VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.03.2019 - 11 S 459/19 - asyl.net: M27130
https://www.asyl.net/rsdb/M27130
Leitsatz:

Voraussetzungen humanitärer Aufenthaltserlaubnisse aufgrund von Integration:

1. Die Vorschriften über die Erteilung humanitärer Aufenthaltserlaubnisse sind nur auf die im Gesetz genannten Fallkonstellationen anwendbar. Sind die besonderen Voraussetzungen nicht erfüllt, scheidet eine entsprechende Anwendung in der Regel aus.

2. Neben den in §§ 25a und 25b AufenthG genannten Integrationsleistungen lassen sich keine weitergehenden Rechte aus Art. 8 EMRK für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ableiten.

3. In Ausnahmefällen ist ein Rückgriff auf § 25 Abs. 5 AufenthG zulässig, wenn die Gesamtumstände mit Blick auf das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK dies gebieten (Abgrenzung zu OVG Niedersachsen, Urteil vom 08.02.2018 - 13 LB 43/17 - asyl.net: M26366)

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Bleiberecht, Aufenthaltsdauer, Integration, Ausnahmefall, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Integrationsprognose, Schutz von Ehe und Familie, Analogie,
Normen: AufenthG § 25a, AufenthG § 25b, AufenthG § 25 Abs. 5, EMRK Art. 8, GG Art. 6,
Auszüge:

[...]

6 a) Dass die Antragstellerin die Voraussetzung des § 25a Abs. 1 Nr. 1 AufenthG noch nicht erfüllt, diese aber im September 2019 erfüllen würde, genügt entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht, um einen sicherungsfähigen Anspruch zu begründen. Im Bereich der Gewährung humanitärer Aufenthaltsrechte alleine aus Gründen der Integration, wie hier nach § 25a AufenthG, kommt dem Gesetzgeber mangels konventions-, unions- oder grundrechtlich strikter Bindungen ein weiter Gestaltungsspielraum zu, weshalb diese Vorschriften einer entsprechenden Anwendung auf nicht erfasste Fallgruppen nicht zugänglich ist (Göbel-Zimmermann/Eichhorn/Beichel-Benedetti, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 2018, S. 232 Rn. 874). Dies gilt umso mehr, wenn, wie hier, von einer tatbestandlichen Voraussetzung abgesehen werden soll, wie die Beschwerde meint. [...]

8 In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass die Erteilungsvoraussetzungen der §§ 25a und 25b AufenthG die Integrationsleistungen eines Ausländers, der diesen Vorschriften unterfällt, hinreichend abbilden und dem Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK mit Blick auf den Aspekt der Verwurzelung bei konventionsfreundlicher Auslegung der Vorschriften damit Genüge getan wird (Göbel-Zimmermann/Eichhorn/Beichel-Benedetti, a.a.O., S. 230 Rn. 866). Das wird gerade mit Blick auf die hier entscheidungserhebliche Voraussetzung eines ununterbrochenen und mindestens vierjährigen Aufenthalts nach § 25a Abs. 1 Nr. 1 AufenthG deutlich. Dass Art. 8 EMRK es gebieten könnte, schon bei einem kürzeren Aufenthalt von einer Verwurzelung auszugehen, liegt regelmäßig fern. Ob darüber hinaus aus systematischen Gründen mit Blick auf das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK ein Rückgriff auf § 25 Abs. 5 AufenthG kategorisch ausgeschlossen ist (so etwa: OVG Nieders, Urteil vom 08.02.2018 - 13 LB 43/17 -, ZAR 2018, 176, mit der dogmatisch unklaren Rückausnahme, dass dies "grundsätzlich" so sei und unter Verweis auf den Beschluss vom 12.03.2013 - 8 LA 13/13 -, BeckRS 2013, 48289, zum Verhältnis von § 104a und § 104b AufenthG zu § 25a AufenthG; a.A. unter ausdrücklicher Ablehnung einer "Sperrwirkung": OVG Bremen, Urteil vom 28.06.2011 - 1 A 141/11 -, ZAR 2011, 357), bedarf hier keiner vertieften Erörterung. Lediglich klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung und Anwendung dieser Erteilungsvorschriften, auch in deren Verhältnis zueinander, stets ein konventionsfreundlicher Maßstab anzulegen ist, der sicherstellt, dass im konkreten Einzelfall die fallprägenden Gesamtumstände entsprechend ihrem Gewicht im Einklang mit Art. 8 EMRK berücksichtigt werden (vgl. nur Burr, in GK-AufenthG, September 2012, § 25 AufenthG Rn. 144, m.w.N.). [...]