VG Greifswald

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Zitieren als:
VG Greifswald, Beschluss vom 17.01.2019 - 2 B 1703/18 HGW - asyl.net: M26995
https://www.asyl.net/rsdb/M26995
Leitsatz:

Eine Anmeldung zur Abschiebung ist nicht immer eine konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahme:

1. Konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen liegen nicht vor, wenn die Anmeldung zur Abschiebung durch die Ausländerbehörde erfolgt, ohne dass die betroffene Person vollziehbar ausreisepflichtig ist.

2. Fordert die Härtefallkommission die Ausländerbehörde auf, für die Dauer eines Härtefallverfahrens von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen, so hat die betroffene Person dieses Abschiebungshindernis nicht zu vertreten.

3. Eine Ausbildungsduldung kann konkludent durch Vorlage des Ausbildungsvertrags beantragt werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, vollziehbar ausreisepflichtig, Härtefallantrag, Härtefallkommission, Vertretenmüssen, Abschiebung, Duldung, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Beurteilungszeitpunkt,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, AufenthG § 23a,
Auszüge:

[...]

Der schriftlichen Antragstellung vom 25.10.2018 ist aber eine durch die Antragstellerin bei ihrer persönlichen Vorsprache am 18.10.2018 erfolgte konkludente Antragstellung vorangegangen. Für das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Ausschlussgrundes des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist auf den Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung des Begehrens auf Erteilung einer Ausbildungsduldung für die konkrete Ausbildung gegenüber der Ausländerbehörde abzustellen. Für eine solche konkludente Antragstellung reicht es aus, wenn der Ausländer ein darauf gerichtetes Begehren erkennbar, beispielsweise durch Vorlage des Ausbildungsvertrages, zum Ausdruck bringt, denn ein ausdrücklicher Antrag ist für die Erteilung der Ausbildungsduldung gesetzlich nicht vorgeschrieben (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 27.11.2018 - 2 M 909/18 OVG). [...]

Zum Zeitpunkt der konkludenten Antragstellung am 18.10.2018 waren keine Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung der Antragstellerin im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ergangen.

Der gesetzliche Tatbestand der Vorschrift fordert zwar nicht, dass konkrete Maßnahmen bereits angeordnet oder ausgeführt worden sind. Es genügt vielmehr, dass die Abschiebung durch die Ausländerbehörde oder eine andere für die Aufenthaltsbeendigung zuständige Behörde vorbereitet wird und für diese absehbar durchgeführt werden soll. Der Erteilung einer Duldung entgegenstehende Maßnahmen sind daher solche, die nach typisierender Betrachtung prognostisch bereits in einem engen sachlichen und vor allem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung selbst stehen. Dies können etwa die Kontaktaufnahme mit der deutschen Auslandsvertretung im Abschiebezielstaat zur Vorbereitung der Abschiebung, die Beantragung eines Pass(ersatz)papiers zum Zwecke der Abschiebung, die Erstellung eines Rückübernahmeersuchens, das Abschiebungsersuchen der Ausländerbehörde gegenüber der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Behörde, die Bestimmung eines Abschiebetermins, die Veranlassung einer erforderlichen ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit oder die Beantragung von Abschiebungshaft sein. Entscheidend ist die prognostische Sicht im Zeitpunkt der Antragstellung für eine Ausbildungsduldung. Konnte zu diesem Zeitpunkt die Ausländerbehörde davon ausgehen, dass ihre Prognose einer erfolgreichen Abschiebung, die durch eine dafür erforderliche Maßnahme vorbereitet wurde, zutrifft, weil es zu diesem Zeitpunkt an erkennbaren Abschiebungshindernissen fehlt, so dass zu erwarten ist, dass die Abschiebung in einem angemessenen zeitlichen Rahmen erfolgen wird, stehen konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevor (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 27.11.2018 - 2 M 909/18 m. Nw. zu den Gesetzesmaterialien und weiterer Rspr.).

Das Abschiebungsersuchen der Ausländerbehörde gegenüber der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Behörde ist danach zwar grundsätzlich eine Maßnahme, die nach typisierender Betrachtung in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung selbst steht. Einer solchen Anmeldung liegt regelmäßig die Einschätzung der Ausländerbehörde zugrunde, dass die Voraussetzungen der Vollstreckung einer Ausreisepflicht gegeben seien und dass es an erkennbaren Abschiebungshindernissen fehle.

Für die durch den Antragsgegner am 06.06.2017 beim Landesamt für innere Verwaltung erfolgte Anmeldung der Antragstellerin traf diese Einschätzung zum Anmeldungszeitpunkt des 06.06.2017 indes ersichtlich nicht zu. Am 06.06.2017 bestand mangels bestands- und rechtskräftiger Entscheidung über den Asylantrag der Antragstellerin keine vollziehbare Ausreisepflicht. Der Antragstellerin war zu diesem Zeitpunkt der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach § 55 Abs. 1, 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Asylgesetz [AsylG] bis zur Unanfechtbarkeit der ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gestattet. Die vorzeitig erfolgte Anmeldung war danach keine Vollstreckungsmaßnahme, die zum Zeitpunkt ihrer Durchführung am 06.06.2017 den erforderlichen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer konkreten Abschiebung aufweisen konnte. Dies bestätigt sich auch durch die im Antwortschreiben des Landesamtes für innere Verwaltung erbetene und als Bedingung für eine Tätigkeitsaufnahme des Landesamtes zu verstehende Übersendung der Vollziehbarkeitsmitteilung, mithin einer Bestandskraftmitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über das abgeschlossene Asylverfahren. [...]

Der Erteilung der Ausbildungsduldung steht im Weiteren auch der Ausschlussgrund des § 60a Abs. 2 Satz 4 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht entgegen. Danach darf die Ausbildungsduldung auch dann nicht erteilt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei dem beantragenden Ausländer aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können.

Maßgeblicher Zeltpunkt für die Frage, ob der Ausländer den Ausschlussgrund des § 60a Abs. 2 Satz 4 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verwirklicht, ist - anders als im unmittelbaren Anwendungsbereich des Abs. 6 - derjenige der Beantragung der Ausbildungsduldung. Insoweit gilt nichts anderes als für die im Rahmen des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG zu beurteilende Frage, ab welchem Zeitpunkt konkret bevorstehende Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung einem Duldungsanspruch nicht mehr entgegengehalten werden können. Dieses Ergebnis folgt aus dem Zusammenhang der beiden Ausschlussgründe, und zwar aus dem Umstand, dass der Ausschlussgrund der bevorstehenden Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung voraussetzt, dass derartige Maßnahmen möglich sind und damit der Ausschlussgrund des § 60a Abs. 2 Satz 4 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht vorliegt. Ist damit das Nichtvorliegen des letztgenannten Ausschlussgrundes Anwendungsvoraussetzung für den erstgenannten Ausschlussgrund, so müssen die Beurteilungszeitpunkte identisch sein. Dass der Ausschlussgrund des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, wie die Beschwerde geltend macht, in der Zeitform des Präsens formuliert ist, steht diesem Verständnis ebenso wenig entgegen, wie dies bei dem Ausschlussgrund des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG der Fall ist, was die Beschwerde dort auch ausdrücklich nicht beanstandet. Mit der Verwendung der Präsensformulierung bringt der Gesetzgeber lediglich zum Ausdruck, dass der Ausschlussgrund in dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegen muss und nur diejenigen Handlungen, die von diesem Zeitpunkt aus betrachtet in der Vergangenheit selbst zu vertreten hatte, nicht vollzogen werden (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 13.03.2017 - 18 B 148/17- Juris Rn. 26).

Maßgeblicher Zeitpunkt für das etwaige Vorliegen auch dieses Ausschlussgrundes ist aus den bereits genannten Granden abermals das Datum der konkludenten Antragstellung am 18.10.2018.

Die (wohl) durch den Antragsgegner vertretene Auffassung, dass am 18.10.2018 aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei der Antragstellerin aus von der Antragstellerin zu vertretenen Gründen nicht haben vollzogen werden können, ist unzutreffend. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob aus § 3 Abs. 2 Satz 2 Härtefallkommissionslandesverordnung M-V [HFKLVO M-V] ein rechtliches Abschiebehindernis folgt und ob die Voraussetzungen eines solchen Abschiebungshindernisses hier am 18.10.2018 vorlagen. Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 [HFKLVO M-V] fordert die Härtefallkommission dann, wenn keine Ausschlussgründe vorliegen und soweit dies erforderlich ist, die Ausländerbehörde unverzüglich auf, für die Dauer des Härtefallverfahrens von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen. Der Antragsgegner trägt vor, dass eine solche Aufforderung der Härtefallkommission ihm gegenüber ergangen sei. Das Vorliegen eines daraus folgenden rechtlichen Abschiebungshindernisses unterstellt, beruht dieses nicht auf von der Antragstellerin zu vertretenden Gründen, sondern auf der durch den Landesverordnungsgeber mit § 3 Abs. 2 Satz 2 [HFKLVO M-V] getroffenen rechtlichen Regelung der Rechtsfolgen der Stellung eines Härtefallantrags. [...]