzungsverfahren berufen kann, da ihm insoweit subjektiv-öffentliche Rechtspositionen zustehen. Dies ergibt sich daraus, dass der Europäische Gerichtshof die vorgenannten Gewährleistungen der EU-Grundrechtecharta entnimmt, die Individualrechte vermittelt.
Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, ob die unionsrechtlich verlangte Belehrung über die vorgenannten Verfahrensgarantien nicht ordnungsgemäß erfolgte (vgl. dazu Wittkopp, Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Einklang mit Unionsrecht - Das Urteil "Gnandi" des EuGH, in: ZAR 2018, 325, 329; Rechtsbehelfsbelehrung ausreichend: Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 - 31 L 682.18 A - juris, Rn. 29) und ob ggf. deshalb gegenüber der Abschiebungsandrohung Rechtsschutz zu gewähren ist (zweifelnd: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 11 S 2125/18 - juris, Rn. 22). [...]